„Die Gewalt ist nun unser Alltag in Burma“
Ein Demokratie-Aktivist beschreibt, wie trotz Repression die Bevölkerung weiterhin der Junta die Stirn bietet. Und warum die Wahlen der Junta boykottiert werden sollen.
Seit zwei Jahren muss sich Nan Lin verstecken. Eine fixe Unterkunft hat er nicht mehr, er schläft immer an einem anderen Ort. Denn der Akademiker ist aktives Mitglied der Demokratie-Bewegung in Burma (Myanmar): Der 26-Jährige organisiert Demos gegen die Diktatur, spricht über Demokratie. Dafür droht ihm der Tod. Sein Einsatz gilt in seiner Heimat Burma inzwischen als Akt des Terrorismus, obwohl Nan Lin Gewalt klar ablehnt: „Ich will einfach nur den Menschen nahe sein“, betont er im Online-Gespräch mit der „Presse“.
Vor genau zwei Jahren ist der Freiheitstraum der Menschen im südostasiatischen Land jäh geplatzt. Am 1. Februar 2021 putschte sich das Militär zurück an die Macht, bis 2015 hatte es Burma jahrzehntelang terrorisiert. Der Coup stoppte den Demokratisierungsprozess unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, den freie Wahlen eingeleitet hatten. Die Junta erklärte dem eigenen Volk den Krieg: Soldaten schossen auf friedliche Demonstranten, die Armee verhaftete gleich von Beginn an Parlamentarier, Studenten, Schüler, Bürgerrechtler, Journalisten, folterte und ermordete diese.
Hass auf das Militär
Das einst boomende Land versinkt in Gewalt und Chaos, viele Aktivisten greifen nun zu den Waffen, kämpfen gemeinsam mit Guerilleros in den Bergen und im Dschungel gegen die verhasste Tatmadaw, wie das Militär genannt wird. Die Armee brennt Dörfer nieder oder lässt diese aus der Luft bombardieren. Mehr als eine Million Menschen ist auf der Flucht, Zehntausende sind in Haft, zahllose verschwunden, mindestens 20.000 Dissidenten wurden vermutlich ermordet. „Die vergangenen zwei Jahre waren grausam“, konstatiert Nan Lin. „Gewalt ist nun unser Alltag. Ständig verschwinden Kollegen, werden verhaftet.“
Doch die Bevölkerung lässt sich nicht kleinkriegen. „700 Tage lang demonstrierten die Menschen täglich in Yangon, auch wenn in dieser Stadt das Militär besonders hart durchgriff.“Allmählich forderten freilich Angst, Armut und auch Covid ihren Tribut, Demos gibt es nur noch sporadisch. Doch groß seien weiterhin der Hass und die Wut auf das Militär – und die Burmesen seien trotz aller Gefahren immer bereit, offen darüber zu reden: Das zeigt sich etwa in (anonymisierten) Video-Interviews, die DemokratieAktivisten erst vor wenigen Tagen
auf den Straßen Yangons aufgenommen haben. Oder auch die Tatsache, dass trotz wachsender wirtschaftlicher Misere im Land die Menschen Teile ihres Einkommens dem Widerstand spenden. „Die Demokratie-Bewegung kann nur dank der Spenden aus der Bevölkerung überleben“, sagt Nan Lin.
Keine freie Wahl mit Junta
Er erzählt von einer Aktion im vergangenen Sommer, nach den ersten vollstreckten Todesurteilen an zwei prominenten DemokratieKämpfern. Der junge Mann, der im Untergrund lebt, riskierte sein Leben und stieg in einen öffentlichen Bus. Dort hielt er eine Rede, sprach von Freiheit. Die Menschen hörten zu, klatschten, sogar der Busfahrer machte mit. „Zwar ist für viele Demokratie noch ein fremder Begriff“, sagt der Aktivist. „Doch das gemeinsame Leid eint das Land, die Bevölkerung wünscht sich ein Ende der Repression.“
Für Nan Lin ist klar: Ein freies Burma kann nicht mit den Generälen existieren. Dass Junta-Chef Min Aung Hlaing „freie Wahlen“in den nächsten sechs Monaten abhalten will, ist für Nan Lin und seine Mitkämpfer reinster Hohn: „Diese Initiative ist nicht nur scheinheilig, das Votum ist auch illegal.“Denn die Junta sei nicht die rechtmäßige, gewählte Regierung und habe damit „kein Recht, eine Wahl auszurufen“. Zudem gebe es bereits
deutliche Hinweise auf geplante Fälschungen. So erstelle die Armee derzeit Listen mit dem Namen von Wählern, um diese „für Manipulationen zu missbrauchen“. Deshalb habe die Untergrundregierung der „Nationalen Einheit“dazu aufgerufen, diese Listen und die Wahl überhaupt zu boykottieren, und plane entsprechende Aktionen: Viele Burmesen würden bereits falsche Namen angeben. „Diese Wahl wäre ein Verrat an unseren Bürgern“,
sagt er. Wobei Nan Lin befürchtet, dass das Militär die Menschen mit vorgehaltener Waffe zwingen werde, ihre Stimme abzugeben.
Ebenso wenig nimmt der Aktivist Ankündigungen des Juntachefs ernst, die martialischen Notstandsgesetze zu lockern. „Er weiß genau, dass er sich das nicht leisten kann.“Denn sobald der Druck nachlasse, gingen die Menschen wieder auf die Straße. Spätestens dann werde der General wohl wieder die Daumenschrauben anziehen – „und sich dabei auf die Verfassung berufen, die ebenso illegal ist“, prognostiziert Nan Lin bitter.
Jenseits von Aung San Suu Kyi
Ikone für Demokratie bleibe die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin und Ex-Regierungschefin Suu Kyi (77), die von den Generälen zu 33 Jahren Haft verurteilt wurde. „Die Burmesen hören und respektieren weiterhin jede ihrer Botschaften“, schildert der Aktivist. Doch die Widerstandsbewegung habe sich weiterentwickelt, der Aufstand sei nicht mehr nur friedlich, wie sie es stets postulierte. Nan Lin ist überzeugt: „Wäre sie in Freiheit, würde sie uns verstehen.“
Von Bürgerkrieg in seinem Land will er aber nicht sprechen. Die Burmesen seien geeint gegen das Militär. Er findet auch Vergleiche zu Syrien unpassend. „Sobald das Militär nicht mehr an der Macht ist, können wir gut zusammenarbeiten“, ist er überzeugt. Und diese Vorstellung sei gar nicht so utopisch. „Man muss uns dabei helfen.“Die internationale Gemeinschaft müsse den Druck auf Burmas Nachbarn Thailand, Indien und China erhöhen, nicht mehr mit der Junta zu kooperieren.
Denn die Tatmadaw wirke nur mächtig: Das liege daran, dass sie so gut bewaffnet sei, sie verfüge ja auch über die vielen natürlichen Ressourcen Burmas. In Wirklichkeit sei die Armee aber schwach, intern gespalten durch Rivalitäten und Korruption. „Wenn wir das Militär unter Druck bringen, wird es verschwinden“, ist Nan Lin überzeugt. Tatsächlich kontrollieren die Generäle nur knapp die Hälfte des Territoriums Burmas, der Rest ist in Händen der People’s Defence Force, der oppositionellen Volksverteidigungskräfte.
Nan Lin will weiterkämpfen, trotz Lebensgefahr. „Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich keine Angst habe“, gesteht er. „Nachts träume ich davon, verhaftet zu werden.“Aber immer wieder fasst er Mut, denkt an seine verstorbenen Mitstreiter, an deren Botschaften. „Man lebt nur einmal“, sagt er.