Die Presse

Keine Ortung, Sohn tot: Klage der Eltern scheitert

Hat die Polizei es verabsäumt, einen Vermissten zeitgerech­t zu lokalisier­en? Nein, sagt der OGH. Der Staat muss nicht zahlen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Reagiert die Polizei ausreichen­d, wenn man sie um Hilfe ersucht? Eine Frage, über die zuletzt intensiv diskutiert wurde. Die Debatte reichte vom Suizid einer von militanten Impfgegner­n bedrohten Ärztin bis zu einer jungen Frau, die aus Furcht vor ihrem Ehemann den Notruf gewählt hatte, weil sie ihn in der Nähe ihres Arbeitspla­tzes gesehen hatte. Am Notruf soll man der Frau aber nur geraten haben, Anzeige zu erstatten. Der Mann suchte die Frau auf und stach mehrmals auf sie ein.

Während der Fall der Schwerverl­etzten geprüft wird, galt es einen anderen bereits vor Gericht zu klären. In diesem werfen Eltern der Polizei vor, nicht ausreichen­d auf ihr Hilfeersuc­hen reagiert und den Sohn nicht via Handy geortet zu haben. Der Sohn war nach einer Kontrovers­e mit seiner Mutter über dessen Arbeit am Morgen von zu Hause weggefahre­n. Er sollte nie mehr lebend gesehen werden. Die Republik müsse wegen der Versäumnis­se der Polizei Schadeners­atz zahlen, forderten die Eltern. Doch die Höchstrich­ter erblickten keinen Fehler der Polizei.

Es war zwischen 22:30 und 23:30 Uhr, als der Vater bei der Polizei Alarm schlug. Sein (bereits volljährig­er) Sohn sei nach der Auseinande­rsetzung in der Früh nicht mehr zurückgeko­mmen. Man habe keinen Kontakt zu ihm, und der Mann sei auch an seinen gewöhnlich­en Aufenthalt­sorten nicht auffindbar. Dieses Verhalten sei absolut untypisch für seinen Sohn, sagte der Vater dem Beamten. Er möge daher das Handy des Vermissten orten.

Nun fragte der Polizist, ob der Sohn psychische Probleme habe oder gar suizidgefä­hrdet sei. Das aber verneinte der Vater. Auch nachdem die Eltern nochmals miteinande­r darüber gesprochen und eine Beamtin dem Vater mitgeteilt hatte, dass man die Handyortun­g nur unter bestimmten Voraussetz­ungen durchführe­n dürfe.

Die Voraussetz­ungen für die Lokalisier­ung von Vermissten regelt das Sicherheit­spolizeige­setz. „Ist aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass eine gegenwärti­ge Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit eines Menschen besteht“, können die Sicherheit­sbehörden die Ortung in die Wege leiten. Da es dabei rasch gehen muss, ist es nicht nötig, dass der Rechtsschu­tzbeauftra­gte im Innenminis­terium vorab die Ortung genehmigt (er ist aber im Nachhinein zu informiere­n).

Polizisten als Psychologe­n?

Die Polizei habe aber in diesem Fall an ebendiesem Abend nicht handeln müssen, befanden die ersten beiden Instanzen. Denn die Beamten hätten nach den Schilderun­gen der Eltern nicht erkennen können, dass der Sohn sich wegen kritischer Lebenserei­gnisse in einer psychische­n Notsituati­on befunden habe. Nun machten die Eltern aber im Verfahren geltend, dass die Polizisten wegen ihrer „höheren psychologi­schen Kompetenz“trotz der nicht allzu schlimmen Schilderun­g des Sachverhal­tes hätten handeln müssen.

Das Argument überzeugte den Obersten Gerichtsho­f (OGH) nicht. Und zwar, weil „nach eigener Einschätzu­ng der Kläger nicht einmal ein Psychologe fähig wäre, die zur Durchführu­ng einer Handyortun­g

nötige psychologi­sche Beurteilun­g abzugeben, sofern der Abgängige nicht zuvor Suizidgeda­nken geäußert habe“. Auch daraus, dass der Sohn mit seinem Pkw unterwegs war, habe sich noch nicht konkret vermuten lassen, er habe einen Unfall gehabt.

Und auch die Beschwerde der Eltern darüber, dass die Polizeibea­mten in der Nacht nicht mehr bei ihnen nachfragte­n, ob ihr Sohn zwischenze­itig nach Hause zurückgeke­hrt sei, prallte am OGH ab. Die Beamten hätten schließlic­h dem Vater gesagt, er solle sich in der Früh neuerlich melden, falls sein Sohn wieder auftauche.

Die erst am Folgetag durchgefüh­rte Ortung konnte den Tod des Sohnes nicht mehr verhindern. Auch der OGH (1 Ob 244/22x) wies die Amtshaftun­gsklage der Eltern gegen die Republik ab.

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