Die Südamerika-Mission des Olaf Scholz
Die Bitte des deutschen Kanzlers, Panzermunition in die Ukraine zu schicken, lehnte Brasiliens Präsident Lula ab. Doch er will vermitteln.
Buenos Aires/Brasilia. Es ist nicht überliefert, ob Brasiliens Präsident, Luiz Iná cio Lula da Silva, jemals den Terminus „Hanseatische Zurückhaltung“gehört hat. Aber Lula, dessen empathische Fähigkeiten zu seinen größten Begabungen gehören, reagierte und nahm seinen Gast spontan in den Arm, nachdem dieser den Satz aussprach: „Ihr habt uns sehr gefehlt, lieber Lula“.
Olaf Scholz und Lula da Silva waren entschlossen, Verbundenheit zu demonstrieren. Beim Besuch des deutschen Kanzlers in Brasilien ging es ja nicht nur um weltanschauliche Kongruenzen zwischen zwei Sozialdemokraten. Hier ging es um das Weltklima, die Sicherung vitaler Rohstoffe für die deutsche – und auch die europäische Industrie. Um die Schaffung der größten Freihandelszone der Welt. Und, nicht weniger als das, um die künftige Verortung Europas und Südamerikas in einer Welt, die ihre Interessen wieder auf dem Schlachtfeld austrägt. Konkret: Es ging um die Ukraine.
Das war offenbar der haarigste Punkt zwischen den zwei Staatschefs, die der Höhepunkt von Scholz’ Südamerika-Tour nach Argentinien, Chile und Brasilien waren. Lula ging nicht auf die Bitte ein, rare Munition für die Schützenpanzer zu liefern, die Berlin den ukrainischen Streitkräften zur Verfügung gestellt hat. Brasilien möchte neutral bleiben, und der Ex-Gewerkschafter Lula, dessen Verhandlungsgeschick längst Legende ist, will sich die Option offenhalten, beizeiten als Friedensvermittler zwischen der Ukraine und Russland zu agieren.
Deutsche Hilfe bei Regenwald-Schutz
Scholz war der erste europäische Regierungschef in Brasilia, seit Lula am Neujahrstag die Regierung übernahm. An dessen Angelobung hatte auch schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilgenommen, als eines von nur zwei europäischen Staatsoberhäuptern. So hat Deutschland signalisiert, wie wichtig es ihm ist, nach den vier verlorenen Jahren unter dem radikalen Ex-Militär Jair Bolsonaro wieder ins Reine zu kommen mit dem Land, das seit Jahrzehnten der größte Außenposten der deutschen Industrie in Lateinamerika ist. Und Lula machte klar, wie sehr er auf Berlins Hilfe zählt, vor allem bei der Mission, die Schutzorgane für den AmazonasRegenwald wieder aufzubauen und all die Holzräuber, Goldsucher und Brandroder an ihrem schadhaften Werk zu hindern, dem sie vier Jahre lang ohne staatlichen Widerstand hatten nachgehen können.
Bolsonaro will in Florida bleiben
Deutschland will die Bemühungen zum Schutz des Regenwaldes, der als Ökosystem von überragender globaler Bedeutung für das Klima ist, mit 200 Millionen Euro unterstützen. Die Summe beinhaltet auch Gelder, die bereits zuvor bewilligt, jedoch als Reaktion auf die Amazonas-Ausplünderung unter dem Amtsvorgänger eingefroren worden waren.
Bolsonaros Amazonas-Politik wird bald Gerichte beschäftigen. Der nach Florida ausgereiste Ex-Präsident hat nun die USBehörden um eine sechsmonatige Ausweitung seines Visums gebeten. Die US-Regierung hat sich – ebenso wie die Europäer – ganz klar hinter Lula gestellt. Beide zählen auf den Ex-Gewerkschafter, um ihre Interessen in dem Riesenland abzusichern, das nicht nur weiterhin enorme Ressourcen an Metallen und seltenen Erden aufbieten kann, sondern auch das weltweit größte Potenzial für die Herstellung von grünem Wasserstoff besitzt, so eine gerade publizierte Studie.
Mercosur und Rohstoffe locken
Sein Rohstoffreichtum kann Südamerika in den kommenden Jahren einen nachhaltigen Boom verschaffen. Um diesen Markt von 270 Millionen Menschen zollfrei zu beliefern, soll nun endlich das seit 1999 verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und seinem Gegenstück Mercosur unter Dach und Fach gebracht werden. Im Prinzip ist es seit 2019 fertig, seine Ratifizierung wurde aber von mehreren Staaten, darunter auch Österreich, angehalten. Tatsächlich haben europäische Umweltschützer, aber auch Bauern weiter massive Zweifel an dem Deal. Ähnlich geht es jenen südamerikanischen Unternehmern, die von hohen Zollschranken profitieren, um miserable Produkte zu überhöhten Preisen herzustellen. Insbesondere in Argentinien haben solche Unternehmer wie auch verbandelte Gewerkschafter massiven Einfluss auf die peronistische Regierung, die sich noch dazu im Herbst den Wahlen stellen muss.