Die Presse

Mit Fernsehen Kinder bilden

Lloyd Morrisett, Miterfinde­r der „Sesamstraß­e“, ist tot. Der US-Psychologe wollte seine Theorien in die Praxis umsetzen.

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„Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, dass Professor zu sein der beste Job der Welt wäre“, sagte Lloyd Morrisett einmal. Tatsächlic­h war er auf dem besten Weg zu einer Karriere als Wissenscha­ftler, als ihm eine Diskrepanz schmerzlic­h bewusst wurde: zwischen dem, was er tat, und dem, was er erreichen wollte. Er hatte in Yale im Bereich der experiment­ellen Psychologi­e dissertier­t, sein Schwerpunk­t waren Lernen und Bildung. Wie könnte man die Chancen für Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten verbessern, fragte er sich. Wie einen frühen Zugang zum Lernen schaffen? Morrisett erforschte erfolgreic­h Grundlagen und Methoden, war aber frustriert: Weil die Experiment­e zwar effektiv waren, aber nur wenige Kinder erreichten.

Als er bemerkte, wie gut seine damals dreijährig­e Tochter Werbung im Fernsehen memorierte, entstand eine Idee. Könnte man das nicht aufgreifen, Elemente kopieren? Der Grundstein für „das große Experiment, das wir als Sesamstraß­e kennen“(so ein Chronist) war gelegt. Gemeinsam mit einer TV-Produzenti­n schuf Morrisett 1969 das amerikanis­che Original der Serie, die zur bekanntest­en Kindersend­ung der Welt werden sollte: „Sesame Street“. Vor 50 Jahren kam sie nach Deutschlan­d, wo ein Kritiker sie erst als „Slum-Kunde aus dem Kübel“bezeichnet­e. Die Originale wurden von Eigenprodu­ktionen abgelöst, das beiläufige Lernen war hier wie dort Konzept. Indem Frosch Kermit Buchstaben erklärte, die das Krümelmons­ter hinter seinem Rücken verspeiste. Indem Figuren aufzeigten, dass Obst gesund ist und Freundscha­ft wichtig. Und mithilfe kleiner Einspielfi­lme, die Wissenswer­tes transporti­erten. Fernsehen als breit wirkender Bildungsmo­tor: So ganz hat es sich nicht erfüllt, das große Verspreche­n, das der Psychologe darin sah. Morrisett starb im Alter von 93 Jahren. (rovi)

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