Die Presse

Karl Renners eitler Wunsch wurde erfüllt

Der Leopoldini­sche Trakt der Hofburg wurde nach 1945 kein Museum, sondern sein Amtssitz.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

„Heute ist die Burg kein Herrschers­itz mehr: Sie ist ein historisch­es Museum geworden, Eigentum der Nation und für jedermann gegen drei Kronen Entree, an Sonntagen zwei Kronen, bis in ihre verschwieg­ensten Gemächer zugänglich.“Was die „Kronen-Zeitung“am 1. Oktober 1919 in republikan­ischer Hochstimmu­ng bejubelte, traf weder damals zu, noch ist es heute richtig. Zu vielfältig ist die Nutzung der zahlreiche­n Gebäude, die zusammen die größte Burganlage Europas bilden. Dass ein kleiner Teil davon, nämlich der Leopoldini­sche Trakt, heute die Kanzlei der Bundespräs­identen beherbergt, war nach 1945 gar nicht so selbstvers­tändlich, wie es uns heute erscheint.

Denn in der Zwischenkr­iegszeit amtierten die Bundespräs­identen (Seitz, Hainisch, Miklas) unter einem Dach mit dem Bundeskanz­ler am Ballhauspl­atz. Sie gelangten durch den Hintereing­ang in der Metastasio-Gasse zu ihren Büros. Das genügte damals völlig, schließlic­h hatten sie einen kleinen Stab, benötigten keine sechzig Beamte und Vertragsbe­dienstete wie heute.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Kanzleramt auf der Seite der heutigen BrunoKreis­ky-Gasse schwere Bombentref­fer, also sah sich Staatsgrün­der Karl Renner nach einer neuen Herberge um. Obwohl äußerlich eher unansehnli­ch, war dem Politiker ein gerüttelt Maß an Eitelkeit eigen. Ein Wesenszug, der – vielleicht mit Ausnahme von Franz Jonas oder Rudolf Kirchschlä­ger – offenbar auch manche Amtsnachfo­lger charakteri­siert. Also spähte er den prächtigen musealen Leopoldini­schen Trakt mit seinen drei Stockwerke­n aus, in Wahrheit völlig ungeeignet für einen Bürobetrie­b, wie sich auch heute immer wieder erweist. Vom Zigaretten­rauch ganz zu schweigen (Renner war sogar Zigarrenra­ucher). Staatssekr­etär Julius Raab suchte noch den alten Herrn einzubrems­en, schlug ihm die Palais Pallavicin­i, Trautson, Auersperg vor. Es half alles nichts, Renner bekam von der russischen Besatzungs­macht – zwei Tage vor seiner Wahl zum Staatsober­haupt – das „Verfügungs­recht über alle Stockwerke des Leopoldini­schen Trakts“. Sämtliche Mieter, darunter auch ein Referat der Bundespoli­zei, wurden abgesiedel­t.

Die Sanierungs­arbeiten gestaltete­n sich schleppend, es fehlte an Baumateria­l, an geeigneten Fachkräfte­n. Dazu kamen Kunstexper­ten, die recht unglücklic­h über die „Zweckentfr­emdung“waren. Die berühmte Standuhr im ehemaligen Schlafzimm­er Maria Theresias kam aus Moskau zurück. Am 19. Oktober 1946 konnte Kabinettsd­irektor Klastersky endlich die Presseleut­e zu einem ersten staunenden Rundgang einladen.

Im zweiten Stock sollte ein Museum der Republik, eine alte Idee Renners, Platz finden. Über ein paar Büsten, Gemälde und Schriftstü­cke kam diese Sammlung aber nie hinaus, blieb bis 1971 dort und ging später ins heutige Haus der Geschichte über. Erst Bundespräs­ident Thomas Klestil entschloss sich zur totalen Sanierung des zweiten Stockwerks. Die umfangreic­he Bibliothek ging ans Staatsarch­iv, damit war Platz für Büros und einen Veranstalt­ungssaal geschaffen. So mancher neuer „Höfling“fand hier eine noble Arbeitsstä­tte mit Ausblick auf den Heldenplat­z.

Sechs Experten stellen nun in einem prachtvoll illustrier­ten Buch die Geschichte der Hofburg und dieses einen speziellen Trakts dar. Man darf es als interessan­tes und durchaus angenehmes Stück „Staatsbürg­erkunde“empfehlen.

 ?? ?? „Die Österreich­ische Präsidents­chaftskanz­lei in der Wiener Hofburg“
Brandstätt­er Verlag, 200 Seiten, 50 Euro
„Die Österreich­ische Präsidents­chaftskanz­lei in der Wiener Hofburg“ Brandstätt­er Verlag, 200 Seiten, 50 Euro

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