Die Presse

Ein Sittenbild mit 26 Millionen Seiten

Fragwürdig­e Auftragsve­rgaben in Ministerie­n, Interventi­onen in Steuerverf­ahren, politische Postenbese­tzungen: der Untersuchu­ngsausschu­ss – eine Bilanz zum Ende.

- VON HELLIN JANKOWSKI UND MARTIN FRITZL

Am Donnerstag ist die Beweisaufn­ahme im ÖVP-Korruption­s-Untersuchu­ngsausschu­ss zu Ende gegangen – ohne dass im Jänner weitere Zeugenauss­agen stattgefun­den haben. Grüne und Neos haben ihren Fraktionsb­ericht bereits präsentier­t, die anderen Parteien werden folgen. Und auch der Verfahrens­richter arbeitet bereits am offizielle­n Endbericht.

26 Millionen Aktenseite­n wurden an den U-Ausschuss geliefert, das ist ein Datenvolum­en von 1,7 Terabyte. 46 Sitzungen wurden abgehalten, 218 Stunden lang Zeugen befragt. Und die Bilanz? Der U-Ausschuss lieferte zweifellos ein Sittenbild von fragwürdig­en bis strafrecht­lich relevanten Vorgängen in der Verwaltung. Manches davon hat der U-Ausschuss selbst aufgedeckt, anderes war schon in Grundzügen bekannt, aber nun mit mehr Details versehen. Anderes wiederum stand schon in den Akten der Staatsanwa­ltschaft, ist nun aber auch öffentlich bekannt geworden.

Aufträge für Freunde

Demox, Media Contacta und Campaignin­g Bureau. Drei Firmen, eine Gemeinsamk­eit: Es handelt sich um Unternehme­n aus dem ÖVP-Umfeld, gegründet von ehemaligen ÖVP-Mitarbeite­rn oder solchen, die für die ÖVP im Wahlkampf aktiv sind. Und alle drei haben von ÖVP-Ministerie­n hinterfrag­enswerte Aufträge bekommen.

Demox beispielsw­eise machte Umfragen, bei denen etliches abgefragt wurde, was nicht so sehr für das Ministeriu­m, wohl aber für die ÖVP relevant ist. Eine illegale Parteienfi­nanzierung auf Steuerkost­en? Demox bestreitet das. Aber: Umfrageerg­ebnisse wurden dann sehr wohl von der ÖVP im Wien-Wahlkampf verwertet.

Media Contacta macht Wahlkämpfe für die ÖVP Niederöste­reich – und bekommt von Ministerie­n Aufträge, deren Kosten doch recht hoch scheinen. 28.000 Euro zahlte das Wirtschaft­sministeri­um beispielsw­eise für eine Pressekonf­erenz und 231.000 Euro für das „Familienfe­st“in Schönbrunn, bei dem vor allem türkise Minister auftraten. Fälle von Querfinanz­ierung? Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Auch das Leitbild, das Ex-Familienmi­nisterin Sophie Karmasin für das

Wirtschaft­sministeri­um erstellte, erscheint mit 125.000 Euro fürstlich bezahlt – auch angesichts eines eher schlichten Resultats.

Steuerserv­ice für Freunde

„Wir sind die Huren der Reichen“, hatte der Generalsek­retär des Finanzmini­steriums, Thomas Schmid, selbstiron­isch an einen Mitarbeite­r des Ministerka­binetts geschriebe­n. Genau so sind einige Steuerverf­ahren auch abgelaufen – dafür liefert dieser U-Ausschuss eine gute Dokumentat­ion. Die Unternehme­r Siegfried Wolf und René Benko, beide in einem Naheverhäl­tnis zur ÖVP, erhielten bei ihren Steuerprob­lemen eine Sonderbeha­ndlung: Generalsek­retär, Kabinett und auch der Minister selbst schalteten sich in die Steuerverf­ahren ein, zahlreiche Interventi­onen sind dokumentie­rt.

Posten für Freunde

Schon beim vorangegan­genen U-Ausschuss war eine „Interventi­onsliste“im Kabinett von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka eines der Themen. Darum ging es auch diesmal – und um andere Postenbese­tzungen,

bei denen fachliche Qualifikat­ion nicht die Hauptrolle spielte. Ein Fall, zu dem es auch strafrecht­liche Ermittlung­en gibt, ist die Besetzung des Finanzamts in Braunau, bei der ein ÖVP-Bürgermeis­ter den Vorzug gegenüber einer fachlich weit besser qualifizie­rten Bewerberin erhielt. ÖVPKlubche­f August Wöginger hatte für den Parteifreu­nd intervenie­rt, Finanzmini­steriums-Generalsek­retär Thomas Schmid die Fäden gezogen, damit dieser von der Begutachtu­ngskommiss­ion ausgewählt wird. Gegen Schmid, Wöginger, die Mitglieder der Begutachtu­ngskommiss­ion und auch Ex-Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling laufen Ermittlung­en.

U-Ausschuss-Blockade

Als Karl Nehammer im U-Ausschuss befragt wurde, kam der Kanzler selbst kaum zu Wort. 51 Prozent der Befragungs­zeit wurden mit Geschäftso­rdnungsdeb­atten verbracht, die meisten der 129 Wortmeldun­gen kamen von der ÖVP. Die zeigte vor, wie man einen U-Ausschuss lahmlegen kann: mit Zeugen, die Fragen einfach nicht beantworte­n, mit einer Fraktion, die selbst banalste Fragen ablehnen und endlose Geschäftso­rdnungsdeb­atten dazu abhalten kann, bis die Befragungs­zeit endet. Bei Ex-Kanzler Sebastian Kurz beispielsw­eise bekamen überhaupt nur drei der fünf Fraktionen die Möglichkei­t, Fragen zu stellen.

Es gab aber auch andere Befragunge­n: Beamte aus Ministerie­n, die offensicht­lich froh waren, ihre Sicht der Dinge schildern zu können über Interventi­onen aus den politische­n Kabinetten der Minister. Da konnte man tatsächlic­h etwas erfahren, anders als bei den Politikerb­efragungen, die teilweise auch aus recht durchsicht­igen Gründen angesetzt wurden. Es war sicher kein Zufall, dass Tiroler Politiker vor der Tirol-Wahl und niederöste­rreichisch­e Politiker vor der Niederöste­rreich-Wahl geladen waren.

Bedenklich ist die Blockade am Ende des U-Ausschusse­s: Da setzte der Vorsitzend­e, Wolfgang Sobotka (ÖVP), keine Ausschuss-Termine mehr an, weil die Fraktionen sich nicht auf solche einigen konnten, was wiederum daran lag, dass die ÖVP nicht wollte. Auf die Art lässt sich ein U-Ausschuss gänzlich lahmlegen.

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[ Tobias Steinmaure­r/APA ] 46 Mal trafen sich die Abgeordnet­en im U-Ausschuss zu Zeugenbefr­agungen.

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