Wiener Spital muss Leistungen auslagern
Die Radiologie der Klinik Ottakring lässt Untersuchungen wegen akuten Personalmangels von externen Medizinern auswerten. Die Ärztekammer übt scharfe Kritik an dieser Entscheidung und spricht von „Symptombekämpfung“.
Wien. Der seit Jahren anhaltende eklatante Personalmangel in Wiens Spitälern erreicht eine neue Dimension. Als erstes Krankenhaus Österreichs bleibt der Klinik Ottakring, ehemals Wilhelminenspital, nichts anderes übrig, als medizinische Leistungen auszulagern.
Konkret ist es das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, das seit Anfang des Jahres auf die Dienste externer Ärzte zurückgreift, um die im eigenen Haus durchgeführten bildgebenden Verfahren auszuwerten. 200 Euro untertags und 350 Euro in der Nacht zahlt dafür der Wiener Gesundheitsverbund (WiGeV), ehemals Krankenanstaltenverbund (KAV) – pro Stunde wohlgemerkt, nicht pro Dienst.
Der WiGeV sieht den Zukauf von medizinischen Leistungen als dringend notwendige Übergangslösung. Die Wiener Ärztekammer hingegen kritisiert diese Personalpolitik scharf, sie setze nicht bei der Ursache des Problems an.
Massiver Fachkräftemangel
Fast alle Krankenhäuser in Österreich leiden – aus verschiedenen Gründen wie etwa der Pensionierung der Babyboomer-Generation und dem Ausweichen vieler Ärzte und Pflegekräfte auf den niedergelassenen Bereich – unter einem Mangel an Personal. Wegen der durchgehend hohen Arbeitsbelastung in den hoch spezialisierten Spitälern, die auch Patienten aus anderen Bundesländern betreuen, ist Wien besonders stark betroffen.
Im Institut für Radiologie der Klinik Ottakring sind derzeit 15 der 26 Dienstposten für Fachärzte unbesetzt. „Das ist leider zu wenig, um sicherzustellen, dass rund um die Uhr zwei Fachärztinnen und Fachärzte zur Befundung von radiologischen Bildern wie etwa MRT, CT und Röntgen anwesend sind – was uns aber sehr wichtig ist“, sagt eine Sprecherin des WiGeV. „Daher hat diese Abteilung im Dezember eine Gefährdungsmeldung verfasst, in der auf diese Problematik hingewiesen wird. Das Management des Hauses hat gemeinsam mit dem Primar nach raschen Lösungsmöglichkeiten gesucht. Denn die Klinik Ottakring hat einen starken akuten Fokus, die Radiologie ist ein wichtiger Partner für viele Abteilungen.“
Da die Rekrutierung neuer Fachärzte länger dauert, sei ein externer Partner gesucht worden. Nachdem die WiGeV-Leitung mehrere Angebote eingeholt hatte, fiel die Wahl auf den Dienstleister Telescan4you, der Befundungen nicht nur telemedizinisch, also digital von einem beliebigen Standort aus, sondern auch direkt in den Spitälern durchführt. Mittelfristig soll das Auswerten der Befunde ausschließlich telemedizinisch erfolgen, noch sei die technische Umsetzung aber nicht möglich.
Die Buchung des externen Personals erfolgt stundenweise, das Institut erhält für Leistungen tagsüber 200 Euro und nachts 350 Euro pro Stunde. Bisher wurden für die Radiologie in der Klinik Ottakring 92 Stunden gebucht. Für telemedizinische Befundungen soll aber weniger bezahlt werden, je nach Leistung. Institutsvorstand Herbert Langenberger, mitverantwortlich für die Abwicklung der Kooperation, wollte auf Nachfrage keine Stellungnahme abgeben.
„Keine Dauerlösung“
„Die Unterstützungsleistungen zuzukaufen ist eine gute Lösung zur Überbrückung, damit wir in der Klinik Ottakring weiterhin auf diesem hohen Niveau radiologische Befundungen anbieten können. Sie ist natürlich nicht als Dauerlösung gedacht“, sagt die WiGeVSprecherin. „Es ist auch nicht vorgesehen, die Kooperation auf andere Bereiche des Wiener Gesundheitsverbunds zu erweitern.“
Genau das erwarten aber zahlreiche Spitalsärzte im Gespräch mit der „Presse“. Angesichts des anhaltenden und sich noch weiter zuspitzenden Personalmangels sei die Aufrechterhaltung des Betriebs gar nicht anders möglich, als externe Mediziner für einzelne Tage und Nächte zu beschäftigen. Mit der möglichen Folge, dass sich noch weniger Ärzte in Spitälern anstellen lassen, sondern den lukrativeren und flexibleren Weg des freiberuflichen Arztes wählen – wie das etwa bei Pflegekräften schon gang und gäbe ist, wenn auch nicht in Einrichtungen des WiGeV.
Tatsächlich führte in anderen europäischen Ländern wie etwa Deutschland, in denen das Auslagern medizinischer Leistungen schon länger üblich ist, diese Praxis dazu, dass Ärzte in den Spitälern kündigten, um bei privaten Dienstleistern zu arbeiten und dort deutlich mehr zu verdienen.
Diese Befürchtung sei „nicht von der Hand zu weisen“, räumt auch der WiGeV ein. Aus diesem Grund habe man mit Telescan4you vertraglich vereinbart, dass niemand von einem Gemeindespital in dieses Unternehmen wechseln darf. Sollte aber die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern ausgeweitet werden, könnten solche einschränkenden Klauseln nach Meinung von Rechtsexperten an ihre Grenzen stoßen. Zudem könnten Ärzte auch aus Frust kündigen, wenn sie sehen, wie Kollegen vor ihren Augen für die gleiche Arbeit deutlich mehr verdienen als sie selbst.
„Symptombekämpfung“
Daher kommt auch von der Ärztekammer scharfe Kritik an der Vorgehensweise des WiGeV. „Seit Monaten gibt es dramatische Versorgungsengpässe in Wiens Spitälern. In der Klinik Ottakring ist die Radiologie stark davon betroffen. Wir hören von den Kolleginnen und Kollegen, dass es insgesamt weniger Dienste als früher gibt, Facharztdienste gar nicht mehr besetzt werden können, weswegen dort auch schon eine Gefährdungsanzeige eingebracht wurde“, sagt Stefan Ferenci, Obmann der Kurie für angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien. „Die Ärztekammer für Wien fordere seit Wochen mit Nachdruck eine Attraktivierung der Arbeitsbedingungen im Spital, unter anderem durch moderne Personalpolitik und bessere Gehälter. Die Engpässe in Wiens Spitälern könnte man dadurch rasch lösen. Stattdessen wird ein vielfach teurerer Weg gewählt, indem externe Facharztkapazitäten zugekauft werden.“
Aus seiner Sicht sei es eine seltsame Optik, dass Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) öffentlich immer wieder vehement gegen Wahlarztkollegen auftrete und ihnen privatwirtschaftliche Interessen unterstelle, und dann werde aber genau dieser Weg in Wiens Gemeindespitälern gewählt.
„Als Ärztinnen und Ärzte wissen wir, dass Symptombekämpfung niemals der nachhaltigste Weg ist, sondern man bei der Ursache des Problems ansetzen muss“, sagt Ferenci. „Dazu fordern wir Gesundheitsstadtrat Peter Hacker auf und laden ihn dazu ein, mit uns gemeinsam an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten.“