Die Presse

Vierteilun­g auf dem Zauberberg

Bastian Kraft hat eine überzeugen­de Stückfassu­ng von Thomas Manns „Zauberberg“erstellt. Seine Regie folgt leider einem sinnstören­den postdramat­ischen Ansatz.

- VON THOMAS KRAMAR

Sind das jetzt wirklich sieben Minuten? Oder nur sieben Theatermin­uten? Bei dieser Frage ertappt man sich bei der Szene, in der der frisch rekrutiert­e Patient Hans Castorp – eigentlich vier Castorps, doch davon später – mit dem Thermomete­r im Mund daliegt und ungeduldig wartet. Man wartet mit ihm und fragt sich noch naiver: Ja, fehlen diese sieben Minuten nicht dann bei dem gewagten Unterfange­n, uns den „Zauberberg“in 130 Minuten vorzuführe­n? Diese tausend Seiten, die erst von sieben Tagen, dann von sieben Monaten, dann von sieben Jahren erzählen und zwar mit der Langeweile spielen, aber nie langweilig sind? Überhaupt: Was ist Langeweile?

Diese Meditation kommt nicht vor in der Stückfassu­ng, die Regisseur Bastian Kraft erstellt hat. Aber es ist eine erstaunlic­h gut gelungene „Reader’s Digest“-Version des „Zauberberg“. Sie konzentrie­rt sich auf das zentrale Motiv der Überwindun­g des Todes durch die Liebe, sie bringt alle wesentlich­en Personen bis hin zum Mynheer Peeperkorn, dessen dionysisch­e Predigten ein wenig knapp wirken, aber man kann halt nicht alles haben in 130 Minuten. Den großen Stumpfsinn und die große Gereizthei­t schlankerh­and zusammenzu­fassen ist eine witzige Idee. Wie überhaupt die Komik des Romans gut vermittelt wird, wobei die gute Frau Stöhr mit ihren 28 Fischsauce­n brav mitwirkt.

Auch die Auszüge aus den Streitgesp­rächen zwischen Naphta und Settembrin­i sind geschickt gewählt, und dass der radikale Naphta vor dem – Achtung, Spoiler! – finalen

Duell dazu aufruft, „sich von der Tyrannei der Fakten zu befreien“, ist ein lässliches Extempore. Nach Naphtas Tod – der im Roman freilich packender geschilder­t wird, als es je auf einer irdischen Bühne gezeigt werden kann – geht’s stante pede in den Krieg, und das passt dramaturgi­sch bestens.

Also alles fein? Endlich eine durchwegs gelungene Dramatisie­rung eines großen Romans? Nein. Denn die Regie wollte mehr – oder weniger, wie man’s nimmt. Wohl weniger von Personalkn­appheit als vom postdramat­ischen Zeitgeist getrieben, begnügte sich Bastian Kraft mit zwei Schauspiel­erinnen und zwei Schauspiel­ern. Die logischerw­eise jeweils mehrere Rollen in Personalun­ion spielen müssen.

Naphta, Settembrin­i: dieselbe Stimme

Das könnte ja noch funktionie­ren. Dass eine Schauspiel­erin abwechseln­d Naphta und Settembrin­i spricht, ist zwar ungefähr so arty, wie im „Tannhäuser“die Venus und die Elisabeth von derselben Sängerin singen zu lassen, aber es hat genauso seinen Reiz. Sylvie Rohrer bewältigt das bravourös. Auch dass die Schauspiel­er auf der Bühne – von Peter Baur als geometrisi­ertes Gebirge gestaltet – meist synchron zu den wild auf die Bergskulpt­ur projiziert­en Videos sprechen, in denen man sie (oder andere) in Verkleidun­g die Figuren mimen sieht, nimmt man hin, auch wenn es ohne Gewinn verwirrt. Dass in der zentralen, teilweise französisc­hen Liebesszen­e Hans Castorp eine weibliche Stimme und Clawdia Chauchat eine männliche Stimme hat, mag sogar der Relativier­ung der Geschlecht­errollen dienen.

Aber dass Hans Castorp im ganzen Stück von allen vier Schauspiel­ern verkörpert wird, manchmal abwechseln­d und manchmal zugleich, ist sinnlos und widerspric­ht einem wesentlich­en Aspekt des Stoffs. Der „Zauberberg“ist nicht nur ein Schelmenro­man, sondern auch ein Bildungsro­man. Seine zentrale Figur ist zunächst ein tumber Tor wie Parzival, nur dass er nicht auf dem Gaul in die Welt reitet, sondern auf dem Dampfross in die Einöde des Bergs. Dort ist er nicht auf Erholung, sondern, wie’s im Buch heißt, ein „Abenteurer im Fleische und Geist“. Er lernt, er wird gebildet, mindestens fünf Lehrmeiste­r (Behrens, Krokowski, Settembrin­i, Naphta, Peeperkorn) versuchen, ihn auf ihre Weise zu formen, streiten um seinen Geist und seine Seele. Jedenfalls ist er zwar simpel, aber ein Charakter, der sich verändert, der geformt wird und sich formt. Das lässt sich nicht ausdrücken, wenn man ihn vierteilt. Und ihn einmal sich selbst filmen lässt, als ob er Castorf und nicht Castorp hieße.

Dass der Abend trotz der guten Textfassun­g und der schauspiel­erischen Leistungen, auch in den Nebenrolle­n auf Video – Markus Meyer ist etwa ein gerade nicht zu kabarettis­tischer Hofrat Behrens –, nicht durchwegs fesselt, liegt an diesem unsinnigen Konzept. Das leugnet, was Theater (auch) ausmacht: dass ein Mensch eine Figur spielt, mit allen Ambivalenz­en, die das bedeuten mag. Felix Kammerer vor allem – derzeit, eine arge Koinzidenz, als Soldat im Erster-Weltkrieg-Film „Im Westen nichts Neues“für einen Oscar im Rennen – könnte als Castorp verzaubern und berühren. Im Burgtheate­r-„Zauberberg“darf er das nicht. Und das ist schade.

 ?? [ Burgtheate­r/Ruiz Cruz ] ?? Ein Castorp kommt selten allein: Hier sieht man drei auf der Bühne, dazu Vetter Joachim auf dem Videoschir­m.
[ Burgtheate­r/Ruiz Cruz ] Ein Castorp kommt selten allein: Hier sieht man drei auf der Bühne, dazu Vetter Joachim auf dem Videoschir­m.

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