„EU ist ganz auf Seite der Ukraine“
Rund 50 Milliarden Euro an finanzieller, humanitärer und militärischer Hilfe hat die Union den Ukrainern bereits geleistet. Doch in der Frage des EU-Beitritts droht Ungemach.
Mit 15 ihrer 26 Kommissare traf Ursula von der Leyen am Donnerstagmorgen auf dem Kiewer Hauptbahnhof zu einem historischen Besuch ein. Noch nie zuvor ist das Kollegium der Europäischen Kommission in ein Land im Krieg gereist, um mit dessen Regierung zu tagen. „Die gesamte EU steht auf der Seite der Ukraine, auf lange Frist. Wir sind nun auch in der Lage, eine Zukunft für die Ukraine in der EU zu bauen“, sagte die Kommissionspräsidentin bei ihrem vierten Besuch in Kiew seit dem russischen Überfall vor knapp einem Jahr.
Die Union setzt langfristig auf den Sieg der Ukraine. Doch wie genau deren „Zukunft in der EU“aussehen soll und wann sie beginnen wird, ist völlig offen.
1 Wie viel und welche Hilfe hat die EU der Ukraine bisher geleistet?
Rund 50 Milliarden Euro (billige Kredite und nicht rückzahlbare Hilfen) waren es bisher, seit Russland die Ukraine am 24. Februar vorigen Jahres überfiel. Mit 18 Milliarden Euro davon stützt die EU heuer das Budget der Ukraine. Das ist ein Drittel bis die Hälfte der monatlichen Staatsausgaben. Dazu kommen rund zwölf Milliarden Euro an militärischer Unterstützung, der Großteil davon bilateral von einzelnen Mitgliedstaaten. 3,6 Milliarden Euro an Militärhilfe
haben die Mitgliedstaaten bisher gemeinsam im Rahmen ihrer Europäischen Friedensfazilität bereitgestellt. Damit werden der Transfer von Waffen an die Ukraine sowie seit Ende 2022 die Ausbildung von ukrainischen Soldaten bezahlt. Von 15.000 hat die EU nun auf 30.000 auszubildende Soldaten erhöht. Weiters leistet die Europäische Union humanitäre Hilfe, von bisher bereits rund 3000 Stromgeneratoren (von der Leyen kündigte weitere 2400 an) bis zu 35 Millionen Energiesparlampen, die die Ukrainer ab dieser Woche in Postämtern beziehen können. Zusätzlich hat die Union rund zehn Milliarden Euro für die Betreuung ukrainischer Flüchtlinge aktiviert.
2 Wie sieht es mit dem EU-Beitritt der Ukraine aus?
Das ist ein heikler Punkt. Premierminister Denys Schmyhal sagte diese Woche im Interview mit „Politico“, bis spätestens 2026 solle die Ukraine die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen haben. Das ist völlig illusorisch. Die EU-Staaten müssen zuerst überhaupt den Beginn der Verhandlungen einstimmig beschließen. Mehrere Regierungen sind darüber verärgert, dass von der Leyen in ihren Versprechungen weit über das hinausschießt, was die nationalen Regierungen derzeit zu gewähren bereit sind. Indirekt gestand von der Leyen am Donnerstag in Kiew ein, dass eine Vollmitgliedschaft in weiter Ferne liegt, indem sie ankündigte, die Ukraine werde demnächst an mehreren EU-Programmen voll teilnehmen können.
3 Was ist mit der Ankündigung, Russland zur Kasse zu bitten?
„Wir werden Putin für seinen grausamen Krieg zahlen lassen“, drohte von der Leyen in Kiew. Sie erklärte, die Union werde „gemeinsam mit unseren Partnern ergründen, wie wir Russlands staatliche Vermögen zum Nutzen der Ukraine einsetzen können“. Konkret betrifft es die im (westlichen) Ausland eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank. Hier geht es um umgerechnet rund 275 Milliarden Euro. Schon im Herbst hat die Kommission in einem Optionenpapier erwogen, Zinserträge aus diesen Reserven abzuschöpfen. Dem steht allerdings das völkerrechtliche Prinzip der Staatensouveränität entgegen.
4 Was tut die EU, um die russischen Kriegsverbrechen zu ahnden?
Sie unterstützt seit Beginn die Sicherung von Beweismitteln. Am Donnerstag kündigte von der Leyen zudem an, dass in Den Haag ein „Internationales Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine“gegründet wird. Für diesen Straftatbestand ist der Internationale Strafgerichtshof (ebenfalls in Den Haag) nämlich nicht zuständig. Allerdings ist es derzeit unwahrscheinlich, dass jemals einer der russischen Verantwortlichen – von Präsident Wladimir Putin abwärts – jemals vor Gericht treten muss.