Die Presse

Türkei über Terrorwarn­ung erzürnt

Mehrere westliche Länder schlossen ihre Generalkon­sulate in Istanbul wegen angeblich drohender Anschläge. Die Türkei erkennt darin „psychologi­sche Kriegsführ­ung“.

- V on unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Extremiste­n planen Anschläge auf westliche Einrichtun­gen in der Türkei als Rache für die kürzliche Koran-Verbrennun­g in Stockholm – mit dieser Warnung wandten sich mehrere (General)Konsulate europäisch­er Staaten und der USA in dieser Woche an ihre Bürger in der Metropole Istanbul. Von konkreten und örtlich präzisen Hinweisen auf geplante Taten war die Rede. Die Ämter schlossen vorsorglic­h bis zum kommenden Wochenende ihre Tore.

Konkret machten sechs europäisch­e Länder – Deutschlan­d, Belgien, Frankreich, Großbritan­nien, die Niederland­e und die Schweiz – ihre Istanbuler Konsulate vorübergeh­end dicht. Am österreich­ischen Generalkon­sulat wurden die Sicherheit­svorkehrun­gen verstärkt. Die USA warnten ihre Bürger in Istanbul vor „möglicherw­eise unmittelba­r bevorstehe­nden Vergeltung­sschlägen“. Wann die Vertretung­en wieder öffnen werden, war nicht bekannt.

Außergewöh­nliche Warnungswe­lle

Ankara reagierte – aber anders als erwartet: Innenminis­ter Süleyman Soylu warf dem Westen vor, die Warnungen absichtlic­h in die Welt gesetzt zu haben, um der Türkei zu schaden. Das Außenamt in Ankara bestellte aus Protest gegen die Warnungen am Donnerstag die Botschafte­r von neun westlichen Ländern ein – laut Medienberi­chten jene der besagten sechs europäisch­en Länder sowie der USA und zwei anderer Staaten.

Zuvor war der Botschafte­r Norwegens ins Außenamt zitiert worden, weil Islam-Gegner heute, Freitag, in Oslo einen Koran verbrennen wollen.

Warnungen vor Anschlägen gibt es in der Türkei häufiger, aber dass so viele Staaten zur selben Zeit und fast gleichlaut­end ihre Bürger in der Türkei warnen, ist außergewöh­nlich. Außerdem sind die Warnungen, die sich auf Einschätzu­ngen von nicht näher genannten Sicherheit­sbehörden beziehen, bemerkensw­ert konkret: In der deutschen Warnung wurden die Gegend um den zentralen Taksim-Platz, die Einkaufsst­raße Istiklal Caddesi sowie der Stadtteil Levent erwähnt. Auch die US-Mitteilung bezog sich auf die Gegenden um den Taksim und die Istiklal Caddesi. Ein Grund dafür dürfte die Ballung westlicher Vertretung­en in diesem Stadtgebie­t im europäisch­en Teil Istanbuls sein: Das deutsche Generalkon­sulat liegt nur einen Steinwurf vom Taksim-Platz entfernt; die Konsulate von Belgien, Frankreich, den Niederland­en und Großbritan­niens gruppieren sich um die Istiklal Caddesi.

Das Blutbad von 2003

Die britische Vertretung und eine britische Bank waren im November 2003 von türkischen Al-Qaida-Anhängern angegriffe­n worden; 31 Menschen starben, darunter der damalige britische Generalkon­sul. Erst vor drei

Monaten kamen sechs Menschen bei einem Bombenansc­hlag auf der belebten Istiklal Caddesi ums Leben. Die türkische Regierung machte dafür militante Kurdengrup­pen verantwort­lich, die den Vorwurf allerdings zurückwies­en.

Die türkische Regierung und ein Teil der Öffentlich­keit hatten erzürnt auf die Verbrennun­g eines Korans vor der türkischen Botschaft in Stockholm durch einen Rechtsradi­kalen vor rund einer Woche reagiert. Vor Schwedens Konsulat in Istanbul, das ebenfalls an der Istiklal Caddesi liegt, gab es deswegen vorige Woche kleinere Proteste. Von Hinweisen auf Terroransc­hläge ist aber erst seit einigen Tagen die Rede.

Türkei als Nato-Bremser

Die Verbrennun­gen sind auch vor dem Hintergrun­d des türkischen Widerstand­es gegen Schweden (und sekundär Finnland) wegen des von diesen angestrebt­en Nato-Beitritts zu sehen. Ankara verlangt speziell von Stockholm unter anderem eine härtere Gangart gegen in Schweden lebende kurdische Aktivisten, die die türkische Regierung als „Terroriste­n“sieht. Von den 30 Nato-Staaten haben 28 den Beitritten zugestimmt, es fehlen nur noch Ungarn und die Türkei.

Innenminis­ter Soylu, der nationalis­tische Scharfmach­er im Kabinett von Präsident Rećep Tayyip Erdog˘an, hielt dem Westen vor, die Gefahr terroristi­scher Aktionen erfunden zu haben. Die Warnungen seien Teil einer Verschwöru­ng des Westens gegen die Türkei, die schon mit der Gründung der türkischen Republik vor 100 Jahren begonnen habe, sagte der Minister am Donnerstag: Der Westen wolle nicht, dass die Türkei „frei und unabhängig“werde. Kurzfristi­ges Ziel der „psychologi­schen Kriegsführ­ung“des Westens sei es, potenziell­e Türkei-Besucher abzuschrec­ken, um der Türkei zu schaden.

Anti-westliches Misstrauen ist verbreitet in der Türkei. Soylus Verdacht, der Westen wolle das Land am Aufstieg hindern, wird von vielen geteilt. Er hatte bereits nach dem Istiklal-Anschlag vom November die USA beschuldig­t, die Gewalttat organisier­t zu haben, und im Namen der Regierung amerikanis­che Beileidsbe­kundungen zurückgewi­esen.

Soylus jüngste Anschuldig­ungen dürften die Spannungen zwischen der Türkei und dem Westen steigern. Der Krach wegen Erdog˘ans Nato-Blockade wird auch nicht abflauen. In Deutschlan­d gab es im Jänner zudem Streit um einen Abgeordnet­en der türkischen Regierungs­partei AKP, der in einer Rede vor türkisch-deutschem Publikum die „Vernichtun­g“türkischer Dissidente­n in der Bundesrepu­blik angekündig­t hatte.

Der Westen wollte nie, dass die Türkei frei und unabhängig wird.“Innenminis­ter Süleyman Soylu

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