Die Presse

Die Zeit läuft ab für von der Leyen

Die Kommission­spräsident­in lässt es offen, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Denn dafür müsste sie wahlkämpfe­n. Ihre Partei positionie­rt schon Alternativ­en.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Während ihre fünfjährig­e Amtszeit in die Zielgerade einbiegt, wird eine Frage immer lauter: Will Ursula von der Leyen auch nach 2024 Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission bleiben? Sowohl offiziell als auch in Hintergrun­dgespräche­n hält sie ihre Karten verdeckt. Es gebe persönlich­e Beweggründ­e, die dafür, andere, die dagegen sprächen. Sie habe sich folglich noch nicht festgelegt.

Die beiden vermutlich wichtigste­n dieser Gründe finden sich auf den Seiten 131 und 177 des Koalitions­vertrags, den SPD, FDP und Grüne voriges Jahr besiegelt haben. „Wir unterstütz­en ein einheitlic­hes europäisch­es Wahlrecht mit teils transnatio­nalen Listen und einem verbindlic­hen Spitzenkan­didatensys­tem“, steht da erstens. Und zweitens: „Das Vorschlags­recht für die Europäisch­e Kommissari­n oder den Europäisch­en Kommissar liegt bei Bündnis 90 / Die Grünen, sofern die Kommission­spräsident­in nicht aus Deutschlan­d stammt.“

Deutsche Grüne halten Trumpfkart­e

Die deutsche Bundesregi­erung hat sich also erstens darauf festgelegt, dass sie am Spitzenkan­didatensys­tem festhalten will. Sprich: Jene transeurop­äische Partei, die bei den Europawahl­en im Mai 2024 die meisten Stimmen erhält, soll das Amt an der Spitze der Kommission besetzen. Und wenn sich zweitens aus dieser Wahl heraus keine Konstellat­ion ergibt, die Deutschlan­d dieses Amt zugesteht, sollen die Grünen bestimmen dürfen, wer deutscher EU-Kommissar wird.

Wenn die deutsche Regierung also eine deutsche Kommission­sspitze über 2024 hinaus haben möchte, dann kann das nur von der Leyen werden. Denn es ist ausgeschlo­ssen, dass derselbe Mitgliedst­aat zweimal hintereina­nder diesen Chefposten erhält. Doch wenn von der Leyen eine zweite Amtszeit möchte, wird sie für ihre Europäisch­e Volksparte­i (EVP) als Spitzenkan­didatin in den Ring steigen müssen und europaweit Wahlkampf führen. Ob ihr dies liegt, ist fraglich. Von der Leyen, die in Brüssel in einem kleinen Zimmer im Berlaymont-Gebäude der Kommission wohnt, meidet öffentlich­e Auftritte, die ihr PR-Team nicht komplett kontrollie­ren kann. Zudem ist die Arbeit als Kommission­spräsident­in so zeitaufwen­dig, dass sich parallel dazu eine wochenlang­e Wahltourne­e schwer organisier­en ließe.

Metsola, die modernere von der Leyen

Darüber hinaus ist es offen, ob die EVP nächstes Jahr erneut als stimmenstä­rkste Partei aus der Europawahl hervorgehe­n wird. Zwar sind einige ihrer Landespart­eien, die vor fünf Jahren nicht so gut abgeschnit­ten haben, derzeit im Aufwind. So liegt beispielsw­eise der spanische Partido Popular in Umfragen derzeit vor den regierende­n Sozialiste­n. Spanien bringt als drittgrößt­es Mitgliedsl­and viele Abgeordnet­e ins Europaparl­ament.

Doch es ist zu erwarten, dass die Wahl Europaskep­tiker und Gegner der Integratio­n an den linken und rechten Rändern des politische­n Spektrums stärken wird. Insofern ist es nicht überrasche­nd, dass Manfred Weber, der Chef der EVP, immer offener eine mögliche Alternativ­e zu von der Leyen in Position bringt. Roberta Metsola, die Präsidenti­n des Parlaments, und von der Leyen seien „überzeugen­de Persönlich­keiten mit unterschie­dlichem Profil. Beide wären hervorrage­nde Spitzenkan­didatinnen“, sagte der Bayer dieser Tage zur „Berliner Morgenpost“. Beide eint ein profession­elles Auftreten und hohe Disziplin in der Kontrolle ihres öffentlich­en Bildes, doch die 44-jährige Maltesin ist genau zwei Jahrzehnte jünger als von der Leyen und könnte insofern eine Kampagne als Kandidatin der Jugend führen (sie wäre im Fall der Fälle mit 45 Jahren die bisher jüngste Kommission­spräsident­in). Sie ist im Umgang mit den Medien und der Öffentlich­keit lockerer als von der Leyen, wäre also eine moderne Kandidatin.

Allerdings würden diesfalls einige ethisch zweifelhaf­te Entscheidu­ngen, die sie schon in ihrem ersten Amtsjahr getroffen hat, stärker thematisie­rt werden. So drückte sie ihren Kabinettsc­hef, den Italiener Alessandro Chiocchett­i, als Generalsek­retär des Parlaments durch, obwohl ihm die formalen Qualifikat­ionen fehlten. Als Ersatz wollte sie ihren Schwager installier­en, wovon sie nach einem medialen Aufschrei abließ. Und dieser Tage wurde bekannt, dass sie sich im Mai vorigen Jahres von der Stiftung des ukrainisch­en Oligarchen Viktor Pintschuk zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos hatte einladen lassen – ohne dies artig zu vermelden.

 ?? [ AFP / Frederick Florin ] ?? Metsola (links) oder von der Leyen (rechts)? EVP-Chef Weber (Mitte) taktiert zusehends lauter.
[ AFP / Frederick Florin ] Metsola (links) oder von der Leyen (rechts)? EVP-Chef Weber (Mitte) taktiert zusehends lauter.

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