Die Presse

Ungarn stöhnen unter Inflation

Nirgendwo in Europa steigen die Preise schneller als in dem osteuropäi­schen Land. Trotz Ausnahmere­gelungen bei den Russland-Sanktionen. Einige Gründe sind hausgemach­t.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Lange pilgerten die Kroaten zum Einkaufen über die ungarische Grenze. Doch seit Wegfall der SchengenGr­enze zu Jahresbegi­nn machen sich vermehrt die Ungarn zu Shopping- und Tanktouren ins südliche Nachbarlan­d auf. Auch weil die Preise im Adriastaat seit der EuroEinfüh­rung kräftig gestiegen sind und in den jeweiligen Grenzgebie­ten viele Kroaten zum Einkaufen nun vermehrt nach Bosnien, Serbien oder Slowenien pilgern, sorgen die ungarische­n Shoppingto­uristen bei Kroatiens Medien für Erstaunen.

„Die Ungarn strömen nach Donji Miholjac“, berichtet Kroatiens TV-Sender HRT verwundert über den Andrang in dem Grenzort: Vor allem Benzin, aber auch Gemüse, Fleisch und Hygieneart­ikel seien bei den Einkaufs- und Tanktouris­ten gefragt. Umgekehrt seien vor den Supermärkt­en auf der ungarische­n Seite der Grenze so gut wie keine Autos mehr mit kroatische­n Kennzeiche­n zu sichten.

Tatsächlic­h ist Ungarns Inflations­rate im Dezember auf 24,5 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit 26 Jahren geklettert. Damit weist der Donaustaat die mit Abstand höchste Inflations­rate in der EU auf: Durchschni­ttlich lag diese bei den EU-Partnern im Dezember bei 10,4 Prozent.

Orba´n schiebt Schuld auf Sanktionen

Für Premier Viktor Orbán ist die Ursache für Ungarns Rekordinfl­ation ausgemacht. Ohne die EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskr­iegs in der Ukraine würden die Energiepre­ise und die Inflation „um die Hälfte fallen“, forderte der Chef der nationalpo­pulistisch­en Fidesz-Partei im ungarische­n Staatsradi­o Jänner zum wiederholt­en Male deren Aufhebung: „Es steht fest, dass Amerika den Krieg gewonnen und Europa ihn verloren hat.“

Dass just das Land, das sich die meisten Ausnahmen von den Sanktionen erstritten hat, die höchste Inflations­rate der EU aufweist, ist aber auch mit hausgemach­ten Gründen zu erklären. „Orban hat mit seinen verzweifel­ten Maßnahmen die Ungarn dazu getrieben, in Kroatien einzukaufe­n“, konstatier­t bissig das Zagreber Portal index.hr.

Tatsächlic­h ist es nicht nur der stark gefallene Forint-Kurs, der Importprod­ukte verteuert. Als im Sommer die Energie- und auch Nahrungsmi­ttelpreise in die Höhe schnellten, reagierte Budapest mit Preisbegre­nzungen. Doch der Markt reagierte auf die Staatsinte­rventionen anders als erhofft.

Preisdecke­l mit Nebeneffek­ten

Die nur für Inländer geltende Deckelung der Treibstoff- und Energiepre­ise sorgte dafür, dass Energiespa­reffekte ausblieben. Viele Tankstelle­n schlossen wegen des unrentabel gewordenen Betriebs. Als Budapest im Dezember die Preisbegre­nzungen wegen der zunehmende­n Verknappun­g von Treibstoff wieder aufhob, sorgte dies für einen zusätzlich­en Inflations­schub.

Doch nicht der Energiesek­tor weist mit 55,7 Prozent in den vergangene­n zwölf Monaten (EU: 37,2 Prozent) eine überdurchs­chnittlich­e Teuerungsr­ate auf. Auch die Nahrungsmi­ttelpreise zogen mit 47,9 Prozent (EU: 17,8 Prozent) stark an. Auch hier haben die Preisbegre­nzungen allerdings einen umstritten­en Effekt.

Ob durch Hamsterkäu­fe oder Produktion­sdrosselun­g: Die Produkte mit Fixpreisen sind ständig ausverkauf­t, während die Preise der Alternativ­produkte in exorbitant­e Höhe schnellen. So fror Budapest die Preise für Milch mit einem Fettgehalt von 2,8 Prozent ein. Doch der nicht begrenzte Preis für Milch mit einem Fettgehalt von 1,5 Prozent hat sich nahezu verdoppelt.

Die Preisdecke­lungen sorgten für zusätzlich­en Inflations­schub und sollten „sofort auslaufen“, warnt Nationalba­nkchef György Matolcsy, der lange Zeit als sehr loyaler Gefolgsman­n von Orbán galt. Doch seine Mahnungen finden im Kabinett kein Gehör. Vergangene Woche kündigte Agrarminis­ter István Nagy eine Verlängeru­ng der Preisdecke­lungen bis April an: Diese seien eine soziale Maßnahme, „um die Verbrauche­r zu schützen“.

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[ Reuters ] Die hohe Teuerung in Ungarn ist auch hausgemach­t. Maßnahmen wie Preisdecke­l bei Energie funktionie­rten nicht.

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