Wie Ligeti witzelt und der Yankee dudelt
Jubel für Tiefsinn und Humor mit dem RSO Wien im Konzerthaus.
„Long, long ago“: Diese Hymne der Nostalgie stammt vom 1839 verstorbenen Engländer Thomas Haynes Bayly. In den USA ging sie ins Reservoir „typisch amerikanischer“(Volks-)Lieder, Märsche und Kirchengesänge ein. Aus diesem schöpfte Charles Ives. Für seine Symphonie Nr. 2, um 1900 entstanden, bog er sich populäre Melodien zurecht, die zwischen Prärie und Saloon, Kirche und Jahrmarkt kursierten, mischte sie mit Einsprengseln europäischer Kunstmusik – und machte doch etwas Eigenes, Tiefes daraus. Postmoderne avant la lettre? Mehr ein musikalisches Äquivalent zum viel zitierten Schmelztiegel. Wenn auf dem Höhepunkt des Volksfest-Finales die Posaunen den Marsch „Columbia, the Gem of the Ocean“schmettern, ist das in dieser Zitatdeutlichkeit eher die Ausnahme. Es führt aber, dem allgemeinen F-Dur-Feuerwerk zum Trotz, gewissermaßen logisch zum letzten Akkord, einer herben Dissonanz. Alle zwölf? Nein, nur elf – der Ton H fehlt. Systematiker wie Schönberg war Ives eben keiner . . .
Lang, lang ist’s her, in den 1980ern in München war’s, als Leonard Bernstein mit dem BR-Symphonieorchester eine Lanze für Ives’ Zweite brechen wollte. Herzblut und Liebesüberschwang regierten – gekrönt durch den Gimmick, den erwähnten Schlussakkord von einer partiturgetreu knappen Achtel zu einer halben Note Schrillheit auszudehnen. Das Buh, das sich daraufhin in München vor den Jubel drängte und wohl gegen Ives gerichtet war, traf Bernstein sichtlich.
Nonkonformisten Ives und Ligeti
Eitel Wonne herrschte dagegen nun im Wiener Konzerthaus, als Marin Alsop mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien den Schmäh ihres einstigen Lehrers wiederholte. Er passte als eulenspiegelhaft herausgestreckte Zunge auch bestens in die Gegenüberstellung mit György Ligeti, dem das Haus zum Hunderter einen Schwerpunkt widmet: Ives und Ligeti, zwei originelle Nonkonformisten. Dabei kam Ives bei Alsop klassizistischer, ruhiger daher als bei Bernstein, sie betonte nicht das Durcheinander, sondern das Integrative seiner Collagen. Mit dem RSO und dem famosen Denis Kozhukhin hatte sie auch in jedem Moment alerte Partner für die quecksilbrigen Szenenfolgen von Ligetis Klavierkonzert. Dem poetischen Rätsel von Ives’ „Unanswered Question“am Beginn standen am Ende Ligetis lustvoll groteske „Mysteries of the Macabre“gegenüber, für die sich Yeree Suh in eine Koloratur-Domina in Lack und Leder verwandelte: Begeisterung.