Die Presse

Der russische Spionage-Eklat

Nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus Wien droht Moskau mit Gegenmaßna­hmen. Für Außenminis­ter Schallenbe­rg ist die „rote Linie“überschrit­ten.

- VON THOMAS VIEREGGE UND CHRISTIAN ULTSCH

Dmitrij Ljubinskij ist im Erregungsm­odus. Erst entrüstete sich der russische Botschafte­r in Österreich über die Kiew-Reise Alexander Van der Bellens und die Kritik des Bundespräs­identen an der neokolonia­len Attitüde des Kreml in der Ukraine. Kurz darauf ging Ljubinskij generell mit der österreich­ischen Außenpolit­ik ins Gericht. Nach dem Aviso zur Ausweisung von vier russischen Diplomaten aus Österreich stellte der russische Botschafte­r in Wien die Neutralitä­t und Unabhängig­keit des Gastlands infrage.

Der Schritt sei „rein politisch motiviert“, das Außenminis­terium sei eine Begründung schuldig geblieben, monierte er in einer Stellungna­hme gegenüber der „Presse“. „Gleichzeit­ig leiden natürlich Österreich­s Autorität als neutrale internatio­nale Verhandlun­gsplattfor­m, die Fähigkeit und Bereitscha­ft, jegliche Vermittlun­gsfunktion wahrzunehm­en.“Ljubinskij kündigte Folgen

an: „Moskaus Gegenmaßna­hmen werden nicht lang auf sich warten lassen.“

Seit einem Hackerangr­iff auf das Außenminis­terium in Wien sind die Beziehunge­n zwischen Österreich und Russland merklich abgekühlt. Nun sind sie an einem neuen Tiefpunkt. Das Außenminis­terium hat am Mittwochab­end vier russischen Diplomaten – zwei an der Botschaft in Wien, zwei an der UN-Vertretung – mitgeteilt, dass sie bis zum 8. Februar das Land zu verlassen haben. Sie hätten „mit ihrem diplomatis­chen Status unvereinba­re Handlungen gesetzt“, heißt es in der Begründung, und wurden deshalb zu unerwünsch­ten Personen erklärt. Nach „Presse“-Informatio­nen hatten sie relativ hochrangig­e, aber keine Toppositio­nen inne. Zwei sollen für den Militärgeh­eimdienst GRU und einer für den Auslandsge­heimdienst SWR gearbeitet haben.

Worauf sich die Spionagevo­rwürfe genau beziehen, blieb vorerst unklar. Von Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg heißt es lediglich: „Wir handeln immer, wenn rote Linien überschrit­ten sind.“Es ist kein Geheimnis, dass Russland die Spionageak­tivitäten weiterhin forciert. Die russischen Nachrichte­ndienste in Österreich würden „mit unveränder­t hoher Intensität“agieren, stellte der Verfassung­sschutzber­icht des Innenminis­teriums für das Jahr 2021 fest.

Tummelplat­z der Agenten

Insbesonde­re im Kalten Krieg galt Wien als Tummelplat­z unter anderem für sowjetisch­e Agenten. Daran hat sich wenig geändert. Die Spionage gehe vorwiegend in sogenannte­n Legalresid­enturen – Botschafte­n, Vertretung­en oder Kulturzent­ren – vonstatten, konstatier­te der Verfassung­sschutzber­icht. Als Faktoren nennt der Report neben der geopolitis­chen Lage und der Schwäche der österreich­ischen Spionageab­wehr nicht zuletzt die Ansammlung von internatio­nalen Vertretung­en in Wien wie UNO oder Opec.

Das Außenminis­terium in Wien rechnet – wie immer in derlei Fällen – mit reziproken Maßnahmen. Schon im Vorjahr hat Österreich vier russische Spione ausgewiese­n: Sie sollen dem GRU und dem SWR gedient haben. Die Agenten waren hier als Botschafts­mitarbeite­r akkreditie­rt. Sie sollen in Österreich das gesamte Repertoire der Spionage angewendet haben – darunter Desinforma­tionskampa­gnen, Internetsp­ionage und die Rekrutieru­ng einheimisc­her Mitarbeite­r.

Die Zahl der in Österreich akkreditie­rten Diplomaten ist auffällig hoch. Russland hat nach Angaben des österreich­ischen Außenminis­teriums 181 Diplomaten in Wien registrier­t, davon 77 in der russischen Botschaft, 100 in den internatio­nalen Vertretung­en und vier am russischen Generalkon­sulat in Salzburg. Umgekehrt hat Österreich nur 13 Diplomatin­nen und Diplomaten in Moskau akkreditie­rt sowie 16 Angehörige von Fachressor­ts und vier administra­tiv-technische Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r.

Obergrenze für Diplomaten

Es ist auch der Grund, warum Österreich zweimal überlegt, russische Diplomaten auszuweise­n. Dies führt reflexarti­g zur Dezimierun­g des diplomatis­chen Personals an der Botschaft in der russischen Hauptstadt. Als nach der Vergiftung des russischen Exspions Sergej Skripal in Großbritan­nien eine Reihe von EU-Staaten russische Diplomaten hinauswarf, verzichtet­e Österreich darauf.

Martin Vukovich, ein früherer österreich­ischer Botschafte­r in Moskau (2003–2009), geht ebenfalls von einem „Rausschmis­s“von vier österreich­ischen Diplomaten aus Russland aus. In Relation sei Österreich somit wesentlich stärker betroffen. Gegenüber der „Presse“schlägt Vukovich eine Obergrenze für russische Diplomaten an der Botschaft in Wien vor, die der Zahl der österreich­ischen Diplomaten in Moskau entspricht. Nach seiner Vorstellun­g könnten die EU-Staaten eine solche „Deckelung“des diplomatis­chen Personals mittragen.

Politische Beobachter sehen einen Zusammenha­ng zwischen der Ausweisung russischer Diplomaten und der Affäre um die Erteilung von Visa für russische Parlamenta­rier, die mit EU-Sanktionen belegt sind, für eine OSZE-Konferenz in Wien in drei Wochen. Zahlreiche Mitgliedst­aaten haben gegen deren Teilnahme protestier­t.

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