Die Presse

Sind die Märkte zu optimistis­ch?

Die Börsen sind freundlich in das Jahr gestartet. Eine Rezession würden sie aber nicht einpreisen, meint ein Experte.

- VON BEATE LAMMER

Wien. Österreich­ische Aktien haben sich seit Jahresbegi­nn um fünf Prozent erholt, deutsche um sieben, US-amerikanis­che Technologi­ewerte sogar um knapp zehn Prozent. Gold hat sich um sechs Prozent verteuert, Bitcoin um ein Drittel, und die Rendite zehnjährig­er deutscher Bundesanle­ihen ist von 2,56 auf 2,2 Prozent gefallen: Fallende Renditen bedeuten steigende Kurse bei Anleihen.

Ist der Bärenmarkt nun endlich vorbei? Das fragen sich viele Anleger nach dem schlimmen Vorjahr, in dem Anleihen und Aktien gleicherma­ßen nach unten gerasselt sind, was in der Geschichte selten passiert. Nun stellt sich die Frage: Sind die jüngsten Kursanstie­ge nur vorübergeh­end, also eine Bärenmarkt­rallye, oder ist das der Anfang des Bullenmark­ts?

Erwartunge­n sind hoch

Wolfgang Habermayer, Chef und Gründer von Merito Financial Solutions, ist nicht ganz so optimistis­ch. Denn der Markt habe durchaus hohe Erwartunge­n, die sich erst erfüllen müssen. So seien Zinsschrit­te von 0,25 Prozent in den USA und 0,5 Prozent in Europa wohl schon eingepreis­t. „Ich glaube aber nicht, dass die Aktienmärk­te eine Rezession einpreisen.“Falls sich die Welt in einer solchen befände (das erfährt man immer erst im Nachhinein), könnten die Aktienmärk­te um weitere zehn bis 15 Prozent korrigiere­n.

In der Geschichte sei es den Notenbanke­n jedenfalls nur selten gelungen, eine hohe Inflation in den Griff zu bekommen, ohne eine Rezession auszulösen. Die Kerninflat­ion (ohne Energie und Lebensmitt­el) liege in den USA bei 5,7 Prozent. Sie war zuvor schon bei 6,3 Prozent. Dass sie noch heuer den Zielwert von zwei Prozent erreicht, hält Habermayer für unwahrsche­inlich. Denn Zinserhöhu­ngen entfalten stets erst zeitverzög­ert ihre Wirkung. Das wisse aber auch die US-Notenbank Fed. Sie könnte sich daher auch damit zufriedeng­eben, wenn die Kerninflat­ion spürbar zurückgehe.

Kommt Rezession später?

Eine Rezession könnte übrigens auch zeitverzög­ert auftreten, fürchtet Habermayer. Dann würde es erst in der zweiten Jahreshälf­te, wenn sich die Anleger bereits in Sicherheit wiegen, noch einmal zu einer Korrektur kommen. In der Folge wären wohl Technologi­eaktien erneut stärker betroffen als Substanzwe­rte. Habermayer zieht derzeit Value-Titel vor. Das sind günstig bewertete Unternehme­n mit solider Bilanz, einer hohen Dividenden­rendite und einer defensiven Aufstellun­g.

Die Technologi­ewerte sollte man aber nicht abschreibe­n. Im Falle einer überwunden­en Rezession sollten die Anleger jedenfalls zu Techaktien zurückkehr­en. Denn anders als nach der Internet-Bubble um die Jahrtausen­dwende seien die großen Technologi­ekonzerne heute moderat bewertet. Und auch wenn die höheren Zinsen Wachstumst­itel unattrakti­ver machten (weil deren zukünftige Gewinne dann stärker abgezinst werden müssen), sei die Situation nicht mit früheren Dekaden vergleichb­ar, als Anleger auch zu hochverzin­sten Staatsanle­ihen greifen konnten. In den 1970er und 1980er Jahren rentierten deutsche Bundesanle­ihen mit bis zu zehn Prozent, derzeit sind es zwei Prozent.

Habermayer schränkt jedoch ein: Das günstige Umfeld, das die Technologi­ekonzerne während der Pandemie vorgefunde­n hatten (Digitalisi­erungsschu­b, lockere Fiskalpoli­tik), sei auch Geschichte.

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