Wie der Krieg in der Ukraine auch Asien verändert
Yoshinobu Takei, renommierter Professor für Internationales Recht in Tokio, über die neue geopolitische Rolle Japans.
Für Japan hat sich die Welt in den vergangenen zehn Jahren besonders schnell verändert. Chinas aggressive Machtambitionen, die nuklearen Muskelspiele Nordkoreas, aber auch der Ukraine-Krieg erhöhen das Bedürfnis der Japaner nach besserer Verteidigung. Die geografisch eigentlich weit entfernte russische Invasion der Ukraine wird auch in Asien gespürt: Sie sei sogar „ein Wendepunkt“gewesen, sagt Yoshinobu Takei, Professor für Internationales Recht an der Keio Universität in Tokio, zur „Presse“.
Denn der russische Angriff habe den Abschied von Japans pazifistischer Nachkriegstradition beschleunigt: Inzwischen unterstützt eine große Mehrheit der Japaner die angekündigte Verdopplung der Militärausgaben auf zwei Prozent des BIPs bis 2027.
Der Krieg in Europa erschüttert auch die Sicherheitsarchitektur
Asiens. Der Professor weist auf den ungelösten Territorialkonflikt Japans mit Russland um die KurilenInseln hin, wegen des Disputes haben die beiden Länder noch immer keinen Friedensvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnet. Vorsichtig tasteten sich jedoch Tokio und Moskau in den vergangenen Jahren aneinander heran. Doch als Japan nach der russischen Ukraine-Invasion Sanktionen gegen Moskau verhängte, stoppte der Kreml Gespräche über die Kurilen und Fischereirechte in der Gegend: Laut Takei ist das eine „sehr besorgniserregende Entwicklung“.
Und der Krieg rückt Japan noch näher an USA und Nato heran. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte diese Woche in Tokio eine engere militärische Zusammenarbeit an. Aber die Allianz habe Grenzen, betont Takei. Die rote Linie gebe die Verfassung vor, die einen Kriegseinsatz verbietet. Skeptisch ist der Experte bei der
Frage, ob Tokio auf Nato- oder USAnfrage Waffen in die Ukraine schicken würde. „Ich erwarte aber, dass es eine Diskussion geben wird.“
Superregion Indopazifik
Die intensivere US-Nähe verschärfe die Spannungen zu Erzfeind China. Und die Bedrohung durch die Volksrepublik zeichnet die geopolitische Karte der Region um. Der Jurist prognostiziert für die Zukunft einen stärkeren Schulterschluss der Indopazifik-Staaten – darunter eine intensivere Kooperation Japans mit Indien. Die Indopazifik-Gegend mit hoher Bevölkerungsdichte entwickle sich zur mächtigen Region.
Doch Japan strebe kein „unilaterales Vorgehen an, sondern eine intensivere regionale Interaktion“, betont Takei. Er ist überzeugt, dass sein Land ein mächtiges Instrument
einsetzen werde, um einen heißen Krieg zu verhindern: das Internationale Recht. Japan, heuer Vorsitzland des UN-Sicherheitsrates, habe dort bereits eine Diskussion über die Rolle des Völkerrechts angestoßen.
Natürlich seien wegen der Vetomächte China und Russland kurzfristig keine Ergebnisse zu erwarten. Wichtig sei aber, das Gespräch aufrechtzuerhalten, „auch mit Mächten, die unsere Position nicht teilen“. Das sei in der UNO, „einem inklusiven Forum“, möglich. Sein Fazit: „Internationales Recht mag kurzfristig einen Konflikt nicht lösen, aber es kann helfen, die Position einzelner Staaten besser zu verstehen – und so einen Konflikt zu vermeiden.“
Als Beispiel führt Takei die explosive Lage im Südchina-Meer an, das Peking fast vollständig für sich beansprucht. China erkennt das Urteil des UN-Schiedsgerichts von 2016 nicht an, das den Philippinen im Territorialstreit recht gab. Doch die rechtliche Diskussion geht weiter. Mehrere südostasiatische Staaten legten Beschwerde bei der UNKommission zur Begrenzung des Festlandsockels vor: „Die Argumentation Chinas zu Vietnam war besonders gut ausgearbeitet.“Das sei aussagekräftig, auch hinsichtlich Plänen und Zielen Chinas.
Knifflige Taiwan-Frage
Interessante Ansätze liefere Internationales Recht auch bei der kniffligen Frage des Taiwan-Status: Taiwan spielt eine Rolle in internationalen Organisationen – meist als Beobachter, bei der Welthandelsorganisation WTO als Mitglied. Selbst China erkenne Taiwan als Player in Fischereiforen an, betont Takei: Dieses Argument könne in Zukunft für „eine friedliche“Lösung vorgebracht werden.