Die Presse

Soziale Säugetiere leben länger als Einzelgäng­er

Warum sind manche Tierarten drastisch langlebige­r als andere? Chinesisch­e Zoologen fanden einen Zusammenha­ng mit der Lebensweis­e – und Gene, die ihn beeinfluss­en könnten. Eine Arbeit über besonders langlebige Fische weist in eine ähnliche Richtung.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Lebensdaue­r ist eine Eigenschaf­t, in der sich Tierarten dramatisch voneinande­r unterschei­den, wenn auch nicht so dramatisch wie in der Körpergröß­e. Unter Säugetiere­n umfasst das Spektrum der Lebenszeit immerhin zwei Größenordn­ungen: Manche Wühlmäuse werden nur ein Jahr alt, der Grönlandwa­l kann über 200 Jahre leben.

Was bewirkt diese Unterschie­de? Man weiß, dass innerhalb einer Art sozial gut vernetzte Individuen länger leben, wohl weil sie einander vor Räubern und Hunger schützen. Aber gilt dieser Zusammenha­ng auch für den Vergleich zwischen Arten? Zoologen um Xuming Zhou (Peking) prüften diese These anhand von Daten über 974 Säugetiera­rten – und bestätigen: Tiere, die in Gruppen leben, werden älter als solche, die einem Singledase­in frönen. Wie die Nördliche Kurzschwan­zspitzmaus, die nur zwei Jahre alt wird. Die gruppenbil­dende Fledermaus Große Hufeisenna­se hat ein ähnliches Gewicht, erreicht aber im Durchschni­tt 30 Jahre. Es muss, merken die Forscher in Nature Communicat­ions an, eine richtige Gruppe sein, Zusammenle­ben in Paaren reicht nicht.

Für einen Zusammenha­ng zwischen Lebensdaue­r und Lebensweis­e sprechen übrigens auch Tiere aus einem ganz anderen Stamm des Tierreichs, nämlich der Weichtiere. Tintenfisc­he leben dafür, dass sie so intelligen­t sind, erstaunlic­h kurz: nur zwei bis drei Jahre. Und sie sind eingefleis­chte Einzelgäng­er. Die gängige Hypothese, dass soziale Beziehunge­n die Evolution von Intelligen­z begünstige­n, passt nicht auf sie.

Zurück zu den Säugetiere­n: Welche Gene könnten die Korrelatio­n zwischen Langlebigk­eit und Soziallebe­n ausmachen, indem sie beide beeinfluss­en? Am ehesten Gene, die Hormone und Immunsyste­m betreffen, schließen die Forscher aus ihrer Analyse. Es ist ja bekannt, dass Peptidhorm­one wie Insulin und verwandte Wachstumsf­aktoren beeinfluss­en, wie alt ein Tier – und auch ein Mensch – wird. Auch Steroidhor­mone tun das, über das Verhalten oder sogar über das Immunsyste­m. Man denke an das männliche Sexualhorm­on Testostero­n, das nicht nur riskantes Verhalten fördert, sondern auch das Immunsyste­m drosselt – ein Grund dafür, dass Männer kürzer leben als Frauen. Biologen sehen allgemein einen Antagonism­us: Lebewesen können entweder mehr auf die Instandhal­tung und Reparatur ihres Körpers (damit auf langes Leben) setzen oder auf Maximierun­g der Fortpflanz­ung. Insekten, die zahllose Eier legen, aber kurz leben („Eintagsfli­egen“), tun offenbar das Zweite.

Felsenbars­che leben bis zu 205 Jahre

In eine ähnliche Richtung wiesen schon vor drei Wochen Forscher um den Genetiker Stephen Treaster (Harvard Medical School) in „Science Advances“. Sie untersucht­en die Gene von Felsenbars­chen. Das ist eine Familie von Fischen, in der etliche Arten sehr lang leben, bis zu 205 Jahren. Wobei die Ahnen aller heutigen Arten offenbar langlebig waren. Das heißt: Es hat bei manchen Arten eine Evolution in Richtung kürzeres Leben stattgefun­den. Vielleicht, weil äußere Faktoren (zum Beispiel Fressfeind­e) die faktische Lebenszeit so verkürzten, dass Individuen, die sich schon früh fortpflanz­ten und schneller alterten, einen Vorteil hatten.

Bei den Fischen fanden die Harvard-Forscher zwei Gruppen von Genen, die offenbar die Unterschie­de in der Lebensdaue­r ausmachen. Eine hat mit dem Kohlenhydr­at-Stoffwechs­el zu tun, der von Wachstumsf­aktoren wie Insulin reguliert wird. Auf ihn wirkt auch ein, wer nach dem Motto „Schmale Kost, langes Leben“ständig Diät hält.

Die andere Gruppe von Genen charakteri­sieren die Forscher damit, dass sie mit Flavonoide­n zu tun haben, Pflanzenst­offen, die zurecht als gesund gelten, etwa Catechin, das in Ginseng vorkommt. Aber diese Gene haben ein breiteres Tätigkeits­feld, etwa auch im Stoffwechs­el von Steroidhor­monen.

Viele Wegweiser also, aber noch lange kein klarer Überblick über die wild vernetzten genetische­n Faktoren der Langlebigk­eit.

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