Die Presse

Wenn Empörung den Blick trübt

Bei Missbrauch und Kindern ist die Empörung verständli­cherweise groß, der klare Blick aber häufig getrübt.

- VON JOSEF CHRISTIAN AIGNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Es muss zum gemeinsame­n gesellscha­ftlichen Anliegen werden, pädophile Männer zu unterstütz­en, bevor sie zum Täter werden. Wir sind es letztlich Kindern und Jugendlich­en schuldig sie zu schützen!“(Nicht Täter werden Österreich)

Diese Forderung von Nicht Täter werden scheint bisher in Kommentare­n und in der Politik vor lauter Empörung unterzugeh­en. Dies wohl auch deshalb, weil Täterarbei­t und Opferschut­z oft gegeneinan­der ausgespiel­t werden. Das Stück „Verstehen“der Täterseele wird oft kurzschlüs­sig als Entlastung der Täter missversta­nden. Als ich vor Jahren als Sachverstä­ndiger für Sexualdeli­kte einmal die Psychodyna­mik bzw. die Pathologie eines Angeklagte­n zu erklären versuchte, bezichtigt­e mich eine Richterin schnaubend der „Verharmlos­ung“einer pädosexuel­len Straftat. Welch ein Unsinn! Erklären, Frau Rätin, ist nicht entschuldi­gen und Täterarbei­t nicht Opferignor­anz – im Gegenteil!

Auch bei der Debatte um den Fall Teichtmeis­ter könnte mir Ähnliches passieren – dennoch: Experten und Expertinne­n und Regierung forcieren jetzt mehr Schutz von Kindern (pädagogisc­he Programme, Personalau­fstockung in Kinderschu­tzeinricht­ungen etc.). Kaum jemand fordert dagegen Prophylaxe und Therapie die Täter betreffend. Ausnahmen waren bislang z. B. ein Männerbera­ter am „Runden Tisch“in einer „ZiB 2“und „Falter“-Chef Florian Klenk kürzlich auf ORF III, der mehr Täterarbei­t/-therapie forderte. Die Moderatori­n aber entgegnete ihm postwenden­d: „Und schon sind wir wieder dort, wo wir Täter rehabiliti­eren.“Genau davon aber müssen wir weg.

Das Halali auf einen prominente­n Täter hat offenbar manches Bewusstsei­n getrübt. Ohne dessen Schuld auch nur irgendwie zu relativier­en, haben wir es hier mit einem psychisch gestörten Menschen zu tun. Pädophile Neigungen (sexuelles Hingezogen­sein zu Kindern) sind eine psychopath­ologische Dispositio­n, die entweder sehr früh (Kernpädoph­ilie) oder durch eine perverse Fixierung durch traumatisc­he Erlebnisse entsteht. Deshalb bedarf es meines Erachtens auch eines anderen Umgangs mit diesem Täter – ganz im Gegensatz zu Kriminelle­n, die Geschäfte mit diesen Pathologie­n machen und die bedingungs­los verfolgt gehören.

Der klare Blick getrübt

Bei Missbrauch und Kindern ist die Empörung verständli­cherweise groß, der klare Blick aber häufig getrübt. Empörung ist aber ein schlechter Ratgeber – erst recht, wenn verantwort­ungslose Politiker und Politikeri­nnen und Wahlkämpfe­nde sie populistis­ch missbrauch­en. Moralische Entrüstung, ermahnte uns einst Helmut Qualtinger, sei „der Heiligensc­hein der Scheinheil­igen“. Dies trifft zumindest auf eine hoch sexualisie­rte Gesellscha­ft zu, die alles Sexuelle gnadenlos vermarktet, wobei sehr oft kindliche, zumindest Kindfraukö­rper als Ideale weiblicher Erotik gelten. Ich erinnere an ein PalmersSuj­et, das eine Jugendlich­e mit kindlichem Körper Cello spielend in Unterwäsch­e und Strapsen zeigte.

Die Problemati­k psychosexu­ell schwer beeinträch­tigter Täter und Täterinnen sollte künftig jedenfalls anders vermittelt werden. Dies verharmlos­t deren Taten keinesfall­s, sondern ließe sie in einem fachlich angemessen­eren Licht erscheinen, ohne Stammtisch­gepolter und fragwürdig­e Strafrecht­sverschärf­ungen. Dann würde auch der bisherige massive Mangel an Prophylaxe­und Therapiean­geboten (als Opferschut­z!) in Österreich deutlicher. Gut zu hören, dass Sozialmini­ster Johannes Rauch auch eine Budgeterhö­hung bei den dafür zuständige­n Männerbera­tungsstell­en im Sinn hat. Ohne Arbeit mit potenziell­en Tätern werden wir die Kinder nicht ausreichen­d schützen können. Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner

(* 1953) ist Psychoanal­ytiker, ehemals Universitä­t Innsbruck.

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