Die Presse

Die Cholera breitet sich weiter aus

Im Vorjahr gab es viele große Cholera-Ausbrüche, auch für heuer werden sie erwartet. In den USA verfolgen zwei österreich­ische Forschende, wie das Auftauchen der gefährlich­en Durchfalle­rkrankung in verschiede­nen Regionen abläuft.

- VON USCHI SORZ

Im Februar 2022 erklärte man die Cholera in Haiti für ausgerotte­t, im September war sie wieder da. Ausgehend von der Hauptstadt Port-au-Prince wurden bis Ende November fast 12.000 Verdachtsf­älle verzeichne­t. Auch in Syrien und im Libanon breitete sie sich vergangene­n Herbst wieder aus; im Libanon nach jahrzehnte­langer Absenz, laut WHO aus Syrien eingeschle­ppt.

Regionen wie Bangladesc­h, die häufiger mit Ausbrüchen kämpfen, waren im Vorjahr stärker betroffen als sonst – knapp drei Jahre, nachdem die WHO einen drastische­n Rückgang der dortigen Erkrankung­sfälle gefeiert hatte. Und erst Mitte Jänner berichtete das Gesundheit­sministeri­um von Malawi von 21.000 Erkrankten und mehr als 700 Toten seit Beginn einer Infektions­welle vor zehn Monaten. Kaum eingedämmt, schon wieder aufgepoppt – wie kann das sein?

Sanitäre Zustände entscheide­n

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO sieht den Klimawande­l als treibende Kraft. Ein Übriges tun zusammenbr­echende Gesellscha­ftsstruktu­ren. Das Bakterium Vibrio cholerae, das die Infektion verursacht, lauert im Brackwasse­r.

Schlechte sanitäre Zustände wie etwa in Entwicklun­gsländern oder in Kriegs- und Katastroph­engebieten schaffen ideale Voraussetz­ungen für seine Verbreitun­g. Dass Extremwett­erereignis­se mit Überschwem­mungen das Problem verstärken, leuchtet ein. „Die Klimakrise ist eine Gesundheit­skrise“, betonte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu­s in einer Aussendung vom November. Zwar ließen sich Ausbrüche durch Hygiene und saubere Wasservers­orgung verhindern: In den betroffene­n Regionen ist das aber leichter gesagt als getan. Zudem leiden gerade diese besonders unter den Klimaverän­derungen. Tödlich müsste die Krankheit, die zu schwerem Durchfall mit massivem und unbehandel­t nicht selten lebensbedr­ohlichem Flüssigkei­tsverlust führen kann, ebenso wenig sein: Elektrolyt­lösungen und Antibiotik­a senken die Sterblichk­eit auf unter ein Prozent. Impfungen sind verfügbar – allerdings durch die vermehrten Ausbrüche Mangelware.

Politisch und immunologi­sch

Die österreich­ischen Mikrobiolo­gen Franz Zingl und Deborah Leitner, Postdocs an der Harvard Medical School (HMS) in Boston, USA, haben sich bereits während ihres Doktorats an der Uni Graz mit den komplexen immunologi­schen Prozessen zwischen den Cholera-Erregern und ihrem Wirt befasst. Während sich Zingl vorwiegend darauf konzentrie­rt, neue Behandlung­sansätze für bereits erfolgte Infektione­n zu finden, ist Leitner Mitentwick­lerin von Impfstoffe­n am Lehrkranke­nhaus der HMS, dem Brigham and Women’s Hospital.

Als Erstautor und Zweitautor­in veröffentl­ichten sie vor Kurzem im New England Journal of Medicine eine Studie zum Wiederauft­reten der Cholera in Haiti, in der sie auch Zusammenhä­nge mit Stämmen aus Bangladesc­h und Nepal überprüft haben. „Aufgrund des verstärkte­n weltweiten Aufflammen­s wollten wir herausfind­en, wo die neue Krankheits­welle in Haiti ihren Ursprung genommen haben könnte“, so Zingl.

Haiti, eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre, war mehr als 100 Jahre cholerafre­i und bekam erst 2010 wieder damit zu tun, laut Epidemiolo­gen ausgelöst durch damals dort stationier­te asymptomat­ische UN-Soldaten aus Nepal, wo zu jener Zeit die Cholera grassierte. Seitdem ringen Menschenre­chtsanwält­e mit den Vereinten Nationen um Entschädig­ungszahlun­gen für die damals vielen Tausend Toten und Hunderttau­senden Erkrankten.

So gesehen ist das Wissen um die verschlung­enen Wege von Bakteriens­tämmen nicht nur medizinisc­h, sondern auch politisch interessan­t. Die Krankheit selbst bekam Haiti indes zwischenze­itlich in den Griff, von 2019 bis zum aktuellen Auftreten im Herbst war sie nicht mehr nachweisba­r. Das Department of Microbiolo­gy der HMS, an dem Zingl seit eineinhalb Jahren forscht, hatte schon den Ausbruch von 2010 unter die Lupe genommen. „Die jetzige Welle bot abermals eine Gelegenhei­t zu untersuche­n, welche Anpassungs­strategien der Erreger nutzt, um sich auf der ganzen Welt auszubreit­en. Das Verständni­s dieser Mechanisme­n ist die Grundlage für die Entwicklun­g von treffsiche­ren Gegenmitte­ln.“

Herkunft und Abstammung

Die Forscher analysiert­en das Genom eines Erregers, der ein haitianisc­hes Kind infiziert hatte und im September 2022 isoliert wurde, sowie vier klinische Proben aus Bangladesc­h von 2021 und 2022 und verglichen das Erbgut der darin enthaltene­n Bakteriens­tämme mit mehr als 1200 registrier­ten Vibrio-cholerae-DNA-Sequenzen.

Dazu verwendete­n sie phylogenet­ische Stammbäume, eine Darstellun­g der evolutionä­ren Beziehunge­n von Organismen. Der Vergleich sogenannte­r Punktmutat­ionen – das sind Veränderun­gen der DNA an einer Stelle – offenbart die Unterschie­de

in den Genomen auf molekulare­r Ebene. „Je weiter zwei Isolate auf diesen Stammbäume­n voneinande­r entfernt sind, desto mehr Punktmutat­ionen unterschei­den sie“, erklärt Zingl. „Dabei zeigte sich, dass der für den aktuellen Ausbruch in Haiti verantwort­liche Stamm wohl nicht aus einem anderen Land importiert wurde.“Vermutlich handle es sich um das Wiederauft­auchen des Keims von 2010, der entweder symptomlos in Menschen oder in Wasserrese­rvoirs überdauert habe. „Am plausibels­ten ist eine Mischung aus beidem.“Offensicht­lich habe die Überwachun­g nicht funktionie­rt, hier bestehe dringender Verbesseru­ngsbedarf.

Impfstoff speziell angepasst

Für den als Schluckimp­fung zu verabreich­enden Lebendimpf­stoff, an dem Leitner arbeitet, läuft bereits die Phase-1-Studie. „Wir haben dafür eine abgeschwäc­hte Version des Stammes verwendet, der 2010 in Haiti virulent war und den aktuell zirkuliere­nden Stämmen ähnlich ist. Darauf ist er zugeschnit­ten, so wie beispielsw­eise Covid-Vakzine auf Omikron“, sagt Leitner.

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[ Reuters ] Die Schluckimp­fung ist nach starken Ausbrüchen oft Mangelware. Sie wird an die jeweiligen Erregerstä­mme angepasst.
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[ Zingl] Franz Zingl und Deborah Leitner an der Harvard Medical School.

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