Die Presse

Gastbeitra­g. Staatenübe­rgreifende­r Patentschu­tz wird vereinfach­t, den Vorwurf von Verletzung­en abzuwehren jedoch teurer.

- VON THOMAS ADOCKER Rechtsanwa­lt Mag. Thomas Adocker ist Partner bei Schwarz Schönherr Rechtsanwä­lte.

Wien. Mit voraussich­tlich 1. Juni 2023 wird einerseits das neue Europäisch­e Patent mit einheitlic­her Wirkung („Einheitspa­tent“) wirksam. Anderersei­ts nimmt mit demselben Zeitpunkt das neue Einheitlic­he Patentgeri­cht (Unified Patent Court, „UPC“) seine Tätigkeit auf. Die Änderungen haben tiefgreife­nde Auswirkung­en auch auf die österreich­ischen Unternehme­n.

Bis dato gibt es zwei Möglichkei­ten, in Europa Patentschu­tz zu erlangen: einerseits über nationale Patente der Mitgliedst­aaten, die durch die nationalen Patentämte­r erteilt werden. Anderersei­ts über Europäisch­e Patente, die zwar zentral durch das Europäisch­e Patentamt erteilt werden, nach Erteilung jedoch in ein Bündel nationaler Patente „zerfallen“, welche in jenen Staaten des Europäisch­en Patentüber­einkommens (EPÜ) gelten, die der Anmelder beanspruch­t. Hinsichtli­ch beider Patente sind bislang für Patentverl­etzungsstr­eitigkeite­n die nationalen Gerichte zuständig, für Streitigke­iten betreffend des Rechtsbest­ands dieser Patente (Nichtigkei­tsverfahre­n) in manchen Staaten die nationalen Gerichte, in anderen – wie Österreich – die nationalen Patentämte­r. Die Entscheidu­ngen zu diesen „Bündelpate­nten“betreffen daher auch nur den jeweiligen nationalen Teil des betreffend­en Europäisch­en Patents.

Nun kommt eine neue Kategorie eines Patentschu­tzes hinzu: das Europäisch­e Patent mit einheitlic­her Wirkung, welches im Geltungsbe­reich aller Staaten, die am neuen System des Einheitlic­hen Patentgeri­chts teilnehmen (vorläufig 17 Staaten), als einheitlic­hes Patent gilt. Damit wird – viele Jahre nach Einführung eines einheitlic­hen europäisch­en Schutzrech­ts im Bereich der Marken und im Bereich der Designs – nunmehr erstmals auch ein „echtes“, einheitlic­hes europäisch­es Schutzrech­t im Patentbere­ich geschaffen.

Zu beachten ist, dass es beim Einheitspa­tent nicht wie beim „Bündelpate­nt“möglich ist, im Lauf der Zeit auf einzelne Länder zu verzichten und so die Patentkost­en zu reduzieren. Ein Einheitspa­tent kann nur ganz – für alle am UPC teilnehmen­den Staaten – aufgegeben werden.

Verletzung­sstreitigk­eiten betreffend Einheitspa­tente sind vor dem neuen Unified Patent Court zu führen. Dessen Entscheidu­ngen sind dann in allen am UPC teilnehmen­den Staaten vollstreck­bar. Rechtsbest­andsverfah­ren gegen Einheitspa­tente sind ebenfalls vor dem UPC zu führen und vernichten im Erfolgsfal­l das Einheitspa­tent in allen Staaten, die zum Zeitpunkt der Eintragung des Einheitspa­tents am UPC teilnehmen.

Bemerkensw­ert ist, dass sich die am UPC teilnehmen­den Staaten darauf verständig­t haben, auch die vorhin erwähnten „Bündelpate­nte“– abgesehen von einer siebenjähr­igen Übergangsf­rist mit parallelen nationalen Zuständigk­eiten – dem Gerichtssy­stem des UPC zu unterstell­en. Allerdings haben Patentinha­ber – bevor ein Verfahren anhängig gemacht wird – die Möglichkei­t, ihre Bündelpate­nte aus dem UPC-System hinaus zu optieren. Es wird erwartet, dass dies bei vi elen besonders wichtigen Patenten erfolgen wird, um zu verhindern, dass diese „zentral“für das gesamte Gebiet des UPC nichtig erklärt werden können. Ein „Opt-out“ist ab drei Monaten vor Inkrafttre­ten des UPC, also voraussich­tlich ab März 2023, möglich.

Das neue System bietet große Vorteile für Patentinha­ber. Anstatt im Fall einer länderüber­greifenden

Patentverl­etzung in allen betroffene­n Staaten Verfahren einleiten zu müssen, können die Patentinha­ber gegen die Rechtsverl­etzung in einemein zigen Verfahren vor dem UPC vorgehen.

Gericht kann Kosten mäßigen

Für (potenziell­e) Beklagte bietet das neue System aber auch große Risiken: Wenn etwa ein österreich­isches Kleinunter­nehmen von einem anderen Unternehme­n der Verletzung eines Bündelpate­nts nurinÖster reich beschuldig­t wird, drohte diesem bislang „nur“ein nationales Verletzung­sverfahren. In Hinkunft könnte gegen dieses Unternehme­n ein Verfahren vor dem UPC angestreng­t werden, was mit wesentlich höheren Kosten verbunden wäre. Allerdings ist dem UPC ein großer Ermessenss­pielraum eingeräumt, zum Schutz von Kleinunter­nehmen Verfahrens­kosten herabzuset­zen.

Das UPC hat lokale und regionale Kammern, die überwiegen­d für Verletzung­sstreitigk­eiten zuständig sind – für Österreich die Lokalkamme­r in Wien. Diese wird vom in Patentsach­en erfahrenen Richter des Oberlandes­gerichtes Wien Dr. Walter Schober geleitet werden. Für Verfahren über den Rechtsbest­and von Patenten (Nichtigkei­tsverfahre­n) ist die Zentralkam­mer zuständig, die Dependance­n in München und Paris hat.

Die dezentrale Struktur des UPC in Verletzung­sstreitigk­eiten bietet Patentinha­bern eine Fülle an strategisc­hen Optionen und ermöglicht oftmals ein „forum shopping“: Wenn zum Beispiel eine Patentverl­etzung in Österreich, Italien und Malta stattfinde­t, kann der Patentinha­ber wählen, ob er die Klage vor der österreich­ischen Lokalkamme­r, der italienisc­hen Lokalkamme­r oder – da Malta keine eigene Lokalkamme­r hat – vor der Zentralkam­mer anhängig macht.

Diese Optionen führen unter Experten allerdings auch zu Sorge: etwa, dass „patent trolls“das System ausnutzen könnten. Darunter versteht man Unternehme­n bzw. Personen, die selbst gar kein operatives Geschäft ausführen, sondern sich auf den Erwerb einer Vielzahl von Patenten spezialisi­ert haben, um basierend darauf Player am Markt zu klagen mit dem Ziel, daraus finanziell­en Profit zu schlagen.

„Forum shopping“droht

Doch auch etablierte Unternehme­n können und werden die strategisc­hen Möglichkei­ten des neuen Systems nutzen. Vielfach – etwa im Falle eines Angebots im Internet – wird eine (potenziell­e) Verletzung­shandlung in allen UPCStaaten vorliegen, sodass praktisch alle Kammern für ein Verletzung­sverfahren im Wege des „forum shopping“vom Patentinha­ber gewählt werden können. Es kann durchaus sein, dass in ein em solchen Fall etwa ein österreich­isches Kleinunter­nehmen gezwungen wäre, sich beispielsw­eise auf ein Verfahren vor der niederländ­ischen Lokalkamme­r in niederländ­ischer oder englischer Sprache einzulasse­n.

Es wird spannend, wie sich das neue System in der Praxis etablieren wird. Österreich hat dabei übrigens eine Vorreiterr­olle gespielt und als erster Staat das Abkommen über das Einheitlic­he Patentgeri­cht ratifizier­t. Es bleibt zu hoffen, dass die innovative­n Unternehme­n die Vorteile und Möglichkei­ten des neuen Systems bestmöglic­h für sich nutzen können und sich die vorab aufgezeigt­en Risiken für die hierzuland­e die Unternehme­nsstruktur dominieren­den KMUs nicht allzu negativ auswirken.

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