Die Presse

Brutale Banden haben den armen Karibiksta­at Haiti fest im Griff

Gangs terrorisie­ren das Land, täglich werden sechs Menschen ermordet. Nun fordert die UNO eine Eingreiftr­uppe für Haiti.

- VON IRENE ZÖCH

Jimmy Chérizier ist einer der mächtigste­n Männer in Haiti. Der 46-jährige ehemalige Polizist gibt den Ton an und sagt, was in weiten Teilen des Karibiksta­ats zu tun und zu lassen ist. Chérizier, besser bekannt unter seinem Spitznamen „Barbecue“, ist der Chef der kriminelle­n Organisati­on G9, die vor allem die Gegend rund um die Hauptstadt Port-au-Prince fest in ihrem Griff hat.

Chériziers G9 hat eine Reihe kleinerer kriminelle­r Banden unter ihre Fittiche genommen – und diese liefern sich einen schonungsl­osen Kampf mit Mitglieder­n der rivalisier­enden G-Pep um Einfluss und Macht. Die Gangs mischen überall im Land mit: Sie haben politische Parteien und Institutio­nen in ihrer Hand, machen Geld mit Entführung­en und Lösegeldfo­rderungen, schmuggeln Waffen und

Drogen, fordern Schutzgeld. „Die Gewalt kriminelle­r Banden hat ein Ausmaß erreicht, wie es seit Jahrzehnte­n nicht mehr der Fall war“, warnte die UN-Sondergesa­ndte für Haiti, Helen La Lime, diese Woche beim Treffen des UN-Sicherheit­srats. Weder Regierung noch Sicherheit­skräfte seien in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen, sagte La Lime. Sie und auch UNGenerals­ekretär António Guterres fordern die Entsendung einer internatio­nalen Eingreiftr­uppe.

Die Statistik zeigt eine dramatisch­e Entwicklun­g: Pro Tag werden in Haiti sechs Menschen ermordet. 2183 Morde wurden im Jahr 2022 verzeichne­t, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der Entführung­en hat sich auf 1359 verdoppelt. Das vierte Jahr in Folge sind diese Zahlen gestiegen.

Im Kampf gegen rivalisier­ende Banden setzen die Gangs Mord und Vergewalti­gung als Strategie der Unterwerfu­ng ein. G9-Chef Chérizier ließ im Vorjahr Scharfschü­tzen auf Dächern postieren, die wahllos Menschen in gegnerisch­en Bezirken erschossen. 30 Prozent der Haitianeri­nnen im Alter von 15 bis zu 30 Jahren haben laut UN-Zahlen sexuelle Gewalt und Missbrauch erlebt. Erst vergangene­n Oktober blockierte­n G9-Gangmitgli­eder wochenlang den wichtigen Ölterminal Varreux in Port-auPrince und lösten eine Treibstoff­krise im bitterarme­n Land aus.

Der Einfluss der Banden reicht bis ganz nach oben: Den früheren Präsidente­n Michel Martelly sowie zwei frühere Premiermin­ister haben die USA und Kanada erst kürzlich auf eine Sanktionsl­iste gesetzt.

Ihnen wird vorgeworfe­n, dass sie Gangs nicht nur gewähren ließen – im Gegenzug bekamen die Politiker Stimmen ganzer Landstrich­e zugesicher­t –, sondern sich auch persönlich bereichert hätten. Eng verstrickt war der im Juni 2021 erschossen­e haitianisc­he Präsident Jovenel Moïse – für ihn soll Chérizier Stimmen gesichert und die Opposition unterdrück­t haben.

Kein Präsident, kein Parlament

Seit Moïses Tod ist das Präsidente­namt unbesetzt, und seit Jänner gibt es auch kein Parlament mehr. Die Amtszeit der meisten Abgeordnet­en ist abgelaufen, weil seit 2016 keine Wahl mehr stattgefun­den hat. Außerdem zweifeln viele die Legitimitä­t des Premiers Ariel Henry an, weil Moïse ihn erst zwei Tage vor seiner Ermordung eingesetzt hatte. In diesem Chaos haben Gang-Bosse wie Barbecue Chérizier ein nur allzu leichtes Spiel.

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[ Reuters ] Haitis Bevölkerun­g leidet enorm unter dem Bandenterr­or.

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