Zuweilen lässt Trifonov unseren Atem stocken
Große Begeisterung im Musikverein für einen entfesselten Pianisten.
„Kinderalbum“hat Tschaikowsky sein Opus 39 bezeichnet. Man soll sich davon nicht täuschen lassen: Dieser 24-teilige Zyklus ist eine Sammlung altersweiser Reminiszenzen, wie Schumanns „Kinderszenen“, von denen sich der russische Komponist inspirieren ließ. Mit diesem selten aufgeführten Werk begann Daniil Trifonov seinen Soloabend im Wiener Musikverein. Subtil spürte er den unterschiedlichen Reizen dieser Vignetten nach. Ein Morgengebet über Puppen, Lieder verschiedener Nationen, Stücke über Märchenfiguren oder über einen Besuch in der Kirche – über all das spannte er einen noblen poetischen Bogen.
Mehr von dieser Poesie hätte man sich bei Schumanns C-Dur-Fantasie gewünscht. Hier entzündete sich Trifonov vor allem an ihrer nervösen, leidenschaftliche Attitüde, die er mit stupender Virtuosität herausarbeitete. Nicht minder angetan hatten es ihm die vertrackten rhythmischen Strukturen dieses Werks, das von Schumanns schwierigem Werben um seine spätere Frau Clara kündet. Weniger wusste er mit den von tiefer Melancholie erfüllten kantablen Momenten anzufangen. Dafür hätte es mehr innerer Ruhe, vor allem Gelassenheit bedurft.
Unpassender Mozart
Ungleich mehr in seinem Element war der russische Interpret bei Ravels „Gaspard de la nuit“. Feinfühliger, wie er es demonstrierte, lässt sich den irisierenden Wellen von Ondine kaum nachspüren, tragischer die Le Gibet-Szene nicht nachzeichnen, aufwühlender nicht den Spuren des skurril-geheimnisvollen Scarbo folgen. Ein atemberaubendes Szenario. Den manuellen Herausforderungen dieses Klavier-Dreiakters trotzte er mit einer Leichtigkeit, dass es einem nicht selten den Atem verschlug.
So war es auch bei Skrjabins fünfter Klaviersonate, die er obsessiv darstellte. Dabei beeindruckte Trifonov mit seinen schier unbegrenzten technischen Möglichkeiten, aber auch mit seiner analytischen Kompetenz. Die ist gerade bei diesem strukturell vertrackten Fis-Dur-Werk besonders gefordert.
Und Mozarts diesmal in Pedalnebel getauchte, mit unpassendem Rokoko aufgemotzte c-Moll-Fantasie KV 475? Die passte weder ins Programm, noch liegt sie diesem Ausnahmevirtuosen. Besser, er hätte auf sie verzichtet.