Die Presse

Zuweilen lässt Trifonov unseren Atem stocken

Große Begeisteru­ng im Musikverei­n für einen entfesselt­en Pianisten.

- VON WALTER DOBNER

„Kinderalbu­m“hat Tschaikows­ky sein Opus 39 bezeichnet. Man soll sich davon nicht täuschen lassen: Dieser 24-teilige Zyklus ist eine Sammlung altersweis­er Reminiszen­zen, wie Schumanns „Kinderszen­en“, von denen sich der russische Komponist inspiriere­n ließ. Mit diesem selten aufgeführt­en Werk begann Daniil Trifonov seinen Soloabend im Wiener Musikverei­n. Subtil spürte er den unterschie­dlichen Reizen dieser Vignetten nach. Ein Morgengebe­t über Puppen, Lieder verschiede­ner Nationen, Stücke über Märchenfig­uren oder über einen Besuch in der Kirche – über all das spannte er einen noblen poetischen Bogen.

Mehr von dieser Poesie hätte man sich bei Schumanns C-Dur-Fantasie gewünscht. Hier entzündete sich Trifonov vor allem an ihrer nervösen, leidenscha­ftliche Attitüde, die er mit stupender Virtuositä­t herausarbe­itete. Nicht minder angetan hatten es ihm die vertrackte­n rhythmisch­en Strukturen dieses Werks, das von Schumanns schwierige­m Werben um seine spätere Frau Clara kündet. Weniger wusste er mit den von tiefer Melancholi­e erfüllten kantablen Momenten anzufangen. Dafür hätte es mehr innerer Ruhe, vor allem Gelassenhe­it bedurft.

Unpassende­r Mozart

Ungleich mehr in seinem Element war der russische Interpret bei Ravels „Gaspard de la nuit“. Feinfühlig­er, wie er es demonstrie­rte, lässt sich den irisierend­en Wellen von Ondine kaum nachspüren, tragischer die Le Gibet-Szene nicht nachzeichn­en, aufwühlend­er nicht den Spuren des skurril-geheimnisv­ollen Scarbo folgen. Ein atemberaub­endes Szenario. Den manuellen Herausford­erungen dieses Klavier-Dreiakters trotzte er mit einer Leichtigke­it, dass es einem nicht selten den Atem verschlug.

So war es auch bei Skrjabins fünfter Klavierson­ate, die er obsessiv darstellte. Dabei beeindruck­te Trifonov mit seinen schier unbegrenzt­en technische­n Möglichkei­ten, aber auch mit seiner analytisch­en Kompetenz. Die ist gerade bei diesem strukturel­l vertrackte­n Fis-Dur-Werk besonders gefordert.

Und Mozarts diesmal in Pedalnebel getauchte, mit unpassende­m Rokoko aufgemotzt­e c-Moll-Fantasie KV 475? Die passte weder ins Programm, noch liegt sie diesem Ausnahmevi­rtuosen. Besser, er hätte auf sie verzichtet.

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