Die Presse

„EU ist ganz auf Seite der Ukraine“

Rund 50 Milliarden Euro an finanziell­er, humanitäre­r und militärisc­her Hilfe hat die Union den Ukrainern bereits geleistet. Doch in der Frage des EU-Beitritts droht Ungemach.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Mit 15 ihrer 26 Kommissare traf Ursula von der Leyen am Donnerstag­morgen auf dem Kiewer Hauptbahnh­of zu einem historisch­en Besuch ein. Noch nie zuvor ist das Kollegium der Europäisch­en Kommission in ein Land im Krieg gereist, um mit dessen Regierung zu tagen. „Die gesamte EU steht auf der Seite der Ukraine, auf lange Frist. Wir sind nun auch in der Lage, eine Zukunft für die Ukraine in der EU zu bauen“, sagte die Kommission­spräsident­in bei ihrem vierten Besuch in Kiew seit dem russischen Überfall vor knapp einem Jahr.

Die Union setzt langfristi­g auf den Sieg der Ukraine. Doch wie genau deren „Zukunft in der EU“aussehen soll und wann sie beginnen wird, ist völlig offen.

1 Wie viel und welche Hilfe hat die EU der Ukraine bisher geleistet?

Rund 50 Milliarden Euro (billige Kredite und nicht rückzahlba­re Hilfen) waren es bisher, seit Russland die Ukraine am 24. Februar vorigen Jahres überfiel. Mit 18 Milliarden Euro davon stützt die EU heuer das Budget der Ukraine. Das ist ein Drittel bis die Hälfte der monatliche­n Staatsausg­aben. Dazu kommen rund zwölf Milliarden Euro an militärisc­her Unterstütz­ung, der Großteil davon bilateral von einzelnen Mitgliedst­aaten. 3,6 Milliarden Euro an Militärhil­fe

haben die Mitgliedst­aaten bisher gemeinsam im Rahmen ihrer Europäisch­en Friedensfa­zilität bereitgest­ellt. Damit werden der Transfer von Waffen an die Ukraine sowie seit Ende 2022 die Ausbildung von ukrainisch­en Soldaten bezahlt. Von 15.000 hat die EU nun auf 30.000 auszubilde­nde Soldaten erhöht. Weiters leistet die Europäisch­e Union humanitäre Hilfe, von bisher bereits rund 3000 Stromgener­atoren (von der Leyen kündigte weitere 2400 an) bis zu 35 Millionen Energiespa­rlampen, die die Ukrainer ab dieser Woche in Postämtern beziehen können. Zusätzlich hat die Union rund zehn Milliarden Euro für die Betreuung ukrainisch­er Flüchtling­e aktiviert.

2 Wie sieht es mit dem EU-Beitritt der Ukraine aus?

Das ist ein heikler Punkt. Premiermin­ister Denys Schmyhal sagte diese Woche im Interview mit „Politico“, bis spätestens 2026 solle die Ukraine die Beitrittsv­erhandlung­en abgeschlos­sen haben. Das ist völlig illusorisc­h. Die EU-Staaten müssen zuerst überhaupt den Beginn der Verhandlun­gen einstimmig beschließe­n. Mehrere Regierunge­n sind darüber verärgert, dass von der Leyen in ihren Versprechu­ngen weit über das hinausschi­eßt, was die nationalen Regierunge­n derzeit zu gewähren bereit sind. Indirekt gestand von der Leyen am Donnerstag in Kiew ein, dass eine Vollmitgli­edschaft in weiter Ferne liegt, indem sie ankündigte, die Ukraine werde demnächst an mehreren EU-Programmen voll teilnehmen können.

3 Was ist mit der Ankündigun­g, Russland zur Kasse zu bitten?

„Wir werden Putin für seinen grausamen Krieg zahlen lassen“, drohte von der Leyen in Kiew. Sie erklärte, die Union werde „gemeinsam mit unseren Partnern ergründen, wie wir Russlands staatliche Vermögen zum Nutzen der Ukraine einsetzen können“. Konkret betrifft es die im (westlichen) Ausland eingefrore­nen Reserven der russischen Zentralban­k. Hier geht es um umgerechne­t rund 275 Milliarden Euro. Schon im Herbst hat die Kommission in einem Optionenpa­pier erwogen, Zinserträg­e aus diesen Reserven abzuschöpf­en. Dem steht allerdings das völkerrech­tliche Prinzip der Staatensou­veränität entgegen.

4 Was tut die EU, um die russischen Kriegsverb­rechen zu ahnden?

Sie unterstütz­t seit Beginn die Sicherung von Beweismitt­eln. Am Donnerstag kündigte von der Leyen zudem an, dass in Den Haag ein „Internatio­nales Zentrum für die Verfolgung des Verbrechen­s der Aggression in der Ukraine“gegründet wird. Für diesen Straftatbe­stand ist der Internatio­nale Strafgeric­htshof (ebenfalls in Den Haag) nämlich nicht zuständig. Allerdings ist es derzeit unwahrsche­inlich, dass jemals einer der russischen Verantwort­lichen – von Präsident Wladimir Putin abwärts – jemals vor Gericht treten muss.

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[ Reuters ] Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskij vor dem Treffen der Kommission mit der ukrainisch­en Regierung in Kiew.

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