Strafen für Herkunftsländer
Beim Sondergipfel kommende Woche sollen Maßnahmen für mehr Rückführungen und der Außengrenzschutz debattiert werden.
Karl Nehammer fühlt sich bestätigt. „Österreichs Überzeugungsarbeit zeigt Wirkung“, hielt der Kanzler am gestrigen Mittwoch via Aussendung fest. Anlass für so viel Euphorie war ein Interview von Ylva Johansson tags zuvor, in welchem die Innenkommissarin „physische Infrastrukturen“an der EU-Außengrenze ins Spiel gebracht hatte – just jene Maßnahme also, für die die ÖVP EU-Gelder in Milliardenhöhe fordert, um die illegale Migration in Richtung Europa langfristig einzudämmen. Allzu große Hoffnung auf ein Einlenken der Brüsseler Behörde sollte sich die Kanzlerpartei allerdings nicht machen: Denn Johanssons Sprecher stellte nach dem Interview unmissverständlich klar, dass mit „physische Barrieren“weder Mauern noch Zäune gemeint seien, vielmehr wird aus EU-Mitteln derzeit etwa Personal für den Grenzschutz finanziert.
Hitzige Debatten beim Sondergipfel am 9. und 10. Februar sind also garantiert – und das nicht nur wegen des Dauerstreits rund um die EU-Finanzierung von Grenzzäunen. Die schwedische Ratspräsidentschaft – geführt von Premierminister Ulf Kristersson von der konservativen Moderaten Sammlungspartei – will vor allem das Thema Rückführungen voranbringen. Bisher ist die Bilanz der EU gelinde gesagt verbesserungswürdig: Nicht einmal ein Viertel aller 342.100 ausreisepflichtigen Personen hat die EU im Jahr 2021 tatsächlich verlassen. In den Monaten Juli bis September 2022 stieg die Quote laut Eurostat zwar wieder auf rund 29 Prozent, in Österreich betrug sie in diesem Zeitraum aber nur 20 Prozent.
Alle Hebel in Bewegung setzen
Die Mitgliedstaaten wollen nun alle Hebel in Bewegung setzen, Rückführungen „schneller und effizienter“durchzuführen, wie die von „Politico“vorab eingesehenen Schlussfolgerungen des Treffens
der Staats- und Regierungschefs kommende Woche nahelegen. Herkunftsländern, welche ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen – im Fokus stehen neben Marokko, Algerien und den Staaten am Horn von Afrika auch Afghanistan und Bangladesch –, könnte die Aussetzung bestimmter Erleichterungen in der Visapolitik drohen: etwa bei Bearbeitungsfristen von Anträgen oder der Visumgebühr. Auch die Kürzung von Entwicklungshilfe steht im Raum.
Eine weitere, von den Niederlanden forcierte Möglichkeit besteht im Entzug von Handelsprivilegien: Das „Schema des Allgemeinen Präferenzsystems“(Generalized Scheme of Preferences, GSP) erlaubt es Entwicklungsländern bisher, Waren zu stark vergünstigten Tarifen oder gar gänzlich zollfrei in die EU zu exportieren, um die Wirtschaft in diesen Ländern anzukurbeln – und so mit sanftem Druck von außen Reformen möglich zu machen und im besten Fall die soziale Situation zu verbessern.
Diese Privilegien könnten nun entfallen, so sich die Herkunftsländer nicht zur Rücknahme ihrer in der EU abgewiesenen Staatsbürger verpflichten. Nicht überall kommt diese Idee gut an: NGOs etwa warnen
davor, die ursprüngliche Idee der GSP auf diesem Weg ad absurdum zu führen.
„Langfristige Aufgabe“
In den EU-Hauptstädten aber dominiert der Glaube, dass die Rückführungsquote nur mit Härte nach oben korrigiert werden kann. Selbst Berlin, das in Migrationsfragen keineswegs zu den Hardlinern zählt, fordert mehr Konsequenz: Der neue deutsche Migrationsbeauftragte, Joachim Stamp (FDP), spricht eines der Hauptprobleme an: Viele Migranten würden Geld an Verwandte in ihren Heimatländern senden und so eine wichtige Unterstützung für die Menschen vor Ort leisten. Die Länder hätten folglich wirtschaftliche Interessen, die gegen eine Rücknahme sprechen. „Es ist eine langfristige Aufgabe, dass die Herkunftsländer die Bürgerinnen und Bürger ihrer Länder wieder zurücknehmen“, so Stamp.
Neben Rückführungen und dem Schutz der Außengrenzen sollen die Staats- und Regierungschefs in der kommenden Woche einmal mehr auch über Schnellverfahren und Asylzentren in Drittstaaten sprechen – eine dichte Agenda also.