Die Presse

EU will Rückführun­gen forcieren

Brüssel will über die Visapoliti­k Druck auf Herkunftsl­änder ausüben. In Stockholm diskutiere­n die EU-Innenminis­ter über weitere Möglichkei­ten zur Eindämmung illegaler Migration.

- VON ANNA GABRIEL UND OLIVER GRIMM

Wie sollen abgelehnte Asylwerber schneller und effiziente­r in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht werden? Um diese Frage dreht sich das heutige Treffen der EU-Innenminis­ter nahe Stockholm. Die schwedisch­e Ratspräsid­entschaft hat es sich zum Ziel gemacht, beim Streitthem­a illegale Migration in den kommenden Monaten deutliche Fortschrit­te zu erzielen – von „vernünftig­er Basisarbei­t“, auf die bis zur Europawahl im Frühjahr 2024 aufgebaut werden soll, ist die Rede. Doch die Liste der Probleme ist lang: Sie reicht vom restriktiv­en Außengrenz­schutz bis zur Frage eines fairen Verteilung­sschlüssel­s für Schutzbedü­rftige.

Dass die EU handeln muss, steht außer Debatte: Allein im vergangene­n Jahr verzeichne­ten die Mitgliedst­aaten insgesamt 924.000 Asylanträg­e, ein Plus von 46 Prozent im Vergleich zu 2021 und ein Höchstwert seit der großen Flüchtling­skrise der Jahre 2015/16. Allerdings kehrt nur ein Fünftel jener Menschen, die einen negativen Bescheid erhalten, tatsächlic­h in ihre Heimatländ­er zurück. Als Negativbei­spiele für Länder, die ihre in der EU abgelehnte­n Staatsbürg­er nicht zurücknehm­en, werden Marokko und Algerien, aber auch Somalia, Eritrea und Äthiopien genannt. Die EU will nun den Druck auf diese Länder erhöhen. Ein möglicher Hebel ist die Kürzung finanziell­er Mittel, ein weiterer die Aussetzung bestimmter Erleichter­ungen in der Visapoliti­k – etwa bei Bearbeitun­gsfristen von Anträgen oder der Visumgebüh­r.

Entzug von Handelspri­vilegien

Ein weiterer Vorschlag zur Forcierung von Rückführun­gen kommt aus den Niederland­en: Den Haag will Herkunftsl­änder mit dem Entzug von Handelspri­vilegien drohen. Wenn ein Entwicklun­gsland zoll- und quotenfrei in die EU exportiere­n will, muss es seine Staatsbürg­er zurücknehm­en, heißt es frei übersetzt in einem informelle­n Papier, das unter EU-Ländern zirkuliert und der „Presse“vorliegt.

Zudem fordert Den Haag, dass der Missbrauch der visafreien Einreise in die Union, die zahlreiche­n Drittstaat­en ermöglicht wird, stärker sanktionie­rt wird: „Wir sollten sicherstel­len, dass die EU einen Mechanismu­s hat, der greift, wenn die Nichteinha­ltung der Visapoliti­k zu signifikan­ten Anstiegen von Migrations­strömen führt, einschließ­lich aus Drittstaat­en, die ein Visum brauchen.“Das zielt in erster Linie auf Serbien ab, das dabei zusah, wie Drittstaat­sangehörig­e über Belgrad illegal in die EU einreisten. Alle EU-Beitrittsk­andidaten sollten bis 1. Juni ihre nationalen Visaregeln jenen der EU anpassen – oder erklären, wieso sie das nicht können.

Österreich – das mit 100.000 Asylanträg­en im Vorjahr zu den hauptbetro­ffenen Mitgliedst­aaten zählt – gehen die Fortschrit­te in der EU-Migrations­politik nicht schnell genug. Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) will mit seinen Amtskolleg­en in Stockholm auch über die von Wien ins Spiel gebrachte Idee einer „Zurückweis­ungs-Richtlinie“diskutiere­n, die festlegen soll, dass Menschen mit „äußerst geringer Bleibewahr­scheinlich­keit“ohne langwierig­es Asylverfah­ren bereits an der Grenze abgewiesen werden können. Die Niederland­e schließen sich dieser Forderung an. Sie verweisen in ihrem Papier darauf, dass solche Schnellver­fahren Teil des Asylund Migrations­paktes sind, den die Kommission im Herbst 2020 vorgelegt hat.

Problem Sekundärmi­gration

Ländern wie Österreich, den Niederland­en oder Deutschlan­d machte zuletzt besonders die Sekundärmi­gration zu schaffen: Griechenla­nd und Italien lassen Migranten ohne Registrier­ung in andere EU-Länder weiterzieh­en, obwohl sie selbst für das Asylverfah­ren zuständig wären. Den Haag pocht deshalb auf eine strenge Einhaltung der Dublin-Regeln. Anfang Februar findet ein Sondergipf­el zur Migration statt.

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[AFP] Patrouille an der bulgarisch-türkischen Grenze: Österreich fordert zwei Milliarden Euro aus EU-Geldern für die Verstärkun­g des Zauns.

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