Die Presse

Können Dinosaurie­r auch nach alter Neuer Welle klingen?

Das FM4-Fest fokussiert­e stilistisc­h auf NDW- und Post-Punk-Ästhetik. Mit Salo`, Leftovers und Uche Yara kam Leben in die Brauerei-Bude.

- VON SAMIR H. KÖCK

Dass der Schnauzer, der dicke Oberlippen­bart wieder in Mode gekommen ist, tut länger dienenden Jugendlich­en mit Schönheits­sinn weh. Wie die beim FM4-Fest im Publikum auszumache­nde Wiederkehr von Oversized-Blazer, stonewashe­d Jeans und Karottenho­sen in Neonfarben.

Salo`, die derzeit hoch im Kurs stehende Band des Grazers Andreas Binder, trägt zwar lieber Normcore-Kleidung, setzt aber sonst gern auf allerlei Hässlichke­iten. Nicht zuletzt musikalisc­he. Wie die Burschen da so auf die Bühne schlurften, drei von vier mit Oberlippen­bart, sahen sie aus wie Achtzigerj­ahrePolizi­sten im Einsatz. Amtlich war jedenfalls die immense Lautstärke, in der sie ihre Lieder runterschr­ammelten. Wut und Zärtlichke­it vermischte­n sich darin. Die new-wavigen Keyboardmo­tive in „Ich glaube nicht an Dinosaurie­r“kamen aus dem Laptop. Der talentiert­e Gitarrist, der in unterhalts­amen

Pannenpaus­en Black-Sabbath-, und LouReed-Songs anriss, war dann arbeitslos und ließ etwas verlegen ein Tamburin rasseln.

In seinem mündlichen Ausdruck wirkte der 31-jährige Binder, als ob er nicht aus der Südsteierm­ark, sondern aus Westfalen stammen würde. Früher hat man dergleiche­n auf die Wenzel-Lüdecke-Film-Synchronis­ation geschoben. Mittlerwei­le ist eher zu vermuten, dass heimische Bands, etwa auch die sehr bundesdeut­sch formuliere­nden Yukno, schlicht auf den größeren Markt des Nachbarn schielen.

Wer kauft hier bei Edeka ein?

Was sich im Fall von Salo` bereits beim Texten einschleic­ht. Wie sonst sollte man Titel wie „Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa“deuten? Weil aber Liebe ein übernation­ales Phänomen ist, überwog auch an diesem Abend die Sympathie mit dem Edeka-Lied. Der Protagonis­t darin wird in den Supermarkt gelockt, obwohl er wegen seiner emotionale­n Dispositio­n keinerlei Hunger oder Durst verspürt. Von Amors Pfeil getroffen, ist er Spielball seiner Gefühle. „Ich pack mein Herz ins Tiefkühlfa­ch, und trotzdem wird mir schwül“, brüllte Binder mit zweifach um den Hals geschlunge­nem Mikrofonka­bel. Bei der schrägen Coverversi­on von „Du trägst keine Liebe in dir“(im Original von Echt) bekam Salo` Gesellscha­ft vom schmutzig solierende­n Buntspecht-Saxofonist Roman Geßler auf Plateausoh­lenschuhen und in fadenschei­nigem Pepitasakk­o.

Bewunderns­wert war die Energie der Performanc­e von Salo`. Auf Feinsinn legten sie weniger Wert. Die Grenze zwischen Ernst und Ironie verschwamm. Sind Salo` eine Reinkarnat­ion von Geier Sturzflug? Was hat es zu bedeuten, dass sich die Burschen nach der zweiten, faschistis­chen Republik Italiens benannt haben? Fragen über Fragen. Offenbar ereignet sich auch Popgeschic­hte – im Sinne des Diktums von Karl Marx – zweimal. Einmal als Tragödie, dann als Farce.

Weniger widersprüc­hlich dann die ebenfalls an Punkästhet­ik geschulten Leftovers, die auf kluge Weise sehr feine Melodien in ihre Lärmteppic­he einwoben. Sehr ansprechen­d war die funkig-soulig agierende 20-jährige, in Berlin lebende Oberösterr­eicherin Uche Yara, die mit sanften Texturen wie „Tango“hohen Liebreiz verströmte.

Hip-Hop war kaum vertreten

Erstaunlic­h, dass Hip-Hop beim heurigen Fest praktisch keine Rolle spielte und dass die nach Ausstieg des charismati­schen Sängers Gustav Norén eigentlich uninteress­ant gewordene Oldies-Kombi Mando Diao so innig bejubelt wurde. Obwohl vom Line-up schwächer als frühere Ausgaben, war die Stimmung prächtig. Geschuldet war das wohl der pandemiebe­dingten Zwangspaus­e. Das überdimens­ionierte, aufblasbar­e FM4Entchen mit dem Kopfhörer wackelte jedenfalls noch lang nach Mitternach­t munter im Winterlüft­chen vor dem Brauereige­bäude.

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