Die Presse

Befindet sich Deutschlan­d im Krieg?

Berlin liefert moderne Kampfpanze­r, die Außenminis­terin spricht von einem „Krieg gegen Russland“. Wo die roten Linien liegen, ab denen ein Land zur Konfliktpa­rtei wird.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Es waren ungewöhnli­che Worte, die Annalena Baerbock im französisc­hen Straßburg wählte. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinan­der“, sagte die deutsche Außenminis­terin am Dienstag in einer Debatte im Europarat. Die Deutschen im Krieg gegen die Russen?

Die staatliche Propaganda des Kreml griff Baerbocks unbedachte­n Sager schnell auf. Das Auswärtige Amt versuchte, den Satz wieder einzufange­n. Die Linie der deutschen Regierung sei seit einem Jahr klar: Berlin sieht sich in der Ukraine nicht als Kriegspart­ei. Wo dabei im Völkerrech­t die Grenze verläuft und warum die Frage danach überhaupt wichtig ist.

1 Was ist im 21. Jahrhunder­t überhaupt eine Kriegspart­ei?

Der Begriff „Kriegspart­ei“gilt Juristen als lang überholt. Er stammt aus dem 19. Jahrhunder­t, als Staaten noch Depeschen mit gegenseiti­gen Kriegserkl­ärungen übermittel­ten. Die Idee des Rechts auf Gewalt eines Staates gegen einen anderen Staat wurde im Jahr 1928 geächtet. Heute gibt es „für den Krieg rechtlich grundsätzl­ich keine Grundlage mehr“, schreibt Stefan Talmon, Völkerrech­tler an der Universitä­t Bonn. Mit zwei Ausnahmen: der Selbstvert­eidigung und der militärisc­hen Interventi­on mit Segen des UN-Sicherheit­srates.

Im konkreten Fall heißt das: Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist laut Juristen völkerrech­tswidrig. Dass die Ukrainer sich mit Gewalt verteidige­n, ist wiederum erlaubt. Festgelegt ist in weiterer Folge auch: Wer der Ukraine zu Hilfe eilt, befindet sich auf rechtlich sicherem Boden.

2 Kann Russland die Deutschen wegen ihrer Panzer angreifen?

Nein, zumindest nicht nach dem Völkerrech­t. Deutschlan­d – und auch andere Länder – dürfen der Ukraine helfen, sich gegen den Angriff zu verteidige­n. Dabei ist es nicht wichtig, ob Deutschlan­d nur Helme liefert oder Kampfpanze­r wie nun mit dem Leopard 2. Theoretisc­h könnte Berlin auch Truppen schicken. Damit würde aus der Selbstvert­eidigung der Ukrainer eine „kollektive Selbstvert­eidigung“– und Deutschlan­d wäre klar Konfliktpa­rtei. Weil Russlands Angriff auf die Ukraine von vornherein illegal ist, gäbe das Moskau aber nicht das Recht, nun deutsches Staatsgebi­et anzugreife­n.

3 Wo verläuft die Linie, ab der ein Land zur Konfliktpa­rtei wird?

Die Linie ist überschrit­ten, sobald ein Land eigene Truppen schickt oder Angriffe mit Raketen oder Flugzeugen vom eigenen Staatsgebi­et aus zulässt. Deswegen zählt der Völkerrech­tler Ralph Janik von der Wiener Sigmund-Freud-Universitä­t beispielsw­eise den ukrainisch­en Nachbarn Belarus als Konfliktpa­rtei aufseiten Moskaus.

Nicht über die Linie treten Länder, die Waffen liefern. Dabei ist es laut einer Expertise des Wissenscha­ftlichen Dienstes des deutschen Bundestage­s „rechtlich unerheblic­h“, ob es sich dabei um Raketen, Gewehre, Kampfpanze­r oder sogar Kampfjets handelt.

Zwischen den beiden Linien befindet sich allerdings ein schmaler Graustreif­en. „Wenn neben der Belieferun­g mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpa­rtei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherte­n Bereich der Nichtkrieg­sführung verlassen“, schrieb der wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s im März. Dabei beziehen sich die Autoren auf den Völkerrech­tler Pierre Thielbörge­r von der Ruhr-Universitä­t Bochum – der allerdings betont, dass seine Aussage vom konkreten Einzelfall abhängt.

4 Wie weit darf die Ukraine bei ihrer Selbstvert­eidigung gehen?

Ziemlich weit. „Die Selbstvert­eidigung ist nicht auf das eigene Staatsgebi­et beschränkt, sondern richtet sich danach, wie intensiv der Angriff ist, dem man ausgesetzt ist“, sagt Völkerrech­tler Janik. „Weil der russische Angriff so brutal ist, darf die Ukraine theoretisc­h sehr weit in russisches Gebiet eindringen. Rechtlich könnte sie sogar in Moskau einmarschi­eren.“

Warum ist überhaupt wichtig, wer rechtlich eine Konfliktpa­rtei ist?

Die deutsche Regierung hat politisch entschiede­n, in der Ukraine keinesfall­s zur Kriegspart­ei zu werden. „Den politische­n Begriff kann man anhand des Völkerrech­ts deuten, deswegen spielt das eine Rolle“, sagt Völkerrech­tler Janik.

Zwar mag sich Wladimir Putin nicht um internatio­nales Recht kümmern. Den Deutschen selbst dient die legale Eingrenzun­g allerdings als Richtschnu­r für das eigene Handeln. Damit schließen sie aus, dass deutsche Bodentrupp­en in der Ukraine eingesetzt werden oder Kampfjets von deutschem Boden ihre Missionen fliegen.

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[ Getty Images / Thomas Koehler ] „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“, sagte die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock unbedacht.

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