Die Presse

Interview.

Der Ökonom, Philosoph und Physiker Rahim Taghizadeg­an erklärt, was Geld eigentlich ist, wie Moral missbrauch­t wird, um Gegner zu diskrediti­eren, und warum er nicht erwartet hat, dass sich Bitcoin durchsetze­n würde.

- VON BEATE LAMMER [Fabry]

Die Presse:

Geld hat häufig einen negativen Beigeschma­ck. Es heißt oft: „Es geht ja nicht nur ums Geld“oder „Geld ist nicht alles“. Warum ist das so?

Rahim Taghizadeg­an: Geld eignet sich gut für den indirekten Tausch außerhalb der Sippe. Das steht unserer Intuition des Tribalismu­s und Nepotismus entgegen. Geld erlaubt es, rationaler zu vergleiche­n und einem Fremden den Vorzug zu geben, wenn er ein besseres Angebot hat. Und die Abneigung ist am größten gegenüber dem erfolgreic­heren Fremden. Das ist auch ein Grund, warum die Abneigung gegenüber Geld und der Antisemiti­smus in der Geschichte stark verbunden sind.

Ist Geld dann sogar moralisch gut, weil es keinen Unterschie­d macht, nicht diskrimini­ert?

Geld ist ein Werkzeug, das die

ÜBER GELD SPRICHT MAN DiePresse.com/meingeld

Grenzen der Sippe sprengt, und das machte erst das moderne Wunder von Entwicklun­g und Wohlstand möglich. Aber es gibt eine Ambivalenz, auf die alle Weltreligi­onen hinweisen: Weil Geld ein so universell­es Mittel ist, kann es zum Ersatzziel werden, dem alles untergeord­net ist. Das ist die Warnung vor dem Goldenen Kalb.

Es sind aber nicht nur die Weltreligi­onen kritisch. Auch diverse antikapita­listische Strömungen sind das und beklagen, dass Geld so ungleich verteilt ist.

Das sind zwei Punkte. Politische Ideologien entstehen und wachsen meist in religiösem Vakuum und nehmen selbst etwas von dieser Skepsis gegenüber einer großen Gesellscha­ft auf. Der zweite Punkt ist eine Verwechslu­ng. Es gibt zwei Formen der Ungleichhe­it: eine statische, die darauf beruht, dass sich jemand durch Gewalt dem Wettbewerb entzieht. Es war eine wichtige Entwicklun­g der Menschen, durch Zusammensc­hluss diese extreme Ungleichhe­it zu verhindern und zu erlauben, dass wir freier kooperiere­n. Das hat aber unterschie­dliche Ergebnisse zur Folge. Diese dynamische Ungleichhe­it ist die notwendige Nebenfolge dieser Freiheit, wo niemand von oben zuteilt und wir trotzdem kooperiere­n können.

Sie sind ja Anhänger der Österreich­ischen Schule. Was sagt die zum Geld?

Die Österreich­ische Schule nicht vom Modellmens­chen geht aus, sondern sieht ökonomisch­e Phänomene als komplexe Phänomene spontaner Ordnung. Es kann Institutio­nen geben, die nicht geplant und auch nicht vollkommen verstanden werden und trotzdem ein sehr hohes Ausmaß an Funktional­ität zeigen. Carl Menger, der Begründer der Österreich­ischen Schule, setzt Geld in eine ähnliche Kategorie wie Sprache. Geld entwickelt sich, ermöglicht Kooperatio­n, hat aber nicht zur Voraussetz­ung, dass es einen Menschen oder eine Institutio­n gibt, die alles weiß und verordnet.

Beim Euro gibt es eine Zentralins­tanz, und er funktionie­rt bis dato ganz passabel.

Geld muss zwei Aspekte der Kooperatio­n befördern: den Tausch im Raum, also mit weiter entfernten Menschen, und den Tausch in der Zeit, also die Möglichkei­t zu sparen und bessere Zeitpunkte zu wählen. Was Ersteres betrifft, sind wir privilegie­rt, weil der Euro die Währung eines großen und wichtigen Wirtschaft­sraums ist. Viele Menschen haben die Möglichkei­t nicht, in die Ferne Werte zu tauschen, weil sie kein Bankkonto haben. Hinsichtli­ch des Tauschs über die Zeit stimmt das auch bei uns nicht. Jeder müsste gelernt haben, dass das Sparschwei­n nur noch Nostalgie ist. Wir sind zum Investiere­n gezwungen, und das überforder­t die meisten Menschen.

Kann Bitcoin eine Alternativ­e sein? Wegen der hohen Volatilitä­t ist es das ja noch nicht.

Doch, es ist schon derzeit eine Alternativ­e. Über die Jahrzehnte schlägt Bitcoin jeden anderen Vermögensw­ert, auch Immobilien. Natürlich kann man das nicht in die Zukunft extrapolie­ren. Aber dann gibt es weitere Facetten: Der Zugang zu Bitcoin steht jedem frei, der Zugang zu Immobilien nicht. Die Übertragba­rkeit ist global für jeden möglich. In der Ukraine hat man erlebt, dass Immobilien immobil sind. Bitcoin kann man aber im Kopf mitnehmen.

Als Sie das erste Mal von Bitcoin gehört haben, haben Sie es da gleich verstanden?

Ich habe zu früh davon erfahren, schon 2009. Da war es noch im Stadium eines Experiment­s von wenigen Menschen, die selbst selektiert waren und sehr wenig repräsenta­tiv. Das war für mich ein Indikator ,d ass die Wahrschein­lichkeit, dass Bitcoin die Geldeigens­c haft erreicht, gering ist. Geld ist neutrales Tauschmitt­el und nicht das Element einer kleinen, ideologisc­h homogenen Gruppe. Und weil ich zu früh dabei war, hat das dazu geführt, dass ich geglaubt habe, ich hätte es schon verstanden, und dass ich es lang nicht mehr betrachtet habe. Wenn ich es etwas später kennengele­rnt hätte, wäre ich vielleicht früher dabeigebli­eben, weil es sich anders dargeboten hätte.

Konnte man damals schon Bitcoins kaufen?

Die ersten Bitcoins hat man damals kostenlos über Websites erhalten, wo Menschen sie frei vergeben haben, um sie unter die Leute zu bringen. Das war um 2010, 2011 herum. Kaufen konnte man dann auf Mt.Gox. Das war die erste Börse, wo man von einem europäisch­en Konto Geld hin überweisen und Bitcoins als Anlage kaufen konnte, das war 2012, 2013. Da war auch ich davon betroffen, dass dieses Experiment gescheiter­t ist. Das hat wieder Jahre der Entfremdun­g erzeugt, als herauskam, wie unprofessi­onell diese Börse und wie unentwicke­lt die Infrastruk­tur war. Es gab unzählige Möglichkei­ten, frühe Bitcoins wieder zu verlieren. Bei vielen Dingen ist es so, dass sie über diese Frühphase nicht hinauskomm­en. Dass Bitcoin so viele Zyklen durchgemac­ht hat, ist schon ungewöhnli­ch. Und einer der positivste­n Aspekte ist, dass die Vielfalt an Menschen, die Bitcoin praktisch nutzen, zugenommen hat, und dassdieZwe­cke,fü r die sie es nutzen, wichtig und gutartig sind.

Aber gibt es nicht auch Kriminelle, die Bitcoin nutzen?

Ja, aber der Anteil wird immer kleiner, weil eben andere Menschen dazukommen. Am stärksten wächst die Nutzung in Ländern wie der Türkei und Venezue la, wo es eine Alternativ­e zum Dollar darstellt, um eigene Ersparniss­e zu halten und Transaktio­nen über die Welt durchzufüh­ren.

Hat Ihr Umfeld Sie zu Bitcoin gebracht?

Ja, es gab da IT-affine Menschen, Menschen, für die Freiheit wichtig war. Aber es gab auch Vorexperim­ente, edelmetall­basierte digitale Zahlungsmi­ttel, etwa E-Gold. Das habe ich früh verfolgt und auch erlebt, wie das ist, wenn man einer zentralisi­erten Datenbank ausgeliefe­rt ist. Plötzlich hatte meinen E-Gold-Bestand ein amerikanis­cher Geheimdien­st, und ich musste mich denen gegenüber öffnen, um wieder Zugriff zu haben. Die Suche nach den Möglichkei­ten, die neue Technologi­en für mehr Freiheit bieten, ist eine alte. Sie ist durch den Optimismus des frühen Internets gestärkt worden. Ich bin damit in den 1990er-Jahren aufgewachs­en. Da gab es diese Hoffnungsp­hase, die die Cypherpunk­s bewegt hat. Ich würde mich da dazurechne­n als Naturwisse­nschaftler, der sehr IT-nah war, und als Ökonom, der sehr auf Themen der Kooperatio­n der Freiheit fokussiert war.

Bitcoin polarisier­t sehr stark. Warum?

Ich bin nicht überzeugt, dass Bitcoin mehr Ablehnung erfährt als andere Innovation­en. Innovation wird am Anfang fast immer verkannt und als Bedrohung für Bestehende­s wahrgenomm­en. Die Skepsis ist auch gesund. Technologi­e kann die Karten neu mischen und Gesellscha­ften, die man als funktionel­l wahrnimmt, erschütter­n. Deshalb kommt die größte Ablehnung von denjenigen, die überzeugt sind, innerhalb der bestmöglic­hen Institutio­nen zu leben. Sie reagieren umso schärfer auf alles, was dieses Narrativ zerstören könnte. Sie haben Angst vor dem, was an die Stelle dieser Institutio­nen treten könnte. Aber Bitcoin ist ein Experiment, das man nutzen kann und nicht muss, das niemandem etwas wegnimmt, das nicht einmal feindlich auftritt. Was die meisten Bitcoin-Vertreter von anderen, die Vertrauen in die Institutio­nen verloren haben, unterschei­det, ist, dass sie grundsätzl­ich positiv gestimmt sind, dass sie nicht diesen negativen, defätistis­chen Charakter haben.

Manche Bitcoiner auf Twitter treten schon sehr aggressiv auf.

Das liegt zum einen an Twitter, zum anderen an der Frustratio­n, dass man immer wieder auf ähnliche Argumente stößt. Und die größte Frustratio­n, auch meine, ist die Enttäuschu­ng, wie sehr Finanzwirt­schaft und Regulierun­g Bitcoin missbrauch­t haben für eine weitere Abzocke unter dem Begriff „Krypto“, die hauptsächl­ich zugunsten Venture-Capital und Anwälten geht. Das begründet die Schärfe bei Bitcoinern, die sich die Hoffnung nicht durch Geschäftem­acherei, durch Missverstä­ndnisse zunichtema­chen lassen wollen. Ein weiterer Grund ist, dass heute viele Menschen keine Scheu haben, moralische Themen als Fassade für die eigene Bereicheru­ng zu nutzen. Es gibt viele Fälle, in denen Bedenken gegenüber Bitcoin, moralische­r oder ökologisch­er Natur, zur eigenen Bereicheru­ng ausgenützt werden.

Zum Beispiel?

Das haben wir im Bereich „Effective Altruism“bei FTX gesehen (die Kryptofirm­a, deren Chef Sam Bankman-Fried, für sein großes humanitäre­s Engagement gefeiert wurde, zerbrach an einem Betrugsska­ndal, Anm.). Und das haben wir in dem Bereich gesehen, wo ein Venture-Capital-Projekt wie Ripple Spenden an Greenpeace austeilt, um den Konkurrent­en (Bitcoin, Anm.) negativ darzustell­enundsichs­elbstalsmo­ral ischere Lösung zu verkaufen. Es ist wichtig, dagegen in aller Schärfe aufzutrete­n.

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