Gastbeitrag. Staatenübergreifender Patentschutz wird vereinfacht, den Vorwurf von Verletzungen abzuwehren jedoch teurer.
Wien. Mit voraussichtlich 1. Juni 2023 wird einerseits das neue Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) wirksam. Andererseits nimmt mit demselben Zeitpunkt das neue Einheitliche Patentgericht (Unified Patent Court, „UPC“) seine Tätigkeit auf. Die Änderungen haben tiefgreifende Auswirkungen auch auf die österreichischen Unternehmen.
Bis dato gibt es zwei Möglichkeiten, in Europa Patentschutz zu erlangen: einerseits über nationale Patente der Mitgliedstaaten, die durch die nationalen Patentämter erteilt werden. Andererseits über Europäische Patente, die zwar zentral durch das Europäische Patentamt erteilt werden, nach Erteilung jedoch in ein Bündel nationaler Patente „zerfallen“, welche in jenen Staaten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) gelten, die der Anmelder beansprucht. Hinsichtlich beider Patente sind bislang für Patentverletzungsstreitigkeiten die nationalen Gerichte zuständig, für Streitigkeiten betreffend des Rechtsbestands dieser Patente (Nichtigkeitsverfahren) in manchen Staaten die nationalen Gerichte, in anderen – wie Österreich – die nationalen Patentämter. Die Entscheidungen zu diesen „Bündelpatenten“betreffen daher auch nur den jeweiligen nationalen Teil des betreffenden Europäischen Patents.
Nun kommt eine neue Kategorie eines Patentschutzes hinzu: das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung, welches im Geltungsbereich aller Staaten, die am neuen System des Einheitlichen Patentgerichts teilnehmen (vorläufig 17 Staaten), als einheitliches Patent gilt. Damit wird – viele Jahre nach Einführung eines einheitlichen europäischen Schutzrechts im Bereich der Marken und im Bereich der Designs – nunmehr erstmals auch ein „echtes“, einheitliches europäisches Schutzrecht im Patentbereich geschaffen.
Zu beachten ist, dass es beim Einheitspatent nicht wie beim „Bündelpatent“möglich ist, im Lauf der Zeit auf einzelne Länder zu verzichten und so die Patentkosten zu reduzieren. Ein Einheitspatent kann nur ganz – für alle am UPC teilnehmenden Staaten – aufgegeben werden.
Verletzungsstreitigkeiten betreffend Einheitspatente sind vor dem neuen Unified Patent Court zu führen. Dessen Entscheidungen sind dann in allen am UPC teilnehmenden Staaten vollstreckbar. Rechtsbestandsverfahren gegen Einheitspatente sind ebenfalls vor dem UPC zu führen und vernichten im Erfolgsfall das Einheitspatent in allen Staaten, die zum Zeitpunkt der Eintragung des Einheitspatents am UPC teilnehmen.
Bemerkenswert ist, dass sich die am UPC teilnehmenden Staaten darauf verständigt haben, auch die vorhin erwähnten „Bündelpatente“– abgesehen von einer siebenjährigen Übergangsfrist mit parallelen nationalen Zuständigkeiten – dem Gerichtssystem des UPC zu unterstellen. Allerdings haben Patentinhaber – bevor ein Verfahren anhängig gemacht wird – die Möglichkeit, ihre Bündelpatente aus dem UPC-System hinaus zu optieren. Es wird erwartet, dass dies bei vi elen besonders wichtigen Patenten erfolgen wird, um zu verhindern, dass diese „zentral“für das gesamte Gebiet des UPC nichtig erklärt werden können. Ein „Opt-out“ist ab drei Monaten vor Inkrafttreten des UPC, also voraussichtlich ab März 2023, möglich.
Das neue System bietet große Vorteile für Patentinhaber. Anstatt im Fall einer länderübergreifenden
Patentverletzung in allen betroffenen Staaten Verfahren einleiten zu müssen, können die Patentinhaber gegen die Rechtsverletzung in einemein zigen Verfahren vor dem UPC vorgehen.
Gericht kann Kosten mäßigen
Für (potenzielle) Beklagte bietet das neue System aber auch große Risiken: Wenn etwa ein österreichisches Kleinunternehmen von einem anderen Unternehmen der Verletzung eines Bündelpatents nurinÖster reich beschuldigt wird, drohte diesem bislang „nur“ein nationales Verletzungsverfahren. In Hinkunft könnte gegen dieses Unternehmen ein Verfahren vor dem UPC angestrengt werden, was mit wesentlich höheren Kosten verbunden wäre. Allerdings ist dem UPC ein großer Ermessensspielraum eingeräumt, zum Schutz von Kleinunternehmen Verfahrenskosten herabzusetzen.
Das UPC hat lokale und regionale Kammern, die überwiegend für Verletzungsstreitigkeiten zuständig sind – für Österreich die Lokalkammer in Wien. Diese wird vom in Patentsachen erfahrenen Richter des Oberlandesgerichtes Wien Dr. Walter Schober geleitet werden. Für Verfahren über den Rechtsbestand von Patenten (Nichtigkeitsverfahren) ist die Zentralkammer zuständig, die Dependancen in München und Paris hat.
Die dezentrale Struktur des UPC in Verletzungsstreitigkeiten bietet Patentinhabern eine Fülle an strategischen Optionen und ermöglicht oftmals ein „forum shopping“: Wenn zum Beispiel eine Patentverletzung in Österreich, Italien und Malta stattfindet, kann der Patentinhaber wählen, ob er die Klage vor der österreichischen Lokalkammer, der italienischen Lokalkammer oder – da Malta keine eigene Lokalkammer hat – vor der Zentralkammer anhängig macht.
Diese Optionen führen unter Experten allerdings auch zu Sorge: etwa, dass „patent trolls“das System ausnutzen könnten. Darunter versteht man Unternehmen bzw. Personen, die selbst gar kein operatives Geschäft ausführen, sondern sich auf den Erwerb einer Vielzahl von Patenten spezialisiert haben, um basierend darauf Player am Markt zu klagen mit dem Ziel, daraus finanziellen Profit zu schlagen.
„Forum shopping“droht
Doch auch etablierte Unternehmen können und werden die strategischen Möglichkeiten des neuen Systems nutzen. Vielfach – etwa im Falle eines Angebots im Internet – wird eine (potenzielle) Verletzungshandlung in allen UPCStaaten vorliegen, sodass praktisch alle Kammern für ein Verletzungsverfahren im Wege des „forum shopping“vom Patentinhaber gewählt werden können. Es kann durchaus sein, dass in ein em solchen Fall etwa ein österreichisches Kleinunternehmen gezwungen wäre, sich beispielsweise auf ein Verfahren vor der niederländischen Lokalkammer in niederländischer oder englischer Sprache einzulassen.
Es wird spannend, wie sich das neue System in der Praxis etablieren wird. Österreich hat dabei übrigens eine Vorreiterrolle gespielt und als erster Staat das Abkommen über das Einheitliche Patentgericht ratifiziert. Es bleibt zu hoffen, dass die innovativen Unternehmen die Vorteile und Möglichkeiten des neuen Systems bestmöglich für sich nutzen können und sich die vorab aufgezeigten Risiken für die hierzulande die Unternehmensstruktur dominierenden KMUs nicht allzu negativ auswirken.