Was ein Präsident bewegen kann
Alexander Van der Bellens zweite Amtszeit beginnt. Wie stark wird er Österreichs Politik prägen?
Wien. „Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.“Alexander Van der Bellen wird dieses Gelöbnis am heutigen Donnerstag vor der Bundesversammlung leisten und für weitere sechs Jahre als Bundespräsident angelobt werden. Bei der Frage, wie man seine Pflicht als Staatschef erfüllt, gibt es freilich eine Bandbreite. Was kann der Bundespräsident aber beeinflussen, und was darf man sich von Van der Bellen in der zweiten Amtszeit erwarten?
Die Koalitionsfragen
Mit nichts verbindet man den Bundespräsidenten mehr als mit Angelobungen und Regierungsbildungen. Ohne ein Ja aus der Hofburg kommt laut Verfassung keine Regierung zustande. In der Praxis aber kann ein Staatsoberhaupt eine Koalition, die sich im Nationalrat auf eine Mehrheit stützt, kaum verhindern. Legendär wurde Thomas Klestil, der mit betont besorgter Miene, aber doch, im Jahr 2000 gegen seinen eigentlichen Wunsch eine schwarz-blaue Regierung angelobte.
Auf solche Mienenspiele verzichtete Van der Bellen, wenngleich ausgerechnet er als früherer Grünen-Chef im Jahr 2017 eine ÖVP-FPÖ-Koalition anzugeloben hatte. Seinen Kritikern empfahl der Bundespräsident diesbezüglich sogar: „Kommt’s ein bissl oba aus der täglichen Aufgeregtheit.“Denn der Machtwechsel sei „nicht grundsätzlich illegitim“. Dass Van der Bellen nach der nächsten Nationalratswahl (planmäßig 2024) eine bestimmte Koalition komplett verhindern will, ist also nicht zu erwarten. Doch wäre da noch die Causa Kickl.
Die Personalfragen
Der von Van der Bellen 2019 als Innenminister entlassene Herbert Kickl ist nun FPÖChef, und seine Fraktion liegt in Umfragen auf Platz eins. Womit nach einer Wahl sogar die Frage auftauchen könnte, ob Van der Bellen Kickl als Kanzler angeloben würde. Das Staatsoberhaupt bezeichnete den Freiheitlichen rückblickend als „große Belastung“im Ministeramt. Zur Frage, ob der Kärntner noch ministrabel sei, meinte Van der Bellen: „Kickl hat sich meines Erachtens selbst aus dem Spiel genommen.“Das spräche dafür, dass Van der Bellen im Fall eines FPÖ-Wahlsiegs einen anderen Kanzler suchen würde, womit aber Konflikte programmiert wären.
Das Recht, bei Postenbesetzungen Nein zu sagen, nutzte Van der Bellen schon in seiner ersten Amtsperiode. Er verhinderte den von Türkis-Blau auspaktierten Tassilo Wallentin als Verfassungsrichter oder den FPÖnahen Juristen Hubert Keyl als Richter am Bundesverwaltungsgericht. Auch legte sich Van der Bellen gegen den Plan von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), die Leitung des Truppenübungsplatzes Allentsteig dauerhaft an den ÖVP-nahen Kandidaten Herbert Gaugusch zu übertragen, quer. In dem Konflikt versucht Tanner, den Posten neu bewerten zu lassen, damit er ohne Zustimmung des Bundespräsidenten besetzt werden kann. Das Beispiel zeigt, dass Van der Bellen auch in seiner zweiten Amtsperiode Widerstand gegen ihm unpassend erscheinende Personalvorschläge leisten wird.
Ceta gezeigt. Er unterschrieb den vom Parlament längst genehmigten Staatsvertrag erst, nachdem der Europäische Gerichtshof ihn für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt hatte.
Klassische Mittel des Bundespräsidenten, sich in den Politalltag einzubringen, sind aber vertrauliche Gespräche sowie öffentliche Reden. So forderte Van der Bellen Maßnahmen gegen Korruption, rief die türkisgrüne Regierung zum Arbeiten auf oder zeigte sich skeptisch gegenüber der türkis-blauen Idee einer Sicherungshaft. Zu manch heißem Thema schwieg er aber. Doch traditionell melden sich Bundespräsidenten in der zweiten Amtszeit mutiger zu Wort.
Auch Außenpolitik gehört zur Aufgabe des Bundespräsidenten. So wandelte sich Van der Bellen, der sich zu Beginn seiner ersten Amtszeit noch verständnisvoll gegenüber Russland gezeigt hatte, nach dem Angriff auf die Ukraine zu einem scharfen Kritiker von Wladimir Putin. Diplomatie wird auch in der zweiten Amtszeit Van der Bellens auf der Tagesordnung stehen, wenngleich die großen Konflikte der Welt eher nicht von der Hofburg aus gelöst werden.
Aber wer weiß schon genau, was Van der Bellen noch alles vorhat, auch nach seiner Zeit als Bundespräsident. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit erklärte der heute 79-Jährige in einer Diskussion mit Studenten in Lemberg: „Ich bin 74 Jahre alt. Meine politische Zukunft ist vielleicht auf die nächsten 20 Jahre beschränkt, nicht länger als das.“