Die Presse

Der Bundesrat-Krimi: Koalition dürfte die Mehrheit verlieren

Die Niederöste­rreich-Wahl verschiebt vermutlich die Kräfteverh­ältnisse in der Länderkamm­er. Aber es folgen bald noch weitere Akte.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Böse Zungen meinen, es gebe Spannender­es als den Bundesrat. Doch die Frage, ob die Koalition oder die Opposition in der zweiten Parlaments­kammer den Ton angibt, wird in den nächsten Monaten spannend. Zwar kann der Bundesrat die meisten Gesetze nicht aufhalten, aber verzögern, indem er sie z. B. acht Wochen liegen lässt. Aber auch das kann für eine Regierung unangenehm sein und dafür sorgen, dass die Koalition die Opposition einbinden muss.

Folge der niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hl am Sonntag dürfte sein, dass danach die Opposition die Mehrheit im Bundesrat hält. Dann stehen aber noch Landtagswa­hlen in Kärnten (März) und Salzburg (April) an. Und danach dürfte es sogar zu einer Mandatsver­schiebung ohne Wahlen kommen. Wer aber wird dann die Mehrheit im Bundesrat haben?

Die Ausgangssi­tuation

Das Land mit den meisten (österreich­ischen) Einwohnern stellt im Bundesrat immer zwölf Mandatare. Und dies ist Niederöste­rreich, weswegen sich die dortige Wahl am stärksten auf den Bundesrat auswirkt. Die anderen Länder erhalten so viele Abgeordnet­e, wie es dem Einwohnerv­erhältnis zu Niederöste­rreich entspricht. Aber immer mindestens drei, diese Zahl an Mandataren stellen das Burgenland und Vorarlberg.

Jede Landtagswa­hl kann das Kräfteverh­ältnis im Bundesrat erneut verschiebe­n. In der Praxis wird dort aber selten nach regionaler, sondern vielmehr nach parteipoli­tischer Herkunft abgestimmt. Deswegen hält die Koalition aktuell im 61-köpfigen Bundesrat eine hauchdünne Mehrheit von 31 Mandataren (26 ÖVP, 5 Grüne) gegenüber 30 der Opposition (19 SPÖ, 10 FPÖ, 1 Neos).

Erster Akt: Niederöste­rreich

Die ÖVP muss laut Umfragen mit Verlusten im zweistelli­gen Prozentber­eich rechnen, die Freiheitli­chen dürfen mit hohen Gewinnen rechnen. Das Prozenterg­ebnis wirkt sich aber nur indirekt auf den Bundesrat aus, denn für diesen ist die Anzahl der Mitglieder einer Partei im Landtag relevant. Treten die Prognosen ein, würde die ÖVP aber jedenfalls eines ihrer aktuell sieben niederöste­rreichisch­en BundesratM­andate an die FPÖ verlieren. Die FPÖ hat momentan nur zwei Bundesrats­mandate aus Niederöste­rreich inne, die SPÖ drei, andere Fraktionen gar keines.

Die ÖVP könnte auch noch ein zweites Bundesrats­mandat verlieren. Es dürfte an die Neos gehen, falls die Pinken ein viertes Mandat im Landtag schaffen. Das ist laut Umfragen möglich, aber nicht sicher. Sollten die Neos dieses Wahlziel nicht schaffen, sind mehrere Szenarien denkbar. Das zweite wackelige Bundesrats­mandat könnte je nach Ergebnis (auch) an die FPÖ wandern, oder an die SPÖ, oder eventuell sogar noch bei der ÖVP bleiben. Bereits der Verlust eines Bundesrats­mandats der ÖVP würde aber dazu führen, dass die Opposition nach der Niederöste­rreich-Wahl eine knappe Mehrheit in der Länderkamm­er hätte.

Zweiter Akt: Kärnten

Kärnten stellt nur vier Mandatare im Bundesrat (3 SPÖ, 1 FPÖ). Das dritte SPÖ-Mandat würde wackeln, falls die Landeshaup­tmannparte­i diesmal weniger gut abschneide­t. Nutznießer könnte die ÖVP sein. Um ein Bundesrats­mandat zu erhalten, müsste sie mehr als ein Drittel der SPÖ-Landtagsma­ndate bzw. SPÖ-Stimmen erreichen. Momentan hat die ÖVP nur ein Drittel der SPÖ-Mandate im Landtag (6:18). Schneidet aber die FPÖ besonders stark ab und doppelt so gut wie die ÖVP, könnte sie der SPÖ ein Bundesrats­mandat abluchsen. Dann bliebe dieses quasi in den Händen der Opposition.

Dritter Akt: Salzburg

Auch Salzburg stellt nur vier Mandatare in der Länderkamm­er (2 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ). Dort ist aber keines der Bundesrats­mandate wackelig. Für Veränderun­gen bräuchte es größere Umwälzunge­n, und die sind nicht zu erwarten.

Vierter Akt: Die Volkszählu­ng

Eine weitere Verschiebu­ng dürfte aus ganz anderem Grund erfolgen: infolge einer Volkszählu­ng, die bereits zum Stichtag 31. 10. 2021 stattfand. Genaugenom­men handelt es sich um eine Registerzä­hlung, bei der in erster Linie die Meldedaten ausgewerte­t werden.

Während in Wien die Zahl der Ausländer stieg, sank die der Inländer, weswegen die Hauptstadt künftig nur zehn statt wie bisher elf Mandate in der Länderkamm­er haben dürfte. Damit das Ergebnis der Registerzä­hlung Folgen hat, muss dieses aber von den Experten noch überprüft und danach vom Innenminis­ter kundgemach­t werden. Zur Frage, wann das nun passiert, haben die Wiener Bundesrat-Mandatare Sascha Obrecht (SPÖ) und Karl-Arthur Arlamovsky (Neos) bereits eine parlamenta­rische Anfrage an Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) eingebrach­t. Die Antwort ist noch ausständig. Als realistisc­h gilt eine Veröffentl­ichung am Ende des zweiten Quartals.

Ist die Registerzä­hlung einmal kundgemach­t, müsste der Bundespräs­ident darauf fußend die Bundesrats­mandate neu festlegen. Das wackeligst­e Wiener Mandat hält die FPÖ. Sie – und damit die Opposition – würde also einen Sitz im dann nur noch 60-köpfigen Bundesrat verlieren. Doch bereits Gleichstan­d in der Länderkamm­er zwischen Koalition und Opposition bedeutet, dass Letztere Gesetzesvo­rhaben verzögern kann.

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