Thriller zwischen Lebenslang und Freispruch
Nach dem Terroranschlag von Wien geht es für sechs mutmaßliche Helfer des Attentäters um alles. Die Anklage will sechsmal die Höchststrafe. Die Verteidigung will, dass die Männer den Gerichtssaal auf freiem Fuß verlassen dürfen.
Mehr Gegensatz geht nicht. Einer der beide Pole besteht aus der Anklage. Und die Staatsanwältin positioniert sich im Plädoyer klar.
Sie sagt: „Ich glaube den sechs Angeklagten kein Wort.“Sie fordert viermal lebenslange Haft. Für zwei Männer will sie 20 Jahre Haft – auch die Höchststrafe. Mehr können beide nicht bekommen, da sie zum Tatzeitraum junge Erwachsene (unter 21) gewesen sind.
Der andere Pol besteht aus der Verteidigung. Sie sagt das pure Gegenteil. Keiner der sechs angeklagten Islamisten habe gewusst, dass der Attentäter einen Anschlag verüben werde. Daher müsse es Freisprüche geben. Lediglich einer des Sextetts gesteht, Propaganda für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gemacht zu haben. Aber auch er will mit dem Anschlag vom 2. November 2020, der vier Tote und 23 Verletzte gefordert hat, nicht das Geringste zu tun haben.
Dass es am Dienstag im streng bewachten Straflandesgericht Wien (auch vor dem Gebäude waren Uniformierte mit Sturmgewehren postiert) zum Crash der Extrempositionen gekommen ist, lässt sich mit der Schwere der Vorwürfe erklären. Wie berichtet, wird den Angeklagten vorgeworfen, sie hätten dem – bei dem Anschlag von der Polizei erschossenen – 20-jährigen Attentäter K. F. im Vorfeld sowohl „physische als auch psychische Unterstützung“zukommen lassen. Sie werden von der Staatsanwaltschaft als Beteiligte an den Bluttaten von K. F. gesehen. Und haben somit Beihilfe zum vierfachen vollendeten Mord im Rahmen einer terroristischen Vereinigung zu verantworten – sowie Beteiligung an Morden, die beim Versuch geblieben sind, weil die Opfer glücklicherweise überlebten.
Angesichts so gravierender Vorwürfe dürfte es – im Fall von Schuldsprüchen – beim Strafausmaß nicht viel Spielraum geben.
Was haben die sechs Männer laut Anklage getan? Diese Frage handelte die Staatsanwältin nun quasi Mann für Mann ab. Sie begann mit der Nummer sechs auf der Angeklagtenliste, mit I. S. (22). Der aus dem arabischen Raum stammenden Mann wurde bereits zweimal wegen IS-Mitgliedschaft verurteilt. Nun soll er mitgeholfen haben, die Kalaschnikow für den Attentäter aufzutreiben. Sein Verteidiger erklärte den Geschworenen, I. S. habe nicht ahnen können, was mit der Waffe passieren würde. Konter der Anklägerin: „Was soll so jemand
wie der Attentäter K. F. mit einer Kalaschnikow vorhaben? Soll er sie als Sportschütze verwenden? Oder zur Jagd im Wald? Dafür ist eine solche Waffe nicht gebaut. Sie ist nur zum Töten gebaut. Sie kann 620 Schuss pro Minute abfeuern.“
Dann ging es um den Fünftangeklagten, den 32-jährigen Tschetschenen A. M. Dieser Mann gesteht zu, die Kalaschnikow organisiert zu haben. Auch er will nicht gewusst haben, was K. F. damit vorhat.
Allerdings fanden sich sowohl auf Patronen des Sturmgewehrs als auch auf Patronen der Pistole, die der Täter ebenfalls verwendete, DNA-Spuren von A. M. Dies zeige laut Anklage, dass er kurz vor dem Anschlag bei der Munitionierung der Waffen geholfen habe.
Dann sprach die Staatsanwältin über den Erstangeklagten, A. F. (23). Der Kosovare hatte sich dreieinhalb Monate vor dem Anschlag das Auto seiner Mutter ausgeborgt und den späteren Attentäter in die Slowakei gefahren. Dort versuchte dieser, Kalaschnikow-Munition zu kaufen. Erfolglos. Kurz nach dem Anschlag hatte A. F. den Drittangeklagten zweimal per WhatsApp vor einer Razzia gewarnt. Auch A. F. beteuert nun, er habe im Vorfeld keine Informationen zu dem Anschlag gehabt.
Als Nummer vier der Angeklagtenliste scheint der 28-jährige Afghane H. Z. auf. Über ihn sagt die Anklägerin: „Er hat uns zahlreiche Lügenmärchen aufgetischt.“Und: „Er hat in einem Chat geschrieben: Wir alle, wir Ungläubigen, müssen getötet werden.“Schwer belastend für H. Z.: Er hat in den Wochen vor den Bluttaten in der Wohnung des Attentäters gewohnt. Seine DNA-Spuren finden sich auf den Schusswaffen, der Munition, der Machete und etlichen persönlichen Gegenständen des Attentäters. Sein Anwalt Elmar Kresbach: „Er ist ein Unglücksrabe, weil er in der Wohnung des Täters gewohnt hat.“Aber es gebe keine „Berührungspunkte zum radikalen Islamismus“. Trotz DNA-Spuren will H. Z. die Waffen nie zu Gesicht bekommen haben.
Bleiben noch die Angeklagten Nummer zwei und drei, I. B. (22) und B. K. (23), zwei Österreicher
Auf derart hinterhältige terroristische Angriffe auf unsere Werte und unsere Demokratie steht in Österreich zu Recht die Höchststrafe.
Die Staatsanwältin
Man will Schuldige finden, das Sühnebedürfnis ist groß, aber die Staatsanwältin baut ihre Vorwürfe auf ein gebrechliches Brücklein.
Verteidiger Elmar Kresbach
türkischer Herkunft. Beide waren Jugendfreunde des Attentäters. Beide fuhren wenige Stunden vor dem Terror zu dessen Wohnhaus in Wien Donaustadt. Und: B. K. googelte die Adresse jenes französischen Lokals, das K. F. ins Visier nehmen wollte (er hatte dort angerufen, es war aber geschlossen). Der Anwalt von B. K., Rudolf Mayer, zog in einem großen Plädoyer alle Register. Mayer kannte den späteren Attentäter persönlich, ist dieser doch früher gemeinsam mit B. K. wegen IS-Mitgliedschaft verurteilt worden. Schon damals vertrat Mayer B. K. und konnte sich ein Bild des späteren Terroristen machen: Dieser sei ein verschlossener Eigenbrötler gewesen. Am Mittwoch werden die Urteile verkündet.