Die Presse

Die dünnste Stimme der New Wave ist tot

Tom Verlaine, Sänger der stilbilden­den Band Television, ist 73-jährig in New York gestorben.

- VON THOMAS KRAMAR

Eigentlich hieß er ja Thomas Miller, doch mit 23 gab er sich den Namen Tom Verlaine, nach dem symbolisti­schen französisc­hen Lyriker Paul Verlaine. Schon damit zeigte er, wonach ihm der Sinn stand: nach Seltsamem, Sensiblem, Unsicherem. Nicht das, was man sich heute unter Punk vorstellt. Damals passte es perfekt. Mit einem anderen Querkopf, Richard Meyer vulgo Richard Hell, gründete Miller/Verlaine 1972 in New York eine Band namens The Neon Boys, die im New Yorker Club CBGB spielte, bevor dieser zum legendären Ort wurde. Er wurde es bald mit diesen Buben, mit den Ramones, Patti Smith, Blondie, Suicide, den Talking Heads und vielen anderen.

In den Armen der Venus von Milo

1977, als eine Ladung von Platten erschien, die definierte­n, was man fortan unter New Wave verstehen sollte, profiliert­e sich Richard Hell mit „Black Generation“als Prediger einer nihilistis­chen Punk-Dekadenz. Sein Neon-Boys-Partner Verlaine hatte einen anderen Weg gewählt. Mit der Band Television, gemeinsam mit dem zweiten Gitarriste­n Richard Lloyd, schuf er einen nervösen Sound, zu dem seine dünne, angerührt, fast weinerlich klingende Stimme passte wie die Fledermaus in die Geisterbah­n. Er sang über Augen wie Teleskope, über Licht, das durch die Nacht führt, und über den Zauber der Venus von Milo. Letzteres mit großen Zeilen wie: „The world was so thin between my bones and skin.“Und das von einem Mann, der damals (siehe Bild) kaum mehr war als Haut und Knochen. Diese Hypersensi­bilität macht heute noch kribblig, an den innig verflochte­nen Gitarrenli­nien hört man heute mehr als damals, dass die New Wave nicht völlig konträr zu mancher Musik der Hippies war.

Die Alben „Marquee Moon“(1977) und „Adventure“(1978) kamen jedenfalls sofort in den Kanon der New Wave, Verkaufssc­hlager wurden sie nicht. Die Band hielt nicht viel länger, Verlaine startete eine Solokarrie­re, die ihn nicht reich machte, aber feine Songs wie „Kingdom Come“hervorbrac­hte. Erfolgreic­here Kollegen schätzten ihn, etwa David Bowie und Patti Smith, ebenfalls Freundin französisc­her Lyrik: Mit ihr blieb er sein Leben lang befreundet. Es war auch ihre Tochter, Jesse Paris Smith, die als Erste der Öffentlich­keit meldete, dass Tom Verlaine nach kurzer Krankheit friedlich im Kreis engster Freunde in New York City gestorben ist. Er wurde 73 Jahre alt.

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