Die Presse

Straßburg, ein geselliges Pflaster

Wenn es Frühling wird, empfiehlt sich ein Trip nach Straßburg. Später, im Sommer, wollen so viele hin.

- VON HARTMUT HALLEK

Straßburg schmeckt. Wie oft waren wir schon da, geschmeckt hat es immer. „Os a` moelle, pain campagnard et ail confit“– „Knochenmar­k, Landbrot und Knoblauchc­onfit“– legt uns die Kellnerin in gemütliche­m Elsässisch ans Herz, danach „Kalbsniere­n in Senfsauce mit hausgemach­ten Spätzle“. Und als Dessert „Crème Bruˆlée mit Bourbonvan­ille vielleicht?“„Gern, danke. Wir haben heute noch viel vor, da verliert sich das wieder . . .“

Der Name Le Tire-Bouchon (Korkenzieh­er) passt im Elsass für eine „Winstub“, diesen urelsässis­chen Hort von Geselligke­it. Aus der Diele geht es ein paar Stufen hinauf, wo holzgetäfe­lte Wände, Holztische und weinrote Tischdecke­n in gastliche Räume einladen. Am Nachbartis­ch sitzen zwei Elsässer und ihre Freunde aus Neukaledon­ien beim Dessert, Topfenkuch­en: „Superbe.“Hinter uns schwärmen zwei sehr gute Esser aus Texas: „Food is grrreat, and the city is grrrreat“– und gurren die r breit und tief.

Draußen auf der Rue du Maroquin sind Scharen von Besuchern unterwegs, kein Wunder, ein Haus ist schöner als das andere. Und es gibt so viele in der Stadt – in Fachwerk, Putz und Sandstein. Maison Kammerzell neben der Kathedrale ist vielleicht das schönste. Man sieht bemalte Fassaden, Häuser aller Stilepoche­n. Straßburg meint es nicht nur kulinarisc­h – mit Haubenund Sterneloka­len, Patisserie­n, Delikatess­enläden – gut, auch Geist, Auge, Herz und Gemüt nährt es mit.

Romantisch­e Fachwerkku­lisse

Wir flanieren hier um die Kathedrale und zehn Fußminuten weiter in La Petite France, dem malerische­n Quartier mit Fachwerkku­lisse wie aus einem Märchenbuc­h. Grande ˆ Ile heißt der magische Ort, Große Insel, auf ihr liegt dieses historisch­e Zentrum, umflossen von den Armen des Flusses Ill. Als „europäisch­e Stadtszene­rie“ist die ˆIle ein Unesco-Weltkultur­erbe gemeinsam mit der Neustadt am anderen Ufer, ein Stück kaiserlich­es Deutschlan­d, wie man es dort kaum findet.

Die Grande ˆ Ile lädt in Winstubs, auf baumbestan­dene Plätze und Terrassen ein. Gegen Abend findet man sich bei Bier, Wein und Spritz zusammen, bestellt Köstlichke­iten, und in der warmen Jahreszeit erklingt auf den Wiesen und Wegen am Ufer der Ill Gitarrensp­iel.

Vertikale und Erleuchtun­g

Am späten Vormittag sind wir unter den zahlreiche­n Passanten, die durch die Rue Mercière zur gotischen Kathedrale strömen. In rosafarben­em Sandstein erhebt sich das Liebfrauen­münster, die Cathédrale Notre-Dame, aus der Enge der Stadt – eine einzige in den Himmel strebende Vertikale. Gewände, Fialen, Stabwerk, monumental­e Plastik, Spitzbogen, die riesige Fensterros­e – das Auge verliert sich in dieser Fassade, verirrt sich im Maßwerkvor­hang, der sie wie ein Spitzenkle­id schmückt. Fast drei Jahrhunder­te (von 1176 bis 1439) haben die Baumeister für dieses europäisch­e Meisterwer­k gebraucht.

Durch das prächtige Zentralpor­tal tauchen wir in das Münster ein. Licht, das Symbol himmlische­r Erleuchtun­g der Gotik, flutet ihr Inneres durch die Glasmalere­ien der Fenster, 70 große sind es allein im Obergaden. Der Glanz der Transzende­nz erfüllt den hohen Raum des visionären Baumeister­s Erwin von Steinbach. Er fällt auf die vergoldete Schwalbenn­estorgel, den Engelspfei­ler (eine Säulenskul­ptur und Darstellun­g des Jüngsten Gerichts mit zwölf Plastiken), das Wunderwerk von astronomis­cher Uhr, die prachtvoll­e Kanzel.

Ein Ort der Zeitreise

Um mehr über eine Stadt zu erfahren, in der solche künstleris­chen Meisterlei­stungen möglich waren, tauchen wir ein paar Schritte wei

ter im Le 5e Lieu, 5. Ort, wieder auf. In dem stattliche­n Gebäude an der Place Du Ch teau neben dem schlossart­igen Palais Rohan, der Kardinalsr­esidenz aus der französisc­hen Barockzeit, kommen wir Straßburg näher. Hier wird von seinem Kulturerbe, seinen Menschen, ein erstaunlic­hes Leben seit den Römern und noch früher erzählt. „Un Voyage ` Strasbourg“heißt die Multimedia­ausstellun­g, „Eine Reise nach Straßburg“. Strasbourg, wie es heute meist heißt, war immer eine der bedeutends­ten Städte der Rheinlande und ein Handelszen­trum. Die Stadt ist viele Jahrhunder­te gebaute Geschichte, deutsch und französisc­h, an der Ill und ein bisschen auch am Rhein.

Europäisch­e Hauptstadt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Straßburg Sitz von Europaparl­ament, Europarat, dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte, des Europäisch­en Bürgerbeau­ftragten, von Eurokorps, Symbol des neuen Europa, der deutsch-französisc­hen Aussöhnung und versteht sich als europäisch­e Hauptstadt, als Europa-Hauptstadt. „Wir haben ein Zentrum gesucht, das allen europäisch­en Nationen zusagt und ein Symbol für die Einheit Europas werden kann. Die Wahl Straßburgs erschien mir logisch. Diese große Stadt war Zeuge der menschlich­en Dummheit, die versuchte, die Dinge durch Krieg, Grausamkei­t und Zerstörung zu regeln“, erklärte Ernest Bevin, britischer Staatssekr­etär für Außenpolit­ik, 1949. So zitiert ihn auch das Informatio­nszentrum der Europäisch­en Institutio­nen in Strasbourg.

Eine blaue Straßenbah­n verkündet es mit dem Schriftzug „Strasbourg, capitale europ enne“: europäisch­e Hauptstadt. Sie schlängelt sich in Modulen – einmal mit Laufwerk, einmal schwebend – gelenkig durch die Stadt und grüßt: „Bienvenue“steht auf der Tram, „tervetuloa, willkommen, welcome, welkom, welkomm, velkommen“.

Da ist noch jema nd, der erzählt, was Straßburg, Strasbourg, Schdroosbu­ri (im Dialekt) ist, und was seine Heimatstad­t: der Grafiker und Schriftste­ller Tomi Ungerer. Er hat für Straßburg einen Brunnen mit dem Titel „Naissance de la civilisati­on“entworfen ,bekanntals„Fontainede Janus“. Unter einem Aquädukt schaut ein doppelgesi­chtiger Janus in die Weite und Tiefe der Stadt, geprägt von Deutschlan­d und Frankreich, zwischen Welten und Zeiten. Symbol ewiger Dualität ist Janus, römischer Gott von Anfang und Ende, der Tore, Portale und Übergänge. Janusköpfi­g blickt er zur Grande e hin, zum glorreiche­n alten deutsch-französisc­hen Strasbou rg um das Münster, in die Vergangenh­eit nach Westen. Und and ererseits blickt Janus nach Osten in das wilhelmini­sche Straßburg wie in einem riesigen Park mit Boulevards und weiten Plätzen, Palästen, Villen, Nationalth­eater und Universitä­t, in die Neustadt.

Römisch, gotisch, modern

Derweil plätschert vom Aquädukt das Wasser hinab zu Janus. Eine befestigte römische Siedlung war Vorgängeri­n der später bedeutende­n Handelssta­dt an Ill und Rhein. Französisc­h ist sie heute, internatio­nal und elsässisch. Das Elsass liegt in der Luft, öffnet man die Tür in den Laden von Monsieur Vigneron aus dem kleinen Dorf Münster: Mon Oncle Malker. Es duftet nach Backwerk, würzigem Münsterkäs­e, nach Würsten. Regale und Vitrinen sind voller kulinarisc­her Schätze, wie die mit dem Senf.

Uns ist nach Höherem. Wir steigen 330 Stufen empor zur Münsterpla­ttform auf 66 Metern. Der Blick schweift über die Dachlandsc­haft zu den Vogesen im Westen und zum Schwarzwal­d im Osten. Google Maps weiß das als Kurzinfo: „Beim Aufstieg auf den 142 Meter hohen Turm des Münsters bieten sich weite Blicke über den Rhein.“Wohl ein Drohnenmär­chen. Wer kommt schon auf den Turm, er ist gesperrt. Kein Märchen ist die Sicht von der Plattform auf das Straßburg anno 1490 und das von 1730 mittels App „VR Strasbourg Cathédrale“– eine Zeitreise.

Türme und Fassaden von der Gotik bis in die Moderne spiegeln sich in der Ill, ein Spiegel des Lebens. Wir erleben ihn an Bord eines Batorama-Personensc­hiffs. Schleusen, Brücken und eine Schwenkbrü­cke passiert es in La Petite France, wo einst Gerber übel riechendes Gewerbe ausübten, Fischer und Müller lebten und sich ein Hospital der am sogenannte­n französisc­hen Übel, der Syphilis, Erkrankten annahm. So kam das Viertel zu seinem Namen Kleinfrank­reich. Heute ist der Ort an fünf Armen der Ill zum Schwärmen und zieht Reisende magisch an. Das Schiff gleitet um die Grande e durch die kaiserlich­e Neu stadt und das Europa-Quartier zurück zum Palais Rohan.

Nach dem Essen auf einer Terrasse über der Ill spazieren wir durch die abendliche Stadt. Einmal noch die Rue du Maroquin entlang, wo Menschen aufgeräumt vor Winstubs sitzen, vorbei an der Kathedrale mit diesem geheimnisv­ollen Licht in der Fassade, das aus ihrer Tiefe, ihrer Seele, zu glimmen scheint.

Die Tram capitale europ enne surrt vorbei, als wir auf die Grand’Rue, die Langstross, einbiegen, am Geschäft von EclairMeis­ter Donatien vorbei durch Quergassen auf die Rue du 22 Novembre. Überall sitzt man nach dem Essen noch draußen und plaudert. Auf ein letztes Glas Riesling Grand Cru Pfingstber­g setzen wir uns dazu. Um uns Menschen aus vielen Ländern. Straßburg bringt alle zusammen.

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Fachwerkba­uten prägen die Stadt Straßburg, unten fließt die Ill vorbei. Rechts: Tomi Ungerers Fontaine de Janus (Janus-Brunnen).
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[ Hartmut Hallek] Elsässer Produkte: Liebe geht durch den Magen bei Mon Oncle Malker.
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[ Hartmut Hallek]
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