Ungarn stöhnen unter Inflation
Nirgendwo in Europa steigen die Preise schneller als in dem osteuropäischen Land. Trotz Ausnahmeregelungen bei den Russland-Sanktionen. Einige Gründe sind hausgemacht.
Lange pilgerten die Kroaten zum Einkaufen über die ungarische Grenze. Doch seit Wegfall der SchengenGrenze zu Jahresbeginn machen sich vermehrt die Ungarn zu Shopping- und Tanktouren ins südliche Nachbarland auf. Auch weil die Preise im Adriastaat seit der EuroEinführung kräftig gestiegen sind und in den jeweiligen Grenzgebieten viele Kroaten zum Einkaufen nun vermehrt nach Bosnien, Serbien oder Slowenien pilgern, sorgen die ungarischen Shoppingtouristen bei Kroatiens Medien für Erstaunen.
„Die Ungarn strömen nach Donji Miholjac“, berichtet Kroatiens TV-Sender HRT verwundert über den Andrang in dem Grenzort: Vor allem Benzin, aber auch Gemüse, Fleisch und Hygieneartikel seien bei den Einkaufs- und Tanktouristen gefragt. Umgekehrt seien vor den Supermärkten auf der ungarischen Seite der Grenze so gut wie keine Autos mehr mit kroatischen Kennzeichen zu sichten.
Tatsächlich ist Ungarns Inflationsrate im Dezember auf 24,5 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit 26 Jahren geklettert. Damit weist der Donaustaat die mit Abstand höchste Inflationsrate in der EU auf: Durchschnittlich lag diese bei den EU-Partnern im Dezember bei 10,4 Prozent.
Orba´n schiebt Schuld auf Sanktionen
Für Premier Viktor Orbán ist die Ursache für Ungarns Rekordinflation ausgemacht. Ohne die EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs in der Ukraine würden die Energiepreise und die Inflation „um die Hälfte fallen“, forderte der Chef der nationalpopulistischen Fidesz-Partei im ungarischen Staatsradio Jänner zum wiederholten Male deren Aufhebung: „Es steht fest, dass Amerika den Krieg gewonnen und Europa ihn verloren hat.“
Dass just das Land, das sich die meisten Ausnahmen von den Sanktionen erstritten hat, die höchste Inflationsrate der EU aufweist, ist aber auch mit hausgemachten Gründen zu erklären. „Orban hat mit seinen verzweifelten Maßnahmen die Ungarn dazu getrieben, in Kroatien einzukaufen“, konstatiert bissig das Zagreber Portal index.hr.
Tatsächlich ist es nicht nur der stark gefallene Forint-Kurs, der Importprodukte verteuert. Als im Sommer die Energie- und auch Nahrungsmittelpreise in die Höhe schnellten, reagierte Budapest mit Preisbegrenzungen. Doch der Markt reagierte auf die Staatsinterventionen anders als erhofft.
Preisdeckel mit Nebeneffekten
Die nur für Inländer geltende Deckelung der Treibstoff- und Energiepreise sorgte dafür, dass Energiespareffekte ausblieben. Viele Tankstellen schlossen wegen des unrentabel gewordenen Betriebs. Als Budapest im Dezember die Preisbegrenzungen wegen der zunehmenden Verknappung von Treibstoff wieder aufhob, sorgte dies für einen zusätzlichen Inflationsschub.
Doch nicht der Energiesektor weist mit 55,7 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten (EU: 37,2 Prozent) eine überdurchschnittliche Teuerungsrate auf. Auch die Nahrungsmittelpreise zogen mit 47,9 Prozent (EU: 17,8 Prozent) stark an. Auch hier haben die Preisbegrenzungen allerdings einen umstrittenen Effekt.
Ob durch Hamsterkäufe oder Produktionsdrosselung: Die Produkte mit Fixpreisen sind ständig ausverkauft, während die Preise der Alternativprodukte in exorbitante Höhe schnellen. So fror Budapest die Preise für Milch mit einem Fettgehalt von 2,8 Prozent ein. Doch der nicht begrenzte Preis für Milch mit einem Fettgehalt von 1,5 Prozent hat sich nahezu verdoppelt.
Die Preisdeckelungen sorgten für zusätzlichen Inflationsschub und sollten „sofort auslaufen“, warnt Nationalbankchef György Matolcsy, der lange Zeit als sehr loyaler Gefolgsmann von Orbán galt. Doch seine Mahnungen finden im Kabinett kein Gehör. Vergangene Woche kündigte Agrarminister István Nagy eine Verlängerung der Preisdeckelungen bis April an: Diese seien eine soziale Maßnahme, „um die Verbraucher zu schützen“.