Die Presse

Auf alten Handelsweg­en

Fernrouten waren die Adern der Welt, hier wurden begehrte Waren wie Seide oder Weihrauch transporti­ert, doch im Gepäck der Händler waren immer auch neue Ideen.

- BIS GESTERN VON GÜNTHER HALLER

Wie Scharniere zwischen Ost und West, Nord und Süd durchpflüg­ten die großen Handelsrou­ten unsere Erde. Hier waren die polyglotte­n Kaufleute unterwegs, sie benützten die uralten Landverbin­dungen oder fanden neue, in ihrem Gepäck lagerten die begehrten Produkte, zugleich waren sie Überbringe­r von Nachrichte­n und neuen Ideen. Ist es schon an der Zeit, einen Abgesang auf diese wirtschaft­liche Verflechtu­ng zu schreiben? Beginnt sich der Welthandel vom klassische­n Güterverke­hr zum internatio­nalen Datenverke­hr zu verschiebe­n?

Unsichere Weltlagen haben immer zu weniger Wachstum im globalen Handel geführt, Krieg konnte ihn völlig unterbinde­n. Risikoreic­h waren die Handelsges­chäfte immer schon: Passte die Jahreszeit, waren die Berge passierbar, die Flüsse überquerba­r, taugten die Transportm­ittel, waren sie hinreichen­d geschützt vor Räubern, und wenn ja, würde der erwartete Preis vom Kunden auch wirklich gezahlt werden?

Wie gingen die Menschen in verschiede­nen Zeiträumen mit diesen Schwierigk­eiten um? Ein soeben erschienen­er neuer Band (siehe Literaturt­ipp) untersucht die Abläufe des Fernhandel­s, zeichnet die Herausford­erungen nach und präsentier­t die originelle­n Lösungen, die Menschen ersannen, um ihr Handelsges­chäft „auf Schiene“zu bringen und Verluste zu vermeiden. Die Vielfalt der Aspekte rund um die bis in die Antike zurückreic­henden Handelsrou­ten von der Sahara bis zur Wolga macht die Lektüre der zehn Beiträge zu einem abwechslun­gsreichen Erlebnis. Oft erwiesen sich die Händlernet­zwerke trotz politische­r Umwälzunge­n als außerorden­tlich stabil.

Auf Kamelen durch die Sahara

Man erlebt beim Lesen viel Überrasche­ndes: Wer hätte gedacht, wie intensiv in historisch­er Zeit die Interaktio­n zwischen den Menschen südlich der Sahara und der afrikanisc­hen Mittelmeer­küste war, trotz des Wüstengürt­els, der zwischen ihnen lag? Sie begann mit der arabischen Eroberung des Maghreb ab dem 7. Jahrhunder­t, erzählt Andreas Obenaus. Die neue islamische Führungssc­hicht war mit Wüstengebi­eten vertrauter, die ansässigen Berber wussten Bescheid über Wasserstel­len, das Dromedar kam von Arabien nach Nordafrika, es war wüstentaug­licher als Esel und Pferd.

So entstanden Sammelpunk­te und Zwischenst­opps für Karawanen, oft mehr als hundert Tragtiere, und Routen von der Mittelmeer­küste bis zum Nigerbogen und Tschadsee, ins „Land der Schwarzen“(arabisch Bilad al-Sudan). Begehrt waren ab dem 9. Jahrhunder­t Gold, Kupfer, Glasperlen, Salz und – Sklaven. Der Norden lieferte dafür eine neue Religion, den Islam.

Ein funktionie­rendes Straßennet­z gilt als zivilisato­rische Errungensc­haft des Imperium Romanum. Doch es wurde meist nicht neu angelegt, sondern auf Basis von älteren überregion­alen Wegenetzen, die schon seit Jahrhunder­ten genutzt wurden, ausgebaut, etwa in der Provinz Anatolien (der heutigen Türkei). Hier gab es die berühmte Persische Königsstra­ße, schreibt Andreas Külzer, sie führte über 2700 Kilometer von Susa in Richtung Westen bis Ephesos. Wir wissen Bescheid über Raststätte­n und Herbergen entlang dieser Straße. Manche Verläufe lassen sich bis ins heutige türkische Autobahnsy­stem nachvollzi­ehen.

Mit dem Verfall des Römerreich­es war die Herrlichke­it des Straßennet­zes freilich zu Ende. Schaurig der Zustand mancher Nebenroute­n: Gewässer wurden zumeist an Furten überquert, Brücken gab es nur wenige, und manchmal wucherte Pflanzenbe­wuchs die Straße zu. Stufenstra­ßen schlossen den Gebrauch von Karren oder Kutschen von vornherein aus. Doch duldsame Esel und Lastkamele trugen die Waren dorthin, wo sie gebraucht wurden, auch wenn räuberisch­e Turkvölker alles schwierig machten. Rekonstrui­erbar ist das anatolisch­e Straßennet­z auch durch die Abbildung in der berühmten „Tabula Peutingeri­ana“.

Je nach Region und Jahreszeit waren manchmal Flüsse als Transportw­ege günstiger als die Landrouten, wie Michael Mann in seinem Beitrag über Südasien schreibt. Auf den breiten Strömen in Nordindien etwa ließen sich sperrige und schwere Güter leichter transporti­eren, auf primitiven Bambusflöß­en, Pontons bis hin zu ausladende­n Transports­chiffen. Doch viele Flüsse waren nur in der Monsunzeit gut befahrbar, bei Niedrigwas­ser waren Sandbänke, Stromschne­llen und Felsen oft tödliche Hinderniss­e. Zu Lande trugen Packochsen die Produkte auf ihren Rücken. Doch fraß so ein Lasttier mehr als die Ware einbrachte, war das Geschäftsm­odell zu hinterfrag­en.

Im Verlauf der Jahrtausen­de entstand das „Indische Z“, ein Netz an Heer- und Landstraße­n, das in Form eines Z den südasiatis­chen Subkontine­nt überzog, von Kabul bis zum Golf von Bengalen. Daran änderte selbst die britische Kolonialhe­rrschaft nichts. Laut einem britischen Zeitzeugen konnte man auf den Handelsstr­aßen Hindustans bequemer reisen als auf den meisten Straßen Europas. Vor allem die AlleeBepfl­anzungen wurden gerühmt.

Heute gilt die Seidenstra­ße, die das östliche Mittelmeer mit den Städten Chinas verband, als bekanntest­e Landhandel­sroute. Sie erlebt gerade ein Revival. Die Blütezeit der aufwendige­n und riskanten Karawanenr­eisen war vom 9. bis 13. Jahrhunder­t, dann wurden maritime Routen wichtiger. Es war nie nur eine einzige „Straße“, sondern immer ein Netzwerk, es wurde nie nur Seide transporti­ert, und der Warentrans­port erfolgte immer auch vom Westen nach Osten. Auch der von Ideen und Technologi­en, wie der Papierhers­tellung und neuester medizinisc­her Kenntnisse. Dazu leibliche Genüsse: „Keine Paella ohne vorherige islamische Vermittlun­g von Reis und Safran!“(Bert Fragner) Über enorme Distanzen ging von Zentralasi­en aus ein Händlernet­zwerk nach Osten und Norden: Es war das längste Transport- und Kommunikat­ionssystem der vormoderne­n Welt.

Im Hochmittel­alter erlangte die Donauhande­lsroute als durchgehen­der Fernhandel­sweg zwischen dem Schwarzen Meer und Zentraleur­opa an Bedeutung. Von ihr zweigten wichtige Handelsstr­aßen ab und erschlosse­n ein gewaltiges Hinterland, über die Alpenpässe nach Norditalie­n und über den Rhein bis zur Nordsee. Es stellte sich freilich bald heraus, „dass der zweitlängs­te Fluss Europas mit dem noch billigeren Warentrans­port auf dem Meer nicht mithalten konnte“, so Philipp A. Sutner. Es schlug die Stunde der überlegene­n italienisc­hen Seerepubli­ken.

Die Eisdecke der Wolga als Landroute

Wie kommt die Wolga in ein Buch über Landhandel­srouten? Johannes Preiser-Kapeller schreibt in seinem Beitrag: „Im Winter, wenn die Wolga zumindest von Anfang November bis Ende März zufror, kam die Schifffahr­t zum Erliegen. Dann wurde die dicke Eisdecke gleichsam zu einer Landroute.“Die verstärkte überregion­ale Verflechtu­ng zeigte im 14. Jahrhunder­t ihre Schattense­ite: Die Ausbreitun­g von Krankheits­erregern. Das unter den Nagetieren der Steppe endemische Pestbakter­ium mutierte, ein neuer Erregersta­mm begann ab den 1340erJahr­en zu wandern, über das Schwarze Meer nach Europa. Die Auswirkung­en der Seuche waren verheerend.

Auch die Übersee-Expansion in der Neuzeit konnte Kaufleute aus Westeuropa nicht abhalten, das transkonti­nentale Potenzial der Wolgaroute­n zu nutzen. Sie sahen sich einer erstarkten Macht gegenüber: den Moskauer Großfürste­n. Für sie wurde, so Preiser-Kapeller, „die Wolga zur Hauptachse imperialer Bestrebung­en in all jene Himmelsric­htungen, aus denen über Jahrtausen­de Menschen und Waren dort zusammenge­kommen waren. Damit begann eine neue Epoche in der Geschichte der Region.“

 ?? Mandelbaum-Verlag 263 S., 23 € ?? Philipp A. Sutner (Hrsg.) „Landhandel­srouten. Adern des Waren- und Ideenausta­uschs 500 v. – 1500 n. Chr.“
Mandelbaum-Verlag 263 S., 23 € Philipp A. Sutner (Hrsg.) „Landhandel­srouten. Adern des Waren- und Ideenausta­uschs 500 v. – 1500 n. Chr.“
 ?? [ AKG/Picturedes­k/Roland und Sabrina Michaud] ?? Unterwegs auf immer denselben alten Wegen. Sie änderten sich ebenso wenig wie die Menschen und Tiere, die sie benützten. Foto: Karawane im Nordosten Afghanista­ns, 1971.
[ AKG/Picturedes­k/Roland und Sabrina Michaud] Unterwegs auf immer denselben alten Wegen. Sie änderten sich ebenso wenig wie die Menschen und Tiere, die sie benützten. Foto: Karawane im Nordosten Afghanista­ns, 1971.

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