EU-Anleihen verlieren an Wert
Fondspläne. Die Finanzmärkte bewerten die von Brüssel aufgenommenen Schulden als teurer und riskanter als jene von Deutschland, Frankreich – und bisweilen gar als jene Spaniens.
Brüssel. Hat die Europäische Zentralbank (EZB) unwissentlich allen Plänen für neue, gemeinsame EUGeldfonds den Garaus gemacht? Seit ihrer Ankündigung Ende 2021, nach und nach ihr großes Anleihenkaufprogramm zu beenden, mit dem sie zuerst ab 2014 das allgemeine Zinsniveau dämpfte und seit März 2020 gegen die geldpolitischen Folgen der Pandemie vorging, wächst die Spanne zwischen den Renditen gemeinsamer EU-Anleihen und jenen von Deutschland und Frankreich.
Einfacher ausgedrückt: Die Finanzmärkte halten die Schulden, welche die Europäische Kommission im Namen der gesamten Union aufnimmt, um den Corona-Wiederaufbaufonds namens „Next Generation EU “oderdie Darlehen für das ukrainische Budget im heurigen Jahr zu finanzieren, für riskanter als jene einzelner Mitgliedstaaten. Besonders kurzfristig fällige EU-Geldmarktpapiere (mit weniger als einem Jahr Laufzeit) werden von den Investoren bisweilen sogar schon schlechter als jene von Portugal und Spanien bewertet. Beide Länder waren in der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt Sorgenkinder der Eurozone.
Doch kein „Hamilton-Moment“
Das ist eine überraschende Entwicklung. Denn als sich die Union im Seuchenjahr 2020 zusammenraufte, um den rund 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds zu gründen, sorgte der Plan, ihn durch gemeinsame Anleihen zu füttern, für blühende Fantasien einer raschen europäischen Einigung nach dem Vorbild der USA. Vielerorts wurde von Europas „Hamilton-Moment“fabuliert, womit gemeint war, dass die EU so wie die jungen Vereinigten Staaten nach ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten aus der finanziellen Not eine Tugend machen und ihre Wirtschafts- und Währungspolitik total vergemeinschaften würden. Unter den Verfechtern dieses „Hamilton-Moments“war übrigens der damalige deutsche Finanzm inister, Olaf Scholz. Heute ist er Kanzler.
Haushaltskommissar Johannes Hahn eilte von einer InvestorenRoadshow zur nächsten und wurde zu einem gefragten Gast in der Finanzwelt. Und Präsidentin Ursula von der Leyen wurde und wird nicht müde, den Corona-Wiederaufbaufonds sowie das rund 100 Milliarden Euro schwere Programm billiger Darlehen namens „Sure“als Vorlage für ihren „Europäischen Souveränitätsfonds“zu preisen, der Europas „grüne“Technologiekonzerne vor dem Ausverkauf an die mächtig mit Subventionen um sich werfenden USA schützen soll.
Doch die Realität sieht heute wesentlich anders aus als 2020. „Die Finanzmärkte scheinen skeptisch hinsichtlich des Grades der Bereitschaft zu Europäischer Integration“, resümierten Giovanni Bonfanti und Luis Garicano am 8. Dezember des vorigen Jahres in einer Analyse für das Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel. „Wenn die Märkte der gemeinsamen Haftung blind vertrauen würden, sollte die Einstufung zumindest so gut sein wie der beste Emittent.“
Paradoxes Argument für Fonds
Sprich: Die EU-Anleihen sollten so solide sein wie jene Deutschlands. Doch das sind sie nicht. Und das wiederum hat weitreichende Auswirkungen auf die Debatte darüber, wie der EU-Souveränitätsfonds gestaltet werden soll. Soll er den Mitgliedstaaten nur günstige Darlehen anbieten, wie das „Sure“bis Ende 2022 tat? Oder soll er nicht rückzahlbare Beihilfen überweisen, wie bei rund der Hälfte der Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds?
Paradoxerweise könnte das hier beschriebene Phänomen die Schaffung des Souveränitätsfonds beschleunigen – und zwar dann, wenn er, wie „Sure“, Kredite statt Beihilfen vergeben sollte, gibt Nicolai von Ondarza, Leiter des Europaprogramms der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, gegenüber der „Presse“zu bedenken: „Für Länder mit sehr guten Konditionen an den Märkten ist so eine Maßnahme politisch einfacher, weil sie keine Umverteilung bedeutet. Andererseits profitieren sie davon weniger, weil sie eben selbst günstige Konditionen haben. Dementsprechend lautet die Frage: Sind Länder wie Deutschland berei t, so etwas als Solidaritätsinstrument zu unterstützen? Oder lehnen sie es ab, weil sie selbst davon nicht profitieren?“