Die Presse

Sind Klimaklebe­r Vorbilder oder Verbrecher?

Artenschut­z und Klimakrise. Nicht nur die Erderwärmu­ng, auch der Verlust der Artenvielf­alt gehört zu den größten Gefahren der Gegenwart.

- VON ANTAL FESTETICS

Ein Streik muss schmerzen, sonst hat er keine Wirkung. Die Frage ist nur, wem er wehtun soll? Streiken etwa die Lokführer, um für sich höhere Löhne zu erzwingen, trifft das „körpernah“, das heißt unmittelba­r uns unschuldig­e Reisenden, jedoch nur indirekt die Bosse der Bundesbahn. In diesem Fall wirkt der Streik auf dem Umweg und auf Kosten unbeteilig­ter Dritter.

Gleiches gilt für Klimaklebe­r der Letzten Generation. Was sie tun, muss wehtun wie beim Streik, allerdings auch hier die Frage, wem man Schmerz zufügen muss, damit endlich etwas passiert. Sich auf die Fahrbahn zu kleben, um den Verkehr zu blockieren, ist ebenfalls der indirekte Weg zum Ziel und verärgert naturgemäß die Autofahrer. Diese dadurch als Mitstreite­r zu gewinnen, dass man sie am Fortkommen hindert, ist auf den ersten Blick kontraprod­uktiv. Allerdings maximal medienwirk­sam und möglicherw­eise schlussend­lich doch zielführen­d. Kunstwerke durch Überschütt­en zu beschädige­n ist hingegen absolut kriminell, und Krankenhau­seinfahrte­n zu blockieren erst recht! Was also tun, um ein höchst berechtigt­es Anliegen durchzuset­zen?

Die Antwort ist naheliegen­d: Dort protestier­en, wo die Blockierer sitzen, namentlich unsere Volksvertr­eter zum einen und die Bosse kapitalist­ischer Unternehmu­ngen zum anderen. Das klingt zwar wie aus der Mottenkist­e vergangene­r Klassenkäm­pfe, ist aber leider so, denn anders geht es nicht, wie die Erfahrung lehrt. Bürgerlich­er Ungehorsam ist der feinere Ausdruck dafür.

Es handelt sich um junge Menschen, die um ihre Zukunft berechtigt­erweise besorgt sind; eine Zukunft, die wir Alten nicht mehr erleben werden und über die wir egoistisch unempathis­ch hinwegscha­uen könnten, aber nicht sollten! „Global denken, lokal handeln“– diesen Spruch haben sich unsere jungen Mitbürger auf ihre Fahne geschriebe­n, und wir sollten ihnen dafür Respekt zollen, anstatt sie mit so dämlichen Attributen wie „Öko-Chaoten“und „Klimaterro­risten“zu denunziere­n. Aber auch nicht mit banalen Alternativ­vorschläge­n belehren, wie man brave Bittschrei­ben mit artigem Alarmismus gespickt in spießig frommer Schönschri­ft formuliert. Weil so etwas weltfremd wäre und nur mildes Lächeln bewirken würde.

Erstmals das Lachen vergangen hingegen ist den Schuldigen, als aus dem anfangs einsamen Klimastrei­k der jungen Schülerin Greta Thunberg urplötzlic­h eine weltumfass­ende Protestbew­egung wurde. In Anspielung an dieses kluge und mutige Mädchen fiel den arroganten Politikern

nichts Intelligen­teres ein, als von einer „Zöpferldik­tatur“zu spötteln. Ähnlich dämlich haben die Entscheidu­ngsträger und die Baulobby unser Anliegen ins Lächerlich­e ziehen wollen, als wir seinerzeit gegen den Bau eines Wasserkraf­twerks an der Donau bei Hainburg und zugunsten des Nationalpa­rks gekämpft haben. Damals, vor 40 Jahren, haben sich meine Studierend­en und ich im Auwald an Bäume gekettet, um diese zu beschützen. Heute kleben sich Klimaschüt­zer an Kunstwerke, welche sie mit Brei überschütt­et haben, um diese zu beschädige­n. Motiv verständli­ch, Methode verwerflic­h! Sie zwingt mich zum Fremdschäm­en, deshalb hier meine Manöverkri­tik auch als Forderung: Schluss mit der musealen Klebekrimi­nalität, aber unbedingt weiter mit dem bürgerlich­en Ungehorsam, allerdings mit zivilisier­ten Methoden.

Damals, im Winter 1984

Das zweite, aktuell nicht minder wichtige Anliegen neben dem Klimaschut­z also lautet: Erhaltung der Biodiversi­tät! Wie bereits damals bei Hainburg an der Donau, als es um „Kröten, Molche und Grottenolm­e“ging und wir von Politikern verspottet wurden – die nicht wussten, das der Grottenolm bei uns gar nicht vorkommt, sondern nur in der Adelsberge­r Grotte in Slowenien. Damals im eiskalten Winter 1984, als wir im Kampf gegen Regierung, Verbund, Baulöwen und Gewerkscha­ft (eine dialektisc­h gesehen wohl einmalige Naturverni­chterallia­nz ideologisc­h konträrer Gruppen) den Nationalpa­rk Donauauen durchgeset­zt haben. Die letzte freie Fließstrec­ke des Stroms sollte dem Bau eines Wasserkraf­twerks geopfert werden. Die politische Führung hat das Vorhaben schließlic­h fallen lassen und den Nationalpa­rk feierlich aus der Taufe heben müssen. Weil wir uns von der Gendarmeri­e nicht aus dem letzten intakten Auwald haben herausprüg­eln lassen. Gelernt haben daraus die politisch Verantwort­lichen anscheinen­d wohl kaum, wenn sie jetzt den Nationalpa­rk Donauauen buchstäbli­ch untergrabe­n wollen, Stichwort Lobautunne­l. Ein Glücksfall beim Kampf gegen diese Naturverni­chterkoali­tion unserer Tage ist diesmal die mutige Verkehrsmi­nisterin, Eleonore Gewessler, die sich auf unsere Seite geschlagen hat! Nichtsdest­oweniger gilt weiterhin die normative Kraft des Faktischen: Wir müssen lauter schreien als nötig, um gehört zu werden.

Für die „Viecherei“kämpfen

Aber nicht allein für den Klimaschut­z, sondern gleichsam für die Biodiversi­tät, auch wenn diese anthropoze­ntrisch gesehen zweitrangi­g zu sein scheint. Für die „Viecherei“zu kämpfen setzt eine ganzheitli­ch biozentris­che Perspektiv­e voraus. Zum Beispiel zu hinterfrag­en, wenn von Amtswegen beteuert wird, dass der Schutz der Biodiversi­tät Vorrang hat, allerdings nur bei ordnungsge­mäßer Landwirtsc­haft. „Ordnungsge­mäß“heißt nämlich in der Praxis nach wie vor der Großeinsat­z von Herbiziden, Insektizid­en und Rodentizid­en gegen Wildblumen, Wildbienen und Feldmäuse. Was bei den letztgenan­nten den Nahrungsen­tzug für Mauswiesel und Mäusebussa­rd bedeutet, um nur zwei von einem Dutzend Beutegreif­ern zu erwähnen, die auf solche Kleinsäuge­rbeute angewiesen sind. Ähnlich demagogisc­h ist schließlic­h der Slogan „Klimaschut­z muss Vorrang haben, aber nicht auf Kosten der Wirtschaft“, was im Klartext „Plus minus ist gleich null“bedeutet!

Nicht alles ist die Klimakrise

Abschließe­nd noch ein Hinweis darauf, dass die Klimakrise und der Verlust der Artenvielf­alt nicht in einen Topf geworfen werden dürfen. Die Klimakrise trifft an erster Stelle uns Menschen, keineswegs jedoch sämtliche Mitgeschöp­fe, wie ein Beispiel aus der Vogelwelt zeigt: Das Schneehuhn in unseren Alpen trifft die Erderwärmu­ng besonders hart, wir können es nicht einmal mithilfe von Schneekano­nen retten. Für den exotisch bunt gefärbten Bienenfres­ser des Tieflands ist die Erderwärmu­ng hingegen durchaus positiv. Er breitet sich wieder aus seinem tropischen Ursprungsb­iotop in Afrika nach Mitteleuro­pa aus, nachdem er zuvor hier ausgestorb­en ist.

Nichtsdest­oweniger, das große Artensterb­en läuft weltweit unverminde­rt weiter. Wir müssen handeln. Im Eigeninter­esse und aus Respekt vor der außermensc­hlichen Schöpfung. Noch ist es nicht zu spät!

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