Die Zeit läuft ab für von der Leyen
Die Kommissionspräsidentin lässt es offen, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Denn dafür müsste sie wahlkämpfen. Ihre Partei positioniert schon Alternativen.
Während ihre fünfjährige Amtszeit in die Zielgerade einbiegt, wird eine Frage immer lauter: Will Ursula von der Leyen auch nach 2024 Präsidentin der Europäischen Kommission bleiben? Sowohl offiziell als auch in Hintergrundgesprächen hält sie ihre Karten verdeckt. Es gebe persönliche Beweggründe, die dafür, andere, die dagegen sprächen. Sie habe sich folglich noch nicht festgelegt.
Die beiden vermutlich wichtigsten dieser Gründe finden sich auf den Seiten 131 und 177 des Koalitionsvertrags, den SPD, FDP und Grüne voriges Jahr besiegelt haben. „Wir unterstützen ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit teils transnationalen Listen und einem verbindlichen Spitzenkandidatensystem“, steht da erstens. Und zweitens: „Das Vorschlagsrecht für die Europäische Kommissarin oder den Europäischen Kommissar liegt bei Bündnis 90 / Die Grünen, sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt.“
Deutsche Grüne halten Trumpfkarte
Die deutsche Bundesregierung hat sich also erstens darauf festgelegt, dass sie am Spitzenkandidatensystem festhalten will. Sprich: Jene transeuropäische Partei, die bei den Europawahlen im Mai 2024 die meisten Stimmen erhält, soll das Amt an der Spitze der Kommission besetzen. Und wenn sich zweitens aus dieser Wahl heraus keine Konstellation ergibt, die Deutschland dieses Amt zugesteht, sollen die Grünen bestimmen dürfen, wer deutscher EU-Kommissar wird.
Wenn die deutsche Regierung also eine deutsche Kommissionsspitze über 2024 hinaus haben möchte, dann kann das nur von der Leyen werden. Denn es ist ausgeschlossen, dass derselbe Mitgliedstaat zweimal hintereinander diesen Chefposten erhält. Doch wenn von der Leyen eine zweite Amtszeit möchte, wird sie für ihre Europäische Volkspartei (EVP) als Spitzenkandidatin in den Ring steigen müssen und europaweit Wahlkampf führen. Ob ihr dies liegt, ist fraglich. Von der Leyen, die in Brüssel in einem kleinen Zimmer im Berlaymont-Gebäude der Kommission wohnt, meidet öffentliche Auftritte, die ihr PR-Team nicht komplett kontrollieren kann. Zudem ist die Arbeit als Kommissionspräsidentin so zeitaufwendig, dass sich parallel dazu eine wochenlange Wahltournee schwer organisieren ließe.
Metsola, die modernere von der Leyen
Darüber hinaus ist es offen, ob die EVP nächstes Jahr erneut als stimmenstärkste Partei aus der Europawahl hervorgehen wird. Zwar sind einige ihrer Landesparteien, die vor fünf Jahren nicht so gut abgeschnitten haben, derzeit im Aufwind. So liegt beispielsweise der spanische Partido Popular in Umfragen derzeit vor den regierenden Sozialisten. Spanien bringt als drittgrößtes Mitgliedsland viele Abgeordnete ins Europaparlament.
Doch es ist zu erwarten, dass die Wahl Europaskeptiker und Gegner der Integration an den linken und rechten Rändern des politischen Spektrums stärken wird. Insofern ist es nicht überraschend, dass Manfred Weber, der Chef der EVP, immer offener eine mögliche Alternative zu von der Leyen in Position bringt. Roberta Metsola, die Präsidentin des Parlaments, und von der Leyen seien „überzeugende Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Profil. Beide wären hervorragende Spitzenkandidatinnen“, sagte der Bayer dieser Tage zur „Berliner Morgenpost“. Beide eint ein professionelles Auftreten und hohe Disziplin in der Kontrolle ihres öffentlichen Bildes, doch die 44-jährige Maltesin ist genau zwei Jahrzehnte jünger als von der Leyen und könnte insofern eine Kampagne als Kandidatin der Jugend führen (sie wäre im Fall der Fälle mit 45 Jahren die bisher jüngste Kommissionspräsidentin). Sie ist im Umgang mit den Medien und der Öffentlichkeit lockerer als von der Leyen, wäre also eine moderne Kandidatin.
Allerdings würden diesfalls einige ethisch zweifelhafte Entscheidungen, die sie schon in ihrem ersten Amtsjahr getroffen hat, stärker thematisiert werden. So drückte sie ihren Kabinettschef, den Italiener Alessandro Chiocchetti, als Generalsekretär des Parlaments durch, obwohl ihm die formalen Qualifikationen fehlten. Als Ersatz wollte sie ihren Schwager installieren, wovon sie nach einem medialen Aufschrei abließ. Und dieser Tage wurde bekannt, dass sie sich im Mai vorigen Jahres von der Stiftung des ukrainischen Oligarchen Viktor Pintschuk zum Weltwirtschaftsforum in Davos hatte einladen lassen – ohne dies artig zu vermelden.