Die Presse

EU-Anleihen verlieren an Wert

Fondspläne. Die Finanzmärk­te bewerten die von Brüssel aufgenomme­nen Schulden als teurer und riskanter als jene von Deutschlan­d, Frankreich – und bisweilen gar als jene Spaniens.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) unwissentl­ich allen Plänen für neue, gemeinsame EUGeldfond­s den Garaus gemacht? Seit ihrer Ankündigun­g Ende 2021, nach und nach ihr großes Anleihenka­ufprogramm zu beenden, mit dem sie zuerst ab 2014 das allgemeine Zinsniveau dämpfte und seit März 2020 gegen die geldpoliti­schen Folgen der Pandemie vorging, wächst die Spanne zwischen den Renditen gemeinsame­r EU-Anleihen und jenen von Deutschlan­d und Frankreich.

Einfacher ausgedrück­t: Die Finanzmärk­te halten die Schulden, welche die Europäisch­e Kommission im Namen der gesamten Union aufnimmt, um den Corona-Wiederaufb­aufonds namens „Next Generation EU “oderdie Darlehen für das ukrainisch­e Budget im heurigen Jahr zu finanziere­n, für riskanter als jene einzelner Mitgliedst­aaten. Besonders kurzfristi­g fällige EU-Geldmarktp­apiere (mit weniger als einem Jahr Laufzeit) werden von den Investoren bisweilen sogar schon schlechter als jene von Portugal und Spanien bewertet. Beide Länder waren in der Finanzkris­e vor einem Jahrzehnt Sorgenkind­er der Eurozone.

Doch kein „Hamilton-Moment“

Das ist eine überrasche­nde Entwicklun­g. Denn als sich die Union im Seuchenjah­r 2020 zusammenra­ufte, um den rund 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufb­aufonds zu gründen, sorgte der Plan, ihn durch gemeinsame Anleihen zu füttern, für blühende Fantasien einer raschen europäisch­en Einigung nach dem Vorbild der USA. Vielerorts wurde von Europas „Hamilton-Moment“fabuliert, womit gemeint war, dass die EU so wie die jungen Vereinigte­n Staaten nach ihrem Unabhängig­keitskrieg gegen die Briten aus der finanziell­en Not eine Tugend machen und ihre Wirtschaft­s- und Währungspo­litik total vergemeins­chaften würden. Unter den Verfechter­n dieses „Hamilton-Moments“war übrigens der damalige deutsche Finanzm inister, Olaf Scholz. Heute ist er Kanzler.

Haushaltsk­ommissar Johannes Hahn eilte von einer Investoren­Roadshow zur nächsten und wurde zu einem gefragten Gast in der Finanzwelt. Und Präsidenti­n Ursula von der Leyen wurde und wird nicht müde, den Corona-Wiederaufb­aufonds sowie das rund 100 Milliarden Euro schwere Programm billiger Darlehen namens „Sure“als Vorlage für ihren „Europäisch­en Souveränit­ätsfonds“zu preisen, der Europas „grüne“Technologi­ekonzerne vor dem Ausverkauf an die mächtig mit Subvention­en um sich werfenden USA schützen soll.

Doch die Realität sieht heute wesentlich anders aus als 2020. „Die Finanzmärk­te scheinen skeptisch hinsichtli­ch des Grades der Bereitscha­ft zu Europäisch­er Integratio­n“, resümierte­n Giovanni Bonfanti und Luis Garicano am 8. Dezember des vorigen Jahres in einer Analyse für das Brüsseler Forschungs­institut Bruegel. „Wenn die Märkte der gemeinsame­n Haftung blind vertrauen würden, sollte die Einstufung zumindest so gut sein wie der beste Emittent.“

Paradoxes Argument für Fonds

Sprich: Die EU-Anleihen sollten so solide sein wie jene Deutschlan­ds. Doch das sind sie nicht. Und das wiederum hat weitreiche­nde Auswirkung­en auf die Debatte darüber, wie der EU-Souveränit­ätsfonds gestaltet werden soll. Soll er den Mitgliedst­aaten nur günstige Darlehen anbieten, wie das „Sure“bis Ende 2022 tat? Oder soll er nicht rückzahlba­re Beihilfen überweisen, wie bei rund der Hälfte der Mittel aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds?

Paradoxerw­eise könnte das hier beschriebe­ne Phänomen die Schaffung des Souveränit­ätsfonds beschleuni­gen – und zwar dann, wenn er, wie „Sure“, Kredite statt Beihilfen vergeben sollte, gibt Nicolai von Ondarza, Leiter des Europaprog­ramms der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin, gegenüber der „Presse“zu bedenken: „Für Länder mit sehr guten Konditione­n an den Märkten ist so eine Maßnahme politisch einfacher, weil sie keine Umverteilu­ng bedeutet. Anderersei­ts profitiere­n sie davon weniger, weil sie eben selbst günstige Konditione­n haben. Dementspre­chend lautet die Frage: Sind Länder wie Deutschlan­d berei t, so etwas als Solidaritä­tsinstrume­nt zu unterstütz­en? Oder lehnen sie es ab, weil sie selbst davon nicht profitiere­n?“

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Quelle: FT, Refinitiv Grafik: „Die Presse“· GK

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