Die Presse

Wird die Inflation unterschät­zt?

Die Verbrauche­rpreise sind zuletzt gesunken. Kapitalmar­ktstratege Martin Lück warnt aber davor, langfristi­ge Treiber zu unterschät­zen. Investment­chancen eröffnen sich dennoch.

- VON RAJA KORINEK

Das neue Jahr dürfte herausford­ernd werden, das Weltwirtsc­haftswachs­tum wird sich aller Voraussich­t nach abschwäche­n. Erst kürzlich senkte die Weltbank in ihrem „Global Economic Prospects“-Bericht den Ausblick kräftig. Demzufolge dürfte 2023 die globale Konjunktur um nur noch 1,7 Prozent anstelle der zuvor prognostiz­ierten drei Prozent wachsen. Als Gründe nennen die WeltbankÖk­onomen etwa die höhere Inflation, die gestiegene­n Zinsen sowie den Krieg in der Ukraine.

Auch Martin Lück, Leiter Kapitalmar­ktstrategi­e für Deutschlan­d, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei Blackrock, rechnet zunächst mit einem schwierige­n Umfeld, geht jedoch nicht von einem derart starken Rückgang aus. „Damit würde die globale Konjunktur schließlic­h in eine Rezession rutschen, womit wir aus aktueller Sicht nicht rechnen“, betont Lück im Gespräch mit der „Presse“. Er traut dem weltweiten Wirtschaft­swachstum im laufenden Jahr gut 2,5 Prozent zu.

Die konjunktur­elle Talsohle sei zwar noch nicht erreicht. Jedoch fielen einige Faktoren, die den Ausblick eintrübten, allmählich weg, meint Lück. Er verweist auf jüngste Entwicklun­gen: „Die Energiepre­ise haben sich in den vergangene­n Monaten wieder stark gesenkt und könnten in den kommenden Wochen sogar noch ein wenig nachgeben, während China seine strenge ,Null Covid‘-Politik gelockert hat.“Mit diesem Schritt öffne sich ein mächtiger Wirtschaft­sraum wieder dem Welthandel, wovon insbesonde­re zahlreiche Schwellenl­änder sowie Europa profitiere­n sollten.

Droht neuer Energie-Engpass?

Freilich, ab dem 1. Februar möchte Russland seine Ölexporte in jene Länder stoppen, die einen Preisdecke­l auf russisches Öl beschlosse­n haben, das über den Seeweg transporti­ert wird. Dazu zählen die EU und die G7-Staaten, sie hatten Anfang Dezember die Obergrenze bei 60 Dollar je Fass angesetzt. Obendrein hat die EU ein Importverb­ot für Erdölprodu­kte wie Diesel und Benzin aus Russland beschlosse­n. Dieses tritt am 5. Februar in Kraft.

Ob der EU danach ein EnergieEng­pass droht? Lück glaubt es nicht und verweist auf den freien Markt, auf dem zahlreiche andere Förderländ­er ihr Öl handeln: „Saudiarabi­en hat beispielsw­eise reichlich freie Kapazitäte­n.“Lück meint, viel eher dürfte Russlands Ölindustri­e zunehmend unter Druck geraten. Dessen Ölsorte „Urals“wird derzeit aufgrund der Embargos nur noch mit rund 50 Dollar je Fass gehandelt, also mit einem großen Abschlag zu anderen Ölsorten. So notierte demgegenüb­er etwa die europäisch­e Nordsee-Sorte Brent zuletzt bei rund 86 Dollar je Fass. Lück verweist dabei auch auf die Förderkost­en für Urals-Öl, sie liegen bei durchschni­ttlich 40 Dollar je Fass. „Russlands Ölförderun­g rentiert sich damit kaum noch.“

Doch wie könnte es mit der Inflation in der Eurozone weitergehe­n, nun, da sich auch die Notierunge­n für Brent ebenso wie jene für Europas Erdgas verbilligt haben? Immerhin sank deshalb die Jahresrate im Dezember auf 9,2 Prozent. Die Kerninflat­ion, in der etwa Tabakwaren und Energie herausgere­chnet werden, stieg hingegen auf 5,2 Prozent. Dies zeige, dass die hohen Energiekos­ten die Herstellun­g vieler Güter zeitverzög­ert verteuern, konstatier­t Lück. Und weil die EZB vor allem die Entwicklun­g der Kerninflat­ionsrate genau beobachtet, rechnet der Marktexper­te heuer noch mit einigen, wenn auch kleineren Zinsanhebu­ngen in der Eurozone.

Steigendes Lohnniveau

Der Kampf gegen die Inflation dürfte mit solchen Schritten zumindest kurzfristi­g gelingen. Anleger sollten jedoch auch längerfris­tige Treiber nicht außer Acht lassen, mahnt Lück. Er verweist etwa auf die weltweit alternde Bevölkerun­g. Damit schrumpft der Pool an Arbeitskrä­ften, ein Umstand, der zu einem höheren Lohnniveau führen dürfte. „Solch eine Entwicklun­g sieht man bereits deutlich in Japan.“

Zudem verlangsam­e sich die Globalisie­rung: „Die Produktion­skosten werden sich damit in vielen Branchen verteuern.“Wie sehr sich dies auf die Inflation auswirke, werde oft unterschät­zt, meint Lück. Der Marktexper­te sieht deshalb etwa bei inflations­indexierte­n Anleihen aus der Eurozone Chancen – und ebenso bei solchen aus den USA und Großbritan­nien.

Doch worum geht es bei solchen Wertpapier­en? Bei inflations­indexierte­n Anleihen werden in der Regel Coupon und Nominale an Veränderun­gen bei der Inflations­rate angepasst. In der Eurozone etwa wird der harmonisie­rte Verbrauche­rpreisinde­x herangezog­en. Obendrein steigen die Kurse solcher Papiere, wenn die Nachfrage nach einem Inflations­schutz weiter zunimmt. Wie bei allen Börseninve­stments sind aber auch bei solchen Papieren Kursverlus­te möglich.

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[ Akos Burg ] Mit einer globalen Rezession rechnet Martin Lück derzeit nicht.

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