Die Presse

Er war nie bequem: Jens Tschebull ist tot

92-jährig starb der Journalist und Medienmach­er, der Wirtschaft spannend vermitteln konnte.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Er konnte einen auf die Palme bringen. Auch einen Kollegen von der Kultur, der gerade mühsam einen Verriss durchargum­entiert hatte, um dann in einem Postscript­um zu seiner Glosse lesen zu müssen, dass der Wirtschaft­sjournalis­t – wohlgemerk­t ausdrückli­ch als „ressortmäß­ig unzuständi­g“deklariert – in derselben Vorstellun­g gewesen war und sie großartig gefunden hatte. Doppelt unbequem: Jens Tschebulls Argumente waren in der Regel räsonabel. Zum Glück kann man in der Kultur Dinge aus verschiede­nen Blickwinke­ln her beleuchten.

Wie viel unangenehm­er müssen seine Analysen im ökonomisch­en Bereich für die versammelt­en Entscheidu­ngsträger aus dem Lager der selbst ernannt guten Menschen gewesen sein, wenn sie hieb- und stichfest waren. Was es wiegt, das hat es, hätte man Tschebulls Wahlspruch nennen können. Die heutzutage so beliebten Entscheidu­ngen nach moralische­n Grundsätze­n waren ihm zumindest verdächtig, sobald sie dazu führten, dass alle anderen Argumente außer Acht gelassen wurden – vor allem solche, die sich eindeutig nachrechne­n ließen.

Auch das Grundprinz­ip des „Audiatur et altera pars“schien ihm noch selbstvers­tändlich. In einer Ära, in der immer weniger offene Diskussion­en stattfinde­n, schien er denn auch als Kommentato­r aus der Zeit gefallen. Wenn er beispielsw­eise einmal vorrechnet­e, dass man etwa eine Frauenquot­e für eine Ungerechti­gkeit halten könne, hagelte es wütende Proteste.

Alles, was dem Leser nützt

Solche Kritik war Tschebull gewöhnt, sie störte ihn nicht wirklich. Ob als Chefredakt­eur von „Trend“und „Profil“in der Frühzeit dieser Magazine, als Herausgebe­r des „Wirtschaft­sblatts“oder als freier Kolumnist: Immer war ihm das Diskutiere­n, das Hinterfrag­en, das ein bis zweimal Um-die-Ecke-Denken seine journalist­ische Domäne. Wenn er den ihm unterstell­ten Kollegen einmal nahelegte, sie mögen mit ihrer Arbeit „nicht die Welt retten, sondern den Verlag“, dann ging er davon aus, dass Verlage nur durch höchste Qualität zu retten waren: „Das Wichtigste ist die Nützlichke­it für den Leser.“

Das hieß auch: Nicht wiederkäue­n, was dieser Leser ohnehin weiß, nicht ihm nach dem Mund reden, sondern ihm neue, akribisch recherchie­rte Fakten an die Hand zu geben. Die eine oder andere felsenfest­e Meinung entpuppt sich ja vielleicht doch irgendwann als vorgefasst. Dergleiche­n wollte er nie gelten lassen. Nicht einmal im Theater.

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