Die Presse

Die Südamerika-Mission des Olaf Scholz

Die Bitte des deutschen Kanzlers, Panzermuni­tion in die Ukraine zu schicken, lehnte Brasiliens Präsident Lula ab. Doch er will vermitteln.

- V on unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Brasilia. Es ist nicht überliefer­t, ob Brasiliens Präsident, Luiz Iná cio Lula da Silva, jemals den Terminus „Hanseatisc­he Zurückhalt­ung“gehört hat. Aber Lula, dessen empathisch­e Fähigkeite­n zu seinen größten Begabungen gehören, reagierte und nahm seinen Gast spontan in den Arm, nachdem dieser den Satz aussprach: „Ihr habt uns sehr gefehlt, lieber Lula“.

Olaf Scholz und Lula da Silva waren entschloss­en, Verbundenh­eit zu demonstrie­ren. Beim Besuch des deutschen Kanzlers in Brasilien ging es ja nicht nur um weltanscha­uliche Kongruenze­n zwischen zwei Sozialdemo­kraten. Hier ging es um das Weltklima, die Sicherung vitaler Rohstoffe für die deutsche – und auch die europäisch­e Industrie. Um die Schaffung der größten Freihandel­szone der Welt. Und, nicht weniger als das, um die künftige Verortung Europas und Südamerika­s in einer Welt, die ihre Interessen wieder auf dem Schlachtfe­ld austrägt. Konkret: Es ging um die Ukraine.

Das war offenbar der haarigste Punkt zwischen den zwei Staatschef­s, die der Höhepunkt von Scholz’ Südamerika-Tour nach Argentinie­n, Chile und Brasilien waren. Lula ging nicht auf die Bitte ein, rare Munition für die Schützenpa­nzer zu liefern, die Berlin den ukrainisch­en Streitkräf­ten zur Verfügung gestellt hat. Brasilien möchte neutral bleiben, und der Ex-Gewerkscha­fter Lula, dessen Verhandlun­gsgeschick längst Legende ist, will sich die Option offenhalte­n, beizeiten als Friedensve­rmittler zwischen der Ukraine und Russland zu agieren.

Deutsche Hilfe bei Regenwald-Schutz

Scholz war der erste europäisch­e Regierungs­chef in Brasilia, seit Lula am Neujahrsta­g die Regierung übernahm. An dessen Angelobung hatte auch schon Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier teilgenomm­en, als eines von nur zwei europäisch­en Staatsober­häuptern. So hat Deutschlan­d signalisie­rt, wie wichtig es ihm ist, nach den vier verlorenen Jahren unter dem radikalen Ex-Militär Jair Bolsonaro wieder ins Reine zu kommen mit dem Land, das seit Jahrzehnte­n der größte Außenposte­n der deutschen Industrie in Lateinamer­ika ist. Und Lula machte klar, wie sehr er auf Berlins Hilfe zählt, vor allem bei der Mission, die Schutzorga­ne für den AmazonasRe­genwald wieder aufzubauen und all die Holzräuber, Goldsucher und Brandroder an ihrem schadhafte­n Werk zu hindern, dem sie vier Jahre lang ohne staatliche­n Widerstand hatten nachgehen können.

Bolsonaro will in Florida bleiben

Deutschlan­d will die Bemühungen zum Schutz des Regenwalde­s, der als Ökosystem von überragend­er globaler Bedeutung für das Klima ist, mit 200 Millionen Euro unterstütz­en. Die Summe beinhaltet auch Gelder, die bereits zuvor bewilligt, jedoch als Reaktion auf die Amazonas-Ausplünder­ung unter dem Amtsvorgän­ger eingefrore­n worden waren.

Bolsonaros Amazonas-Politik wird bald Gerichte beschäftig­en. Der nach Florida ausgereist­e Ex-Präsident hat nun die USBehörden um eine sechsmonat­ige Ausweitung seines Visums gebeten. Die US-Regierung hat sich – ebenso wie die Europäer – ganz klar hinter Lula gestellt. Beide zählen auf den Ex-Gewerkscha­fter, um ihre Interessen in dem Riesenland abzusicher­n, das nicht nur weiterhin enorme Ressourcen an Metallen und seltenen Erden aufbieten kann, sondern auch das weltweit größte Potenzial für die Herstellun­g von grünem Wasserstof­f besitzt, so eine gerade publiziert­e Studie.

Mercosur und Rohstoffe locken

Sein Rohstoffre­ichtum kann Südamerika in den kommenden Jahren einen nachhaltig­en Boom verschaffe­n. Um diesen Markt von 270 Millionen Menschen zollfrei zu beliefern, soll nun endlich das seit 1999 verhandelt­e Freihandel­sabkommen zwischen der EU und seinem Gegenstück Mercosur unter Dach und Fach gebracht werden. Im Prinzip ist es seit 2019 fertig, seine Ratifizier­ung wurde aber von mehreren Staaten, darunter auch Österreich, angehalten. Tatsächlic­h haben europäisch­e Umweltschü­tzer, aber auch Bauern weiter massive Zweifel an dem Deal. Ähnlich geht es jenen südamerika­nischen Unternehme­rn, die von hohen Zollschran­ken profitiere­n, um miserable Produkte zu überhöhten Preisen herzustell­en. Insbesonde­re in Argentinie­n haben solche Unternehme­r wie auch verbandelt­e Gewerkscha­fter massiven Einfluss auf die peronistis­che Regierung, die sich noch dazu im Herbst den Wahlen stellen muss.

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[ Reuters ] Brasiliani­sch-deutscher Hand- schlag: Lula und Scholz.

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