Zur Wiederholung verdammt: Das Drama des kurzen Gedächtnisses
Es braucht eine neue Erinnerungskultur in der Politik. Andernfalls drohen jetzt die gleichen Diskussionen wie vor und nach der Nationalratswahl 2000.
Es ist keine besonders originelle Idee, hat aber gerade in diesen Tagen ihre Berechtigung: Der Adler als österreichisches Wappentier sollte durch das Murmeltier ersetzt werden. Das hätte zwei Vorteile: Erstens könnte es in der Tourismuswerbung ohne finanziellen Aufwand eingesetzt werden, weil es Assoziationen mit der spektakulären Berglandschaft auslösen würde. Zweitens weil es eine treffende visuelle Darstellung einer Politik wäre, die zur ständigen Wiederholung verdammt scheint, wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“.
Warum gerade jetzt – vor der niederösterreichischen Landtagswahl am Sonntag und nach der Angelobung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen? Weil die zufällige zeitliche Kombination und ihre Begleiterscheinungen stark an die Zeit vor und nach 2000 erinnern. Wie seinerzeit für FPÖ-Chef Jörg Haider wird jetzt für Herbert Kickl ein unaufhaltsamer Aufstieg vorausgesehen, beflügelt natürlich durch Medien, auch den sozialen. Aus dem momentan ausgewiesenen Umfragehoch der FPÖ wird bereits ein Sieg bei der nächsten Nationalratswahl abgeleitet.
Nachdem auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen – nur unerklärlich vorzeitig – wie seinerzeit Thomas Klestil seine Abneigung gegen die FPÖ und ihren Vorsitzenden hat erkennen lassen, wird nun monatelang diskutiert, was dies für eine Regierungsbildung mit der FPÖ als stärkster Partei bedeuten würde. Das bringt den Freiheitlichen ständig (kosten- und ideenlose) Präsenz, wieder mit freundlicher Unterstützung der Medien. Dauernd wird Van der Bellen mit Klestil verglichen werden, der damals den Rat erhielt, entweder SchwarzBlau anzugeloben oder zurückzutreten. Van der Bellen, könnte man annehmen, würde eher zurücktreten, als eine Regierung anzugeloben, die er ablehnt. Auch ständige Spekulationen über eine mögliche Verfassungskrise werden sich zugunsten der FPÖ auswirken. Es sei denn, andere Parteien und Medien lassen sich bis zum Vorliegen eines Wahlergebnisses nicht darauf ein.
Aber das Déja`-vu im Umgang mit der FPÖ ist nicht das einzige, so unerklärlich es auch nach Ibiza und den vielen Vorfällen der vergangenen Jahre ist. Ein anderes Beispiel: Gleichgültig, welche Regierung, welche Partei, keine kann der Versuchung der Superlative für politische Entscheidungen oder Ankündigungen widerstehen. Die größte Steuerreform aller Zeiten, das beste Öko-Gesetz Europas und zuletzt sogar das schärfste Antikorruptionsgesetz der Welt. Dieses jüngste Beispiel ist besonders anschaulich. Der Satz wurde vielfach verbreitet, bevor nachgewiesen werden konnte, dass er falsch ist – in diesem Fall durch den Faktencheck des Magazins „Profil“.
Es wäre ein Leichtes, dem politischen und/oder medialen System die Schuld an der nicht vorhandenen Lernfähigkeit zu geben. Doch mit dem „System“, dem demokratischen jedenfalls, hat das nichts zu tun. Mit den Systemträgern, den Wählern, schon. Welche Wahlentscheidung der letzten Jahrzehnte war eine erkennbare direkte Konsequenz von Fehlverhalten in der Politik? Solang aber die Verantwortlichen eine solche nicht zu fürchten haben und mit dem kurzen Gedächtnis der Wähler rechnen können, werden sich Dinge andauernd wiederholen – auch wenn sie Jahrzehnte her sind.
Das bringt den Freiheitlichen ständig (kostenlose) Präsenz, wieder mit freundlicher Unterstützung der Medien.
Viel ist die Rede davon, dass kommende Generationen, wenn schon nicht unter digitaler Demenz, dann doch stärker als jetzt nach dem Konsum der sozialen Medien unter dem bekannten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) leiden werden. Was es bedeuten würde, wenn Wähler sich immer weniger informieren oder sich immer weniger an politische Entscheidungen erinnern, will man sich im Moment gar nicht vorstellen.
Vorerst muss der Wunsch genügen, den Fehler von vor zwanzig Jahren nicht zu wiederholen und politischen Inhalten den Vorzug vor den immer gleichen Koalitionsspekulationen zu geben.