Wien-Terror, die Tat einer Gruppe?
Mitte kommender Woche entscheidet sich, ob die Einzeltäter-These weiterhin haltbar ist. Geht es nach der Anklage gegen sechs Islamisten, hatte der Attentäter tatkräftige Helfer.
Der islamistische Attentäter K. F. hat am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen erschossen. Zudem fügte der 20-Jährige 23 weiteren Passanten oder Lokalgästen teilweise schwere Verletzungen zu.
Wäre der nordmazedonischösterreichische Doppelstaatsbürger albanischer Herkunft nicht von der Polizei getötet worden, hätte er bei einem späteren Prozess hinsichtlich der Todesopfer vierfachen Mord und in Bezug auf die Überlebenden etliche Mordversuche zu verantworten gehabt.
Eine bange Frage ist seit dem Anschlag offen: War K. F. wirklich ein Einzeltäter? Es gibt Islamisten, die sich quasi im Stillen radikalisieren, keiner Terrororganisation Gefolgschaft leisten, dennoch – ihren extremistischen Vorstellungen folgend – gegen „Ungläubige“losschlagen. Man nennt sie lone wolves, einsame Wölfe. Ein solcher war K. F. bestimmt nicht.
Ist er auch ohne Begleitung schwer bewaffnet von der Gemeindewohnung im 22. Bezirk in die Innenstadt gezogen, um Terror zu verbreiten, so hat er sich doch vor seinem Abmarsch zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt und dies auf Facebook und Instagram verbreitet. Dennoch hält sich die These vom Einzeltäter. Weil K. F. allein im Ausgehviertel Bermudadreieck auftauchte.
Zwei beste Freunde
Doch der junge Mann war alles andere als einsam. Er gehörte der Jihadistenszene an und hatte seit Kindheitstagen zwei strenggläubige Muslime als beste Freunde, die ihn noch am Nachmittag des 2. November 2020, ganz kurz vor dem Anschlag, besuchten. Diese beiden Männer und noch vier andere, darunter ein dem Staatsschutz wohlbekannter Mann aus Afghanistan, H. Z. (28), stehen dieser Tage in Wien vor Gericht. Sozusagen als Terrorhelfer. In der detailreichen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien kommt das Wort „Einzeltäter“nicht vor; die Staatsanwältin bezeichnet den Anschlag selbst mit dem (missverständlichen) Wort „Einzeltat“. Ebendiese habe K. F. als jemand verübt, der vom IS „inspiriert“worden sei. Noch im selben Satz steht das Wörtchen „allerdings“. Der Attentäter sei „im Vorfeld tatkräftig unterstützt“worden. Von den sechs Angeklagten.
Zur psychischen Seite: Wie „inspiriert“war der Attentäter tatsächlich? Tatsache ist: Er saß schon früher einmal wegen IS-Mitgliedschaft hinter Gittern. Dabei schwadronierte er vor Mithäftlingen von einem Anschlag auf dem Stephansplatz. Der Grad der Entschlossenheit des späteren Terroristen könnte im aktuellen Verfahren eine entscheidende Rolle spielen. Vier Männern des Islamistensextetts wird nämlich angelastet, K. F. bis kurz vor der Tat in seinem Entschluss „bestärkt“zu haben. Braucht jemand, der sich etwas in den Kopf setzt, „inspiriert“ist und diese Pläne sogar offen kundtut, überhaupt noch Bestärkung, also psychische Beihilfe? Wohl kaum, hört man – wenig überraschend – aus den Reihen der Verteidigung.
Doch die Anklage hat noch viel mehr Munition: Attentäter K. F. sei „auf fremde Hilfe angewiesen“gewesen. Vor allem bei der Beschaffung der Waffen und der Munition. Dass einige der nunmehrigen Angeklagten die Mordwaffen (mit-) organisierten, ist unstrittig. Diejenigen, die das taten, darunter vor allem der 32-jährige Tschetschene A. M., erklären aber, sie hätten nicht gewusst, wofür K. F. eine Kalaschnikow und eine Tokarew-Pistole brauchte. Wofür wohl?
DNA-Spuren auf den Waffen
Folgt man der Anklage weiter, gab es außer dem Bestärken des Attentäters und der Hilfe bei der Waffenbeschaffung noch weitere Assistenz. Etwa bei der Auswahl des Terrorziels oder bei der Beschaffung gefälschter Dokumente. Am meisten verdichtet stellt sich die mutmaßliche Beteiligung bei dem Mann aus Afghanistan dar. Er zog Anfang August 2020 sogar in die Wohnung des Attentäters. Seine DNA-Spuren fanden sich an den Tatwaffen, den Patronen und an anderen Gegenständen.
Er und K. F. sollen „gemeinsam eingehend an der Umsetzung des terroristischen Anschlags“zusammengearbeitet haben. Nicht nur diese beiden. Eine Kooperation wird allen sechs Angeklagten angelastet – bezogen auf den konkreten Terroranschlag. Daher sind die Männer (sie bekennen sich allesamt der Mitwirkung nicht schuldig) auch als Beitragstäter angeklagt. Das heißt: Die eingangs genannten Vorwürfe des vierfachen terroristischen Mords und des mehrfachen terroristischen Mordversuchs treffen alle sechs Angeklagten (als Beteiligte). In diesem Sinn wirkt es deplatziert, von der Einzeltäter-These zu sprechen.
In einem anderen Sinn, nämlich in jenem der Angeklagten, ist diese These genau richtig. Kommenden Mittwoch soll das Urteil fallen. Nämlich darüber, ob ein Einzeltäter oder eine Terrorgruppe für den Anschlag vom 2. November 2020 verantwortlich war.