Von Frankfurt bis London: Immobilienmarkt vor scharfer Wende
Auf dem Markt herrscht ein toxischer Mix: Die Bewertungen der Immobilien fallen, gleichzeitig werden die Kredite restriktiver. Experten meinen, dass der Abschwung steil verlaufen könnte. Dann könnte aber auch ein bestimmtes Glück im Unglück eintreten – un
Immobilieninvestoren in Europa stehen angesichts der Zinswende vor einer Marktkorrektur, die an Schärfe ihresgleichen suchen dürfte. Von Londoner Bürogebäuden bis zum Frankfurter Commerzbank-Turm erwarten Eigentümer mit Bangen die Ergebnisse der turnusgemäßen Bewertungsgutachten, an die sich in vielen Fällen angespannte Gespräche mit Kreditgebern anschließen könnten. Die neuen Bankenregeln für den Umgang mit wackelnden Krediten könnten wie ein Brandbeschleuniger wirken.
„Europa wird die große Rückabwicklung von zehn Jahren leichten Geldes erleben“, sagt Skardon Baker, Partner der Private-EquityFirma Apollo Global Management. „Das Ausmaß der Probleme und Verwerfungen ist unvorstellbar.“
Kredite, Anleihen und andere Schuldtitel im Umfang von rund 1,9 Billionen Euro – fast so viel wie das italienische BIP – sind in Europa und Großbritannien mit Gewerbeimmobilien besichert oder an Vermieter vergeben, wie Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde, der Bayes Business School und von Bloomberg zeigen. Etwa ein Fünftel davon, rund 390 Milliarden Euro, werden heuer fällig.
„Sehen, wer nackt ist“
Die sich abzeichnende Krise ist der erste große Test für Vorschriften, die nach der globalen Finanzkrise zur Eindämmung der Risiken bei Immobilienkrediten erlassen wurden. Ein Effekt dieser Vorschriften ist, dass die Korrektur steiler und abrupter ausfällt, dafür aber – und das könnte das Glück im Unglück sein – weniger lang anhält als in der Vergangenheit. „Ich denke, dass die Neubewertung schneller erfolgen wird als in der Vergangenheit“, meint John O’Driscoll, Immobilienmanager beim Versicherer Axa. „Die Ebbe beginnt, und so langsam kann man sehen, wer nackt ist.“
Nach der Finanzkrise erlassene Kreditvorschriften zwingen die Banken dazu, bei faulen Krediten rascher zu handeln. Die Kreditinstitute
sind aber in einer wesentlich besseren Verfassung als während der vergangenen Immobilienkrise in den Jahren nach 2008, sodass sie weniger geneigt sein könnten, Problemkredite unter den Teppich zu kehren. Damit wird die Last auf die Kreditnehmer verlagert.
Wertminderung bis 20 Prozent
Nach der Finanzkrise 2008 zögerten zahlreiche Banken, faule Kredite fällig zu stellen, da dies zu großen Verlusten geführt hätte. Unter den neuen Regeln für notleidende Kredite müssen Banken nun Vorsorgen für erwartete und nicht mehr nur für tatsächlich entstandene Verluste bilden. Das bedeutet, dass sie weniger Anreize haben, zuzuwarten und zu hoffen, dass sich die Bewertungen der beliehenen Immobilien wieder erholen.
Bislang sind die Bewertungen noch nicht so weit gesunken, dass erstrangige Verbindlichkeiten – also jene Darlehen, die die Banken am ehesten selbst in den Büchern haben – unter Wasser stehen. Doch das könnte sich bald ändern. Laut CBRE, dem weltweit größten Dienstleister für Gewerbeimmobilien, haben britische Gewerbeimmobilien im vergangenen Jahr 13 Prozent an Wert verloren. Die Analysten von Goldman Sachs erwarten einen Gesamtrückgang von mehr als 20 Prozent. Es gibt viele Hinweise darauf, dass nach Großbritannien Deutschland der nächste Krisenmarkt werden könnte.
Mögliche Problemauslagerung
Banken könnten dann handeln, bevor die Preise weiter fallen. Das bringt überschuldete Vermieter in ein Dilemma, gerade wenn Fälligkeitstermine nahen. „Der Appetit der Banken ist geringer und wird es auch bleiben, bis es Anzeichen dafür gibt, dass der Markt die Talsohle erreicht hat“, meint Vincent Nobel vom Investmentmanager Federated Hermes. Banken sind jetzt gezwungen, eine Lösung für notleidende Kredite zu finden, „und ein möglicher Weg ist es, sie zum Problem eines anderen zu machen“.
Positiv zu vermerken ist, dass angeschlagene Immobilieninvestoren nun ein größeres Spektrum an Geldgebern haben. Geschlossene Kreditfonds etwa sind in den vergangenen zehn Jahren immer bedeutender geworden. Versicherer und andere Nichtbanken hatten in der ersten Hälfte 2022 einen höheren Anteil an neuen britischen Immokrediten als die großen Banken.
Die große Gelegenheit
Opportunistische Fonds, die in riskantere Immobilien investieren, könnten in nächster Zeit Rekordsummen aufbringen, meint Cantor-Fitzgerald-Chef Howard Lutnick. Diese neuen Entwicklungen könnten die Turbulenzen auf dem Markt heftiger, aber auch kurzlebiger machen als in der Vergangenheit, als Banken jahrelang an faulen Krediten festhielten. Und sie bieten auch Chancen: „Jeder, der einen kreativen Weg findet, diese Lücke zu schließen, wird viel Spaß haben“, so Mat Oakley vom Immobilienmakler Savills. (Bloomberg)