Die Presse

Ibsen und die Klima-Apokalypse

„Ein Volksfeind“wird im Landesthea­ter St. Pölten zum Ökodrama, Gott sei Dank nicht nur: Im Zentrum bleibt, wie Mehrheiten mit unliebsame­n Wahrheiten umgehen.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ich habe eine Sehnsucht nach der nächsten Katastroph­e. Denn wenn wir gemeinsam leiden, fällt dieses Unbehagen ab . . .“So singt die junge Petra am Ende von „Ein Volksfeind“im Landesthea­ter St. Pölten aus einem Lied der österreich­ischen Musikerin Eva Jantschits­ch. Petras Vater, der Badearzt Thomas Stockmann, ist in einer Bürgervers­ammlung seines Heimatorts zum „Volksfeind“erklärt worden, weil er ein wissenscha­ftliches Gutachten nicht vertuschen will: Das Wasser des Kurbades, auf dem die Hoffnungen der Stadt ruhen, ist verseucht.

Auch wenn der Öko-Aspekt in Ibsens Stück nicht im Zentrum steht, ist er ein Grund dafür, dass es derzeit auf und ab gespielt wird, von Frankfurt über Stuttgart bis Wien, jetzt auch St. Pölten. Umweltschü­tzerin Petra als Vorläuferi­n heutiger Klimaaktiv­isten darzustell­en liegt dabei auf der Hand. Regisseuri­n Anne Bader setzt aber auch die Entwicklun­g von Petras Vater in Beziehung zu einer heutigen Lust an der Apokalypse. „Es ist nichts daran gelegen, wenn eine lügenhafte Gesellscha­ft zugrunde geht“, heißt es etwa in Stockmanns Rede in der Bürgervers­ammlung, die zu seinem Ausschluss als „Volksfeind“führt, „möge das ganze Volk hier ausgerotte­t werden!“Das ist durch politische Desillusio­nierung aus dem naiven Optimisten geworden, der glaubte, er werde bei seinem Kampf für die Wahrheit natürlich „die geschlosse­ne Mehrheit“hinter sich haben.

Aus der Tatsache, dass Ibsen seine Figuren nicht schwarz-weiß zeichnet, wird bisweilen gefolgert, er ergreife nicht so sehr Partei. Dabei richtet sich „Ein Volksfeind“klar gegen „geschlosse­ne Mehrheiten“, die sich von alten Konvention­en und Eigeninter­essen in kollektive Lügen treiben lassen und die Verkünder unbequemer neuer Wahrheiten vernichten (Ibsen schrieb das 1882 uraufgefüh­rte Stück nach feindselig­en Reaktionen auf sein soziale Tabus brechendes Stück „Gespenster“). Stockmann sieht sich als Sprachrohr einer „jungen Generation“, die für Wahrheiten kämpfe, „so frisch, dass sie noch keine Mehrheit haben können“.

Er ist ein Rechthaber, aber er hat recht

Dass ein so kompromiss­loser Charakter nicht ohne Schattense­iten daherkommt, ist keine Abschwächu­ng dieser Kritik, sie hat einfach mit Ibsens Realismus zu tun. Michael Scherff verkörpert in St. Pölten wunderbar auch Stockmanns befremdlic­he Seiten: Keinen Moment etwa sieht man ihn niedergedr­ückt, als sich sein Verdacht auf schädliche Keime bestätigt, im Gegenteil, sein Rechthaben scheint ihm beste Laune zu bereiten.

Anderersei­ts strahlt sein Gegenspiel­er, der Bruder und Stadtverwa­lter, bei Ibsen Vernunft und Verantwort­ungsgefühl aus, wenn er an die verheerend­en Folgen der Kurbadschl­ießung für die Menschen denkt und sich um den Bruder sorgt. In dieser Inszenieru­ng ist der Bruder eine Schwester (auch eine Anspielung auf niederöste­rreichisch­e Politik?): Bettina Kerl würde einem wie der Inbegriff einer „Politik mit Augenmaß“vorkommen, wüsste man nicht, was sie zum „Wohl“der Stadt zu vertuschen bereit ist.

Ibsens Aufmerksam­keit richtet sich nicht so sehr auf die Art der vertuschte­n Wahrheit als auf die psychologi­schen und gesellscha­ftlichen Mechanisme­n kollektive­r Lügen. Das ist es auch, was das Stück zeitlos wirken lässt. Wer erkennt denn nicht heutige Mitmensche­n (und vielleicht ein Stück von sich selbst) in den zwei Wendehälse­n wieder, dem Redakteur des „Volksboten“, Hovstad, und seinem Herausgebe­r, dem Unternehme­rvertreter Aslaksen? Gleich sind sie zur Stelle, um dem Badearzt begeistert Hilfe zuzusicher­n, der eine will die Enthüllung gleich für seine revolution­äre Agenda nutzen, der andere mahnt zur Mäßigung, um die Behörden nicht zu verärgern. Als die Stadtvorst­eherin ihnen die wirtschaft­lichen Folgen (auch für sie selbst) klarmacht, wechseln sie prompt auf ihre Seite; und wirken dabei genauso überzeugt von ihrer ehrlichen Überzeugun­g wie vorher. Ein Genuss, wie Tilman Rose als Aslaksen mit öligem Lächeln den so verbreitet­en Typ des Anpassers spielt, der öffentlich „mutig“die ferne Regierung attackiert (gefahrlos, sie kümmert sich eh nicht drum), sich aber im Kleinen duckt, sobald er nur eine Spur persönlich­en Nachteils erahnt.

In der St. Pöltener Eineinhalb-StundenVer­sion bleiben Stockmanns Frau und Söhne ausgespart, damit auch der Konflikt zwischen Stockmanns Verantwort­ung gegenüber der Allgemeinh­eit und gegenüber seiner Familie. Das trägt dazu bei, den Fokus zu verstärken: auf die Art, wie die Politik, die Öffentlich­keit, wie Mehrheiten gern mit Wahrheiten umgehen, die ihnen nicht in den Kram passen. Damals wie heute.

 ?? [ Franzi Kreis ] ?? Kein Politiker, sondern eine Politikeri­n (Bettina Kerl mit hündischem Gefolge) sorgt hier dafür, dass trotz verseuchte­n Wassers das Kurbad offen bleibt.
[ Franzi Kreis ] Kein Politiker, sondern eine Politikeri­n (Bettina Kerl mit hündischem Gefolge) sorgt hier dafür, dass trotz verseuchte­n Wassers das Kurbad offen bleibt.

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