Was tun mit Depressiven?
Ein Sohn voll tiefer Schwermut, ein Vater, der damit nicht umgehen kann: Florian Zeller glückt mit „The Son“wieder ein Kammerspiel.
Psychologen führen Depressionen oft auf eine schwierige Kindheit zurück. Hirnforscher nennen falsch verbundene Neuronen als mögliche Ursache. Doch den Seelenschmerz von Nicholas (Zen McGrath) erklärt all das letztlich nicht. Der 17-Jährige tut sich selbst schwer damit, den Grund für seine Verstimmung auf einen Nenner zu bringen. Damit sein Vater, Peter (Hugh Jackman), nicht länger nachbohrt, gibt er irgendwann vor, unter Liebeskummer zu leiden. Damit kann der angehende Politberater etwas anfangen. Mit der Vorstellung, dass sein Sohn Probleme hat, die sich mit Willenskraft und gutem Rat nicht überwinden lassen, weniger.
„The Son“, Florian Zellers zweites Krankheitsdrama nach der Oscar-prämierten Demenz-Tragödie „The Father“, liefert zunächst die üblichen Antworten auf die Frage nach den Ursachen für Nicholas’ Schwermut. Die familiären Verhältnisse, in denen der Pubertierende aufwuchs, sind von der Trennung seiner Eltern geprägt: Nachdem Peter mit einer jüngeren Frau (Vanessa Kirby) durchgebrannt ist, sah Nicholas seine zurückgelassene Mutter (Laura Dern) leiden. Sein charismatischer Vater bekam indes ein Kind mit seiner Affäre – und konnte seine Karriere unbeirrt weiterverfolgen. Es gibt also ein klar erkennbares Trauma. Dennoch hängt der enorm hartnäckigen Depression des Scheidungskindes etwas Mysteriöses an.
Ein Kernthema dieses Films, der nicht zuletzt auf Aufklärung abzielt, ist die Ohnmacht der Angehörigen depressiver Menschen. Hier sind es zeitgemäß zwei Patchwork-Eltern, die vergeblich gegen die Antriebslosigkeit ihres Kindes ankämpfen. Peters Exfrau hat bereits kapituliert, als sie ihn bittet, Nicholas bei sich aufzunehmen. Dieser heißt ihn herzlich willkommen, obwohl seine Partnerin Bedenken äußert – und bemüht sich, den Buben wieder zum Schulbesuch zu animieren. Er kleidet ihn neu ein, rät ihm, auf Partys zu gehen. Aber Nicholas misstraut ihm – weil er aus seinen Worten die implizite Erwartung heraushört, er solle ein gut gelaunter Erfolgsmensch wie der Vater werden.
Anders als in „The Father“, in dem Anthony Hopkins einen dementen Opa spielte, dessen verwirrte Wahrnehmung nicht mehr zwischen Gegenwart und Erinnerung unterschied, erzählt Zeller diese Verfallsgeschichte linear und ohne Verwirrspiel in Bezug auf die „Echtheit“des Geschehens. Dafür fehlt bei Depressionen das wahnhafte Element. Auch verschwindet die äußere Welt hier nicht wie in Zellers vorgängigem Psycho-Kammerspiel: Nicholas geht zeitweilig wieder zur Schule, Peter sieht man auch bei seiner Arbeit als Anwalt.
Dadurch kommt auch das Gesellschaftliche in den Blick: der stille Druck auf Nicholas, ein angepasstes Leben zu führen, die manische Neigung seines Vaters, jeden Kummer wegzulachen, wie er es aus dem Berufsleben kennt. Hinzu kommt Nicholas’ zynischer Großvater (Hopkins in einer prägnanten Gastrolle), dessen Gefühlskälte in der Familie weiterwirkt.
Bühnenhaft, aber ergreifend
Viele Kritiker waren nach „The Father“von „The Son“enttäuscht: Zu bühnenhaft, zu sehr Seifenoper, hieß es. Dabei erfasst einen auch hier emotionale Ergriffenheit. Diese ist kein Qualitätsbeweis. Aber doch ein Zeugnis großer Schauspielkunst, profunder Kenntnis der behandelten Materie – und ästhetischer Diskretion, die sich an den richtigen Stellen in rauschhafte Melancholie verkehrt. Es fühlt sich nie falsch an, bei diesem berührenden Film Tränen zu vergießen.