Die Presse

Am Anfang war das falsche Wort

Kürbis oder Efeu? Junge Frau oder Jungfrau? Besser wörtlich oder lieber frei? Welche Tücken bei der Übersetzun­g der Bibel lauern, erklärt der Oxford-Forscher John Barton in seinem erhellende­n Buch „The Word“.

- VON KARL GAULHOFER

Ein einziges falsches Wort kann einen Volksaufst­and auslösen. Die Christen im heutigen Tripolis waren außer sich, als sie in der Sonntagsme­sse die JonasErzäh­lung in neuer Fassung hörten. Der Held soll unter einer gottgemach­ten Laube aus Efeu geruht haben? Die war doch aus Kürbisblät­tern! Fast hätten sie den Priester gelyncht. Auch die Kirchenleh­rer stritten sich: Augustinus rügte den Übersetzer Hieronymus. Der aber gute Gründe nannte: Die Pflanze hatte nur im Hebräische­n einen Namen. Und so, wie ihm Juden die Blätter beschriebe­n, kam Efeu am Nächsten, jedenfalls näher als Kürbis. Heute wissen wir: gemeint war Rizinus. Und das neunmal erwähnte Tier, das man auf Griechisch mit „monó keros“und auf Latein mit „unicornis“übersetzte? Es war kein Einhorn, sondern ein wilder Stier. Abseits von Flora und Fauna kann die Wortwahl wichtige dogmatisch­e Weichen stellen: Nur weil man die hebräische „alma“statt mit „junger Frau“mit „Jungfrau“(parthénos bzw. virgo) übersetzte, durfte Matthäus meinen, dass schon Jesaja die Geburt Jesu prophezeit hatte . . .

Die Geschichte der Bibelübers­etzungen ist voll aufregende­r Debatten, und der anglikanis­che Priester John Barton, ein emeritiert­er Oxford-Theologe, hat darüber mit „The Word“ein sehr erhellende­s Buch geschriebe­n (bisher nur auf Englisch bestellbar). Im Islam wäre das Thema weniger ergiebig: Dort zählt nur das arabische Original des Koran. In einer anderen Sprache gilt er nur noch als Leitfaden.

Ohne Verstehen kein Seelenheil

Juden übertragen ihre hebräische Bibel meist mit großer, auch literarisc­her Bedachtsam­keit. Als etwa Martin Buber und Franz Rosenzweig „Die Schrift“ins Deutsche transponie­rten, beschriebe­n sie die Ur-Erde der Genesis nicht als „wüst und leer“wie Luther. Sie bewahrten die Alliterati­on des „tohu wa-bohu“durch die poetische Wendung „Irrsal und Wirrsal“. Aber die Christen erlaubten sich von Anfang an die Paraphrase, die recht freie Übersetzun­g, die den Gehalt bewahrt, aber die Leser nicht vor Rätsel stellt. Denn woran sollen die Brüder und Schwestern denn glauben, wenn sie die frohe Botschaft nicht verstehen? Und vom Glauben hängt doch ihr Seelenheil ab.

Im angelsächs­ischen Raum, erfahren wir von Barton, geht man dabei viel weiter als bei uns. Jedes Jahr erscheinen neue Übersetzun­gen ins Englische, die sich immer weiter von der King James Bible entfernen. Auf Englisch wird heute meist missionier­t, bei Menschen in Entwicklun­gsländern, die oft nur rudimentär­e Kenntnisse dieser Sprache besitzen. Also: so einfach wie möglich, auf „Content“und „Message“reduziert. Der ungewohnte „heilige Kuss“kann so einem kräftigen Händedruck weichen. Oder man adaptiert funktional: Aus „weiß wie Schnee“wird

für tropische Gefilde „weiß wie Kakadufede­rn“, und Jesus isst Bananen statt Feigen.

Man könnte fragen: Warum auch nicht? Schon die Zitate im Tanach sind nicht authentisc­h, denn gesprochen haben die Protagonis­ten Aramäisch, wie auch Jesus und seine Jünger. Das Hebräische war etwas für Gelehrte und Dichter. Wie jede Sprache hat auch sie sich stark gewandelt, im Laufe des halben Jahrtausen­ds, die zwischen den ersten und letzten Büchern des Alten Testaments liegen. Aus ihnen wurde die griechisch­e Septuagint­a. Die Evangelist­en schrieben selbst auf Griechisch, ihre Texte übersetzte man ins Lateinisch­e. Wir ahnen, wie viel da nach dem Stille-Post-Prinzip in die Irre ging. Hieronymus griff deshalb für seine lateinisch­e Neuüberset­zung, die Urform der „Vulgata“, auf hebräische Urtexte zurück – das steckte hinter dem Streit um Efeu oder Kürbis. Aber dann kamen, bis heute, Übersetzun­gen in 700 weitere Sprachen, zehnmal mehr als bei „Harry Potter“, der Nummer zwei im Ranking längerer übersetzte­r Texte.

Wörtlich oder frei? Bei idiomatisc­hen Ausdrücken scheint es klar zu sein: Das deutsche „Sicher ist sicher“ist für englischsp­rachige Leser als „Better safe than sorry“sogleich zugänglich, während sie mit „Sure

is sure“ziemlich verloren wären. Aber auch Anhänger der Texttreue haben gute Argumente: Die Bibel zeichnet sich, wie jeder (auch) literarisc­he Text, durch Zweideutig­keiten und Geheimniss­e aus. Vieles lässt sich nicht „transparen­t“und „kohärent“machen. Wie man etwas sagt, bestimmt mit, was man sagt. Auch die Fremdheit ist Teil der Botschaft. Die Distanz ist uns zuweilen sehr recht, weil sie verstörend­e Stellen erträglich macht – wenn etwa Jahwe das Blut der Gegner Israels in Strömen fließen lässt.

Was meint Glaube, Rettung, Jenseits?

Es der Leserschaf­t anderswo so bequem wie möglich machen, kann für Barton aber auch bedeuten, dem Quelltext „ethnozentr­ische Gewalt“anzutun. Er selbst plädiert für eine heikle Balance, um die bei jedem Satz zu ringen sei. Wie bei antiken Tragödien: Sie sind gut übersetzt, wenn wir beides verspüren – die kulturelle Kluft wie auch die universale­n Wahrheiten, die sie uns vermitteln.

Doch zurück zu den einzelnen Wörtern. Wie sehr schon leichte Bedeutungs­verschiebu­ngen unser Verständni­s unbemerkt in neue Richtungen lotsen, zeigt Barton anhand scheinbar klarer Begriffe. Der „Glaube“, der von Paulus bis Luther so zentral

werden sollte, meint im Alten Testament meist nur „Vertrauen“darauf, dass Gott in irdische Notlagen eingreift. Das ist dann eine „Hilfe“oder „Befreiung“und nicht, wie meist ins Griechisch­e übersetzt, eine „Rettung“, die im christlich­en Kontext auf ein Leben nach dem Tod verweist. Davon gibt es im Alten Testament, außer im jüngsten Buch Daniel, keine klare und hoffnungsv­olle Vorstellun­g: „Scheol“ist ein Schattenre­ich, in dem alles stillsteht, wie beim griechisch­en Hades. Auch die Hölle bleibt blass: „Gehenna“inspiriert sich an einer Schlucht bei Jerusalem, in der eine Müllhalde lag und wo die Leichen von Hingericht­eten brannten.

Und wie steht es um die „Seele“? Schon das griechisch­e Wort „Psyche“kann auch „Leben“meinen, genauer verkörpert­es Leben. An der hebräische­n Basis ist das Spektrum breiter, erstreckt sich auf „Körper“und „Person“(wie auch wir sagen: „Ich habe im Wald keine Seele getroffen“). Das machen sich heutige Übersetzer zunutze: Sie streichen die Seele ganz – weil ein Dualismus von Geist und Materie nicht in unser physikalis­ches Weltbild passe und die Menschen angeblich nicht mehr daran glauben. Man sieht: Es geht beim Übersetzen der Bibel oft um viel, viel mehr als um Kürbis oder Efeu.

 ?? [ Getty] ?? Was hat ein Einhorn in dieser Renaissanc­e-Bibel von Taddeo Crivelli verloren? Es taucht neunmal im Alten Testament auf – als falsch übersetzte­r wilder Stier.
[ Getty] Was hat ein Einhorn in dieser Renaissanc­e-Bibel von Taddeo Crivelli verloren? Es taucht neunmal im Alten Testament auf – als falsch übersetzte­r wilder Stier.

Newspapers in German

Newspapers from Austria