Auf alten Handelswegen
Fernrouten waren die Adern der Welt, hier wurden begehrte Waren wie Seide oder Weihrauch transportiert, doch im Gepäck der Händler waren immer auch neue Ideen.
Wie Scharniere zwischen Ost und West, Nord und Süd durchpflügten die großen Handelsrouten unsere Erde. Hier waren die polyglotten Kaufleute unterwegs, sie benützten die uralten Landverbindungen oder fanden neue, in ihrem Gepäck lagerten die begehrten Produkte, zugleich waren sie Überbringer von Nachrichten und neuen Ideen. Ist es schon an der Zeit, einen Abgesang auf diese wirtschaftliche Verflechtung zu schreiben? Beginnt sich der Welthandel vom klassischen Güterverkehr zum internationalen Datenverkehr zu verschieben?
Unsichere Weltlagen haben immer zu weniger Wachstum im globalen Handel geführt, Krieg konnte ihn völlig unterbinden. Risikoreich waren die Handelsgeschäfte immer schon: Passte die Jahreszeit, waren die Berge passierbar, die Flüsse überquerbar, taugten die Transportmittel, waren sie hinreichend geschützt vor Räubern, und wenn ja, würde der erwartete Preis vom Kunden auch wirklich gezahlt werden?
Wie gingen die Menschen in verschiedenen Zeiträumen mit diesen Schwierigkeiten um? Ein soeben erschienener neuer Band (siehe Literaturtipp) untersucht die Abläufe des Fernhandels, zeichnet die Herausforderungen nach und präsentiert die originellen Lösungen, die Menschen ersannen, um ihr Handelsgeschäft „auf Schiene“zu bringen und Verluste zu vermeiden. Die Vielfalt der Aspekte rund um die bis in die Antike zurückreichenden Handelsrouten von der Sahara bis zur Wolga macht die Lektüre der zehn Beiträge zu einem abwechslungsreichen Erlebnis. Oft erwiesen sich die Händlernetzwerke trotz politischer Umwälzungen als außerordentlich stabil.
Auf Kamelen durch die Sahara
Man erlebt beim Lesen viel Überraschendes: Wer hätte gedacht, wie intensiv in historischer Zeit die Interaktion zwischen den Menschen südlich der Sahara und der afrikanischen Mittelmeerküste war, trotz des Wüstengürtels, der zwischen ihnen lag? Sie begann mit der arabischen Eroberung des Maghreb ab dem 7. Jahrhundert, erzählt Andreas Obenaus. Die neue islamische Führungsschicht war mit Wüstengebieten vertrauter, die ansässigen Berber wussten Bescheid über Wasserstellen, das Dromedar kam von Arabien nach Nordafrika, es war wüstentauglicher als Esel und Pferd.
So entstanden Sammelpunkte und Zwischenstopps für Karawanen, oft mehr als hundert Tragtiere, und Routen von der Mittelmeerküste bis zum Nigerbogen und Tschadsee, ins „Land der Schwarzen“(arabisch Bilad al-Sudan). Begehrt waren ab dem 9. Jahrhundert Gold, Kupfer, Glasperlen, Salz und – Sklaven. Der Norden lieferte dafür eine neue Religion, den Islam.
Ein funktionierendes Straßennetz gilt als zivilisatorische Errungenschaft des Imperium Romanum. Doch es wurde meist nicht neu angelegt, sondern auf Basis von älteren überregionalen Wegenetzen, die schon seit Jahrhunderten genutzt wurden, ausgebaut, etwa in der Provinz Anatolien (der heutigen Türkei). Hier gab es die berühmte Persische Königsstraße, schreibt Andreas Külzer, sie führte über 2700 Kilometer von Susa in Richtung Westen bis Ephesos. Wir wissen Bescheid über Raststätten und Herbergen entlang dieser Straße. Manche Verläufe lassen sich bis ins heutige türkische Autobahnsystem nachvollziehen.
Mit dem Verfall des Römerreiches war die Herrlichkeit des Straßennetzes freilich zu Ende. Schaurig der Zustand mancher Nebenrouten: Gewässer wurden zumeist an Furten überquert, Brücken gab es nur wenige, und manchmal wucherte Pflanzenbewuchs die Straße zu. Stufenstraßen schlossen den Gebrauch von Karren oder Kutschen von vornherein aus. Doch duldsame Esel und Lastkamele trugen die Waren dorthin, wo sie gebraucht wurden, auch wenn räuberische Turkvölker alles schwierig machten. Rekonstruierbar ist das anatolische Straßennetz auch durch die Abbildung in der berühmten „Tabula Peutingeriana“.
Je nach Region und Jahreszeit waren manchmal Flüsse als Transportwege günstiger als die Landrouten, wie Michael Mann in seinem Beitrag über Südasien schreibt. Auf den breiten Strömen in Nordindien etwa ließen sich sperrige und schwere Güter leichter transportieren, auf primitiven Bambusflößen, Pontons bis hin zu ausladenden Transportschiffen. Doch viele Flüsse waren nur in der Monsunzeit gut befahrbar, bei Niedrigwasser waren Sandbänke, Stromschnellen und Felsen oft tödliche Hindernisse. Zu Lande trugen Packochsen die Produkte auf ihren Rücken. Doch fraß so ein Lasttier mehr als die Ware einbrachte, war das Geschäftsmodell zu hinterfragen.
Im Verlauf der Jahrtausende entstand das „Indische Z“, ein Netz an Heer- und Landstraßen, das in Form eines Z den südasiatischen Subkontinent überzog, von Kabul bis zum Golf von Bengalen. Daran änderte selbst die britische Kolonialherrschaft nichts. Laut einem britischen Zeitzeugen konnte man auf den Handelsstraßen Hindustans bequemer reisen als auf den meisten Straßen Europas. Vor allem die AlleeBepflanzungen wurden gerühmt.
Heute gilt die Seidenstraße, die das östliche Mittelmeer mit den Städten Chinas verband, als bekannteste Landhandelsroute. Sie erlebt gerade ein Revival. Die Blütezeit der aufwendigen und riskanten Karawanenreisen war vom 9. bis 13. Jahrhundert, dann wurden maritime Routen wichtiger. Es war nie nur eine einzige „Straße“, sondern immer ein Netzwerk, es wurde nie nur Seide transportiert, und der Warentransport erfolgte immer auch vom Westen nach Osten. Auch der von Ideen und Technologien, wie der Papierherstellung und neuester medizinischer Kenntnisse. Dazu leibliche Genüsse: „Keine Paella ohne vorherige islamische Vermittlung von Reis und Safran!“(Bert Fragner) Über enorme Distanzen ging von Zentralasien aus ein Händlernetzwerk nach Osten und Norden: Es war das längste Transport- und Kommunikationssystem der vormodernen Welt.
Im Hochmittelalter erlangte die Donauhandelsroute als durchgehender Fernhandelsweg zwischen dem Schwarzen Meer und Zentraleuropa an Bedeutung. Von ihr zweigten wichtige Handelsstraßen ab und erschlossen ein gewaltiges Hinterland, über die Alpenpässe nach Norditalien und über den Rhein bis zur Nordsee. Es stellte sich freilich bald heraus, „dass der zweitlängste Fluss Europas mit dem noch billigeren Warentransport auf dem Meer nicht mithalten konnte“, so Philipp A. Sutner. Es schlug die Stunde der überlegenen italienischen Seerepubliken.
Die Eisdecke der Wolga als Landroute
Wie kommt die Wolga in ein Buch über Landhandelsrouten? Johannes Preiser-Kapeller schreibt in seinem Beitrag: „Im Winter, wenn die Wolga zumindest von Anfang November bis Ende März zufror, kam die Schifffahrt zum Erliegen. Dann wurde die dicke Eisdecke gleichsam zu einer Landroute.“Die verstärkte überregionale Verflechtung zeigte im 14. Jahrhundert ihre Schattenseite: Die Ausbreitung von Krankheitserregern. Das unter den Nagetieren der Steppe endemische Pestbakterium mutierte, ein neuer Erregerstamm begann ab den 1340erJahren zu wandern, über das Schwarze Meer nach Europa. Die Auswirkungen der Seuche waren verheerend.
Auch die Übersee-Expansion in der Neuzeit konnte Kaufleute aus Westeuropa nicht abhalten, das transkontinentale Potenzial der Wolgarouten zu nutzen. Sie sahen sich einer erstarkten Macht gegenüber: den Moskauer Großfürsten. Für sie wurde, so Preiser-Kapeller, „die Wolga zur Hauptachse imperialer Bestrebungen in all jene Himmelsrichtungen, aus denen über Jahrtausende Menschen und Waren dort zusammengekommen waren. Damit begann eine neue Epoche in der Geschichte der Region.“