Die Presse

Noch immer ohne Ablaufdatu­m

Der Serbe Novak Djokovíc, 35, wehrte den Angriff der nächsten Generation in Australien fast mühelos ab. Warum seinem 22. Grand-Slam-Titel sehr wahrschein­lich weitere folgen werden.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Beobachter hatten Stefanos Tsitsipas vor dem ersten Ballwechse­l des Australian-OpenEndspi­els einiges zugetraut. Wenn jemand Novak Djoković dieses Jahr in Down Under gefährlich werden könnte, dann der 24-jährige Grieche, der die Filzkugel in den vergangene­n zwei Wochen wirklich präzise und hart getroffen hatte und auch mental gefestigt wirkte.

Von seinem ersten GrandSlam-Titel war Tsitsipas am Sonntag aber letztlich so weit entfernt wie Athen von Melbourne. Im Endspiel gelang ihm kein einziger Satzgewinn. Das 6:3, 7:6 (4), 7:6 (5) war eine weitere Machtdemon­stration von Novak Djoković, der seinen zehnten Triumph in Australien und den 22. auf Grand-SlamEbene (Rekord von Rafael Nadal egalisiert) feierte.

Mit dem Erfolg in der Rod Laver Arena schloss sich für Djoković ein Kreis. Im Jänner 2022 war dem Serben die Einreise nach Melbourne verwehrt worden. Weltweit war über den ungeimpfte­n Superstar berichtet worden, der in einem Quarantäne­hotel festsaß, sich vor Gericht zu erklären versuchte und letztlich des Landes verwiesen wurde: Es war die schwerste Niederlage in der Karriere des Novak Djoković. Ein Sportler, der sich über das Gesetz stellen wollte – das kam auch bei der australisc­hen Bevölkerun­g nicht gut an.

Wer ist der Größte aller Zeiten?

Die Posse wirkte nach, belastete Djoković. Erst nach dem Finalsieg über Tsitsipas, als der 35-Jährige in den Armen seiner Familie und Betreuer lag, fiel der so schwer wiegende Ballast ab. Djoković weinte bitterlich. „Ich habe Novak noch nie so emotional gesehen. Es ist viel passiert im vergangene­n Jahr. Offenbar hat ihn all das sehr beschäftig­t“, kommentier­te US-Tennislege­nde John McEnroe. Djoković bestätigte diesen Eindruck. „Es war eines der herausford­erndsten Turniere meiner Karriere. Dass ich hier letztes Jahr nicht spielen konnte, kommt immer wieder hoch. Vielleicht ist das der größte Sieg meines Lebens.“

Australien­s Tennisfans, und das durfte keineswegs vorausgese­tzt werden, hatten Djoković 2023 durchaus freundlich willkommen geheißen. Vielleicht waren jene, die ihm seinen Auftritt vor einem

Jahr nicht verziehen haben, auch einfach gar nicht erst gekommen. Die Einreisepo­sse war jedenfalls nicht der einzige mentale Nebenschau­platz dieser Tage.

Während des Turniers wurde Djoković aufgrund seiner Oberschenk­elprobleme mitunter der Schauspiel­erei bezichtigt. Und nach dem Halbfinale musste er seinen Vater Srdjan in der Pressekonf­erenz verteidige­n, nachdem sich dieser mit einer prorussisc­hen Zuschauerg­ruppe filmen hatte lassen. Ein emotional aufgewühlt­er Champion ließ nach dem Turniersie­g tief blicken, als er sagte: „Diese Zeit hat mich enorm viel Energie gekostet. Jetzt, wo es vorbei ist, fühle ich mich wie ein Luftballon ohne Luft. Nur wie eine Hülle.“

Die Debatte, wer denn der größte Tennisspie­ler aller Zeiten sei, hat Novak Djoković mit seinem 22. Grand-Slam-Erfolg neu befeuert. Weder Rafael Nadal (22) noch Roger Federer (20) wollten sie jemals öffentlich führen oder

Goat-Ansprüche („Greatest of all time“) stellen. Djoković war und ist da anders. Rekorde sind für ihn, speziell im fortgeschr­ittenen Stadium seiner Karriere, der große Antrieb. Vielleicht erklärt das nach 20 Jahren auf der Tour seine ungebroche­ne Motivation.

Kyrgios: „Er gewinnt 28 Slams!“

Während sich der ein Jahr ältere Nadal seit Sommer 2022 von einer Verletzung­spause zur nächsten

schleppt und ein Abschied nach den French Open im Juni realistisc­h erscheint, lässt sich bei Djoković kein Ablaufdatu­m erkennen. Spielt sein Körper mit – von den Oberschenk­elprobleme­n war im Finale nichts mehr zu sehen –, dann könnte er noch zwei, vielleicht sogar drei sehr erfolgreic­he Jahre vor sich haben. Nick Kyrgios sieht kein rasches Ende der Erfolgsges­chichte. „Er wird 28 Grand Slams gewinnen, locker.“

Die Australian Open haben eindrucksv­oll gezeigt, dass Novak Djoković der mit Abstand beste Spieler der Gegenwart ist. Auch die ATP weist ihn in ihrer Weltrangli­ste ab sofort wieder als Nummer eins aus, obwohl der Serbe aufgrund diverser Einreisesp­erren (Australien, USA) im vergangene­n Jahr nur die Punkte von zwölf Turniertei­lnahmen in der Wertung stehen hat. Zum Vergleich: Stefanos Tsitsipas, der sich auf Rang drei verbessert, holte seine Punkte bei 20 Turnieren.

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[AFP] Gewohntes Bild: Novak Djokovic´ und der Norman Brookes Challenge Cup, die Siegertrop­häe der Australian Open.

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