„Breaking the Law“– auf steirisch
Kunst und Recht. Die heimische Metal-Szene habe rechtliche Freiräume „kreativ genutzt“. Das ist einer der Befunde des Historikers Peter Pichler, der die erste wissenschaftliche Geschichte des Musikstils in der Steiermark verfasst hat.
So manchem war es ein Dorn im Auge, was sich seit Beginn der 1980er-Jahre auch in der Steiermark regte. Noch in den frühen 1990er-Jahren habe ein altkatholischer Pfarrer in einem Gebetskreis dazu aufgefordert, Heavy-Metal-Platten zu verbrennen, erzählt der Historiker Peter Pichler. Vom selben Geistlichen kursiere bis heute ein Video im Internet, in dem er das Konzert der Band AC/DC 2015 in Zeltweg als satanistisch bezeichnete.
Sprechen konnte Pichler nicht mehr mit ihm, der Mann ist vergangenes Jahr verstorben. „Ich hätte gern ein Interview für meine Forschung mit ihm geführt“, sagt er. So wie mit 23 anderen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: Rund 30 Stunden Gespräche mit Fans, Musikerinnen und Musikern und anderen Szenemitgliedern zeichnete Pichler seit dem Start seines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts „Normenbezogenes klangliches Wissen im Heavy Metal“auf. Dazu kamen Analysen von Liedtexten, Plattencovern, Konzertflyern und Musikjournalen. Ziel war, eine Forschungslücke zu füllen: Pichler schrieb in den vergangenen drei Jahren die erste wissenschaftliche Geschichte der Heavy-Metal-Szene in Graz und der Steiermark.
Neue konservative Werte
„Es ging in allen Bereichen um das Aufbrechen von Grenzen“, fasst der am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen der Uni Graz beheimatete Forscher heute zusammen. Die Metal-Szene habe zunächst die seit 1968 entstandenen Freiräume aufgegriffen und weiterentwickelt. „Damals gab es einen ganz starken Umbruch im Umgang mit Religion, mit Werten, mit Musik“, sagt er. Resümierend sieht er die Geschichte der steirischen Metal-Szene als eine Facette der kulturellen Liberalisierung der Zeit. Ein Wechselspiel: Denn zugleich habe Heavy Metal dieser einen weiteren kleinen Schub gegeben.
In seinen Analysen begegnete Pichler viel Ambivalenz. Einerseits habe die Musik stets dort eingehakt, wo sich innerhalb der katholisch, konservativ und traditionell geprägten Gesellschaft Grenzen gezeigten hätten. Mehr noch: Die Szene habe ihre Identität über diese Reibungspunkte definiert: „Man wollte den Outlaw-Mythos leben, also zeigen, dass man seine eigenen Werte hatte.“Andererseits habe man selbst konservativer agiert, als man sich bewusst war: „Metal-T-Shirts sind immer schwarz, das ist etwas sehr Konservatives.“Die Metal-Szene sei anfangs sehr patriarchal organisiert gewesen: „Man reproduzierte die Hierarchien der Welt rundherum.“
Außerdem sei die Musikszene von Vereinen getragen worden, etwas „extrem Bürgerlichen“. Man habe verstanden, dass man sich an Regeln und Gesetze wie den Jugendschutz halten musste, wenn man etwa staatliche Förderungen wollte: „Das Recht und seine Freiräume wurden in der Steiermark kreativ genutzt“, so Pichler.
Der im Metal postulierte Rechtsbruch – der 1980 von der britischen Band Judas Priest veröffentlichte Song „Breaking the Law“wurde zur Hymne – habe hingegen kaum stattgefunden. Ein interviewter Musiker habe nach Streitigkeiten um Vermarktungsrechte sogar Jus studiert, um „seinen“Metal besser schützen zu können, berichtet Pichler. „Insofern hat Metal seit den 1980er-Jahren immer mitten in der Gesellschaft, mitten in der Welt stattgefunden.“
Rechtsbruch passierte im Kopf
Ähnlich schilderte es ihm ein Interviewter, der im Graz der 1980erJahre im selbst gemachten MetalShirt unterwegs war: Der Rechtsbruch sei primär in der Fantasie passiert; vielmehr sei es um die ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft gegangen. Aber um die zu strapazieren, hätten damals schon lange Haare und raue Musik gereicht. Konservativ-religiöse Mitbürger hätten jedenfalls die Straßenseite gewechselt, wenn er ihnen begegnete.
Pichler identifizierte in seiner Forschung drei Entwicklungsphasen des Heavy Metal in der Steiermark. Er nennt die 1980er-Jahre als Gründungsphase: Erste Bands entstanden und auch soziale, wirtschaftliche und mediale Strukturen. Jugendzentren wurden gegründet: 1979 etwa das Spektrum in Leoben, 1982 die Bunte Fabrik in Kapfenberg oder 1988 das Explosiv in Graz. „Sie gaben den Bands die Möglichkeit, zu proben, aufzutreten, erste Erfahrungen zu sammeln“, schildert Pichler. Sie seien bis heute zentrale Orte der steirischen Metal-Szene. Vieles war zunächst sehr laienhaft, die Konzertflyer waren handgetippte Zettel mit selbst kreierten Logos.
In den 1990ern folgte mit der Pluralisierung der Musik eine zweite Phase. Neue Substile wie Death Metal oder Black Metal entstanden. „Das passt zur Fragmentierung der Gesellschaft damals. Die Metal-Szene ist ja nichts anderes als ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Pichler. Zugleich tauchte die meist laute und aggressive Musik immer mehr im Mainstream auf, wird sozusagen salonfähig. Zum anfangs meist männlichen, jugendlichen Publikum gesellen sich immer mehr Frauen, später durchmischen sich Jüngere und Ältere bei den Konzerten.
Um 2000 bricht mit dem Internet der globale Prozess der Digitalisierung auch über die Metal-Szene herein – Pichler identifiziert hier den Beginn der dritten, großen Phase, die bis heute andauert. „Die Digitalisierung veränderte die Form, wie Musik gemacht wird und wie Musik stattfindet, ganz radikal“, sagt er. Neben die analogen traten digitale Räume: Die Szeneclubs blieben; aber jede Band, die dort auftrat, hatte eine eigene Website und einen Onlineshop.
Gibt es lokale Szenen noch?
Heute kommen die künstlerischen Einflüsse aus aller Welt. Außerdem: „Wenn man in Graz Musik produziert, das Mastering (die Endbearbeitung, Anm.) aber durch den digitalen Schnellaustausch großer Datenmengen in London gemacht wird, wie weit kann man heute noch von einer steirischen Szene reden?“, fragt Pichler. Das sei das noch offene Ende der Geschichte. Ende März läuft das Forschungsprojekt aus, am Thema will Pichler aber dranbleiben. Ende Juni erscheint jedenfalls sein Buch „Breaking the Law?“(Kohlhammer-Verlag, 300 S., 47,50 €).