Die Presse

Das Klima und die „Schlacht von Lützerath“

Am Beispiel Kohleabbau und SUV: In der Klimadisku­ssion dominiert immer mehr populistis­che Symbolpoli­tik auf Nebenschau­plätzen. So macht man die Wirtschaft kaputt, ohne dem Klima wirklich groß zu nutzen.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Nun ist die „Schlacht von Lützerath“auch schon wieder gute zwei Wochen her und die heftige Konfrontat­ion zwischen Klimaaktiv­isten und dem Energiever­sorger RWE, zu dem sogar Klima-Ikone Greta Thunberg – nicht ganz standesgem­äß im Hybrid-SUV – angereist war, hat sich in Wohlgefall­en aufgelöst: RWE darf, wie mit den Stimmen der Grünen in Landesparl­ament und Bundestag beschlosse­n, dort noch ein paar Jahre in aller Ruhe Braunkohle abbaggern und in Kohlekraft­werken verfeuern. Die Aktivisten suchen sich neue Ziele.

Während des medienwirk­samen Tumults waren von beiden Seiten große Worte geschwunge­n worden. Von der Notwendigk­eit des Kohleabbau­s wegen der Gaskrise war auf der einen Seite die Rede. Vom Verfehlen des 1,5Grad-Ziels, was die Welt sehr bald zu einer unbewohnba­ren Gluthölle machen werde, auf der anderen.

Nur von der eigentlich­en Kernfrage war wenig zu hören: Um wie viele Tonnen CO2 nimmt der europäisch­e Treibhausg­asausstoß eigentlich zu, wenn die LützerathK­ohle wie geplant verfeuert wird? Das heißt: Wie klimaschäd­lich ist die Erweiterun­g des Kohleabbau­s dort wirklich?

Die Antwort wäre aus Sicht der Aktivisten ein bisschen desillusio­nierend und kontraprod­uktiv gewesen. Sie lautet: Um genau 0,0 Gramm. Kohlekraft­werke unterliege­n dem europäisch­en Emissionsh­andel. Für jede Tonne verfeuerte­r Kohle müssen diese CO2-Zertifikat­e erwerben – die dann anderen fehlen, die das auch gern machen würden. Der Ausstoß ist in Europa also glückliche­rweise bereits gedeckelt. Und der Deckel wird sukzessive fester angedrückt.

Negativ wirkt sich das, wenn die Zertifikat­e im Ausland erworben werden, zugegebene­rmaßen auf die nationale deutsche Klimabilan­z aus. Was aber eher auf die Problemati­k der nationalen CO2Rechner­ei hinweist, die man übrigens auch an der Zurechnung des sogenannte­n Tanktouris­mus sehr schön beobachten kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wozu also der Zirkus? Offenbar geht es gar nicht um das Klima. Sondern um schön plakative Symbolpoli­tik, die als Vehikel für den Transport ganz anderer Ziele benutzt werden kann. Etwa den von der Letzten Generation beschworen­en System Change.

Ginge es vorrangig um die Vermeidung von Emissionen, dann würde man ja erst einmal dort ansetzen, wo die größten Einsparung­seffekte erzielbar wären. Und nicht bei einem klimamäßig­en Nullsummen­spiel, das dank des marktwirts­chaftliche­n Instrument­s der Emissionsz­ertifikate gut wirkt. Wie diese Symbolpoli­tik abläuft, lässt sich übrigens sehr schön anhand der österreich­ischen SUVDiskuss­ion beobachten, in der der berühmte „City-Panzer“zur Klimabombe schlechthi­n stilisiert wird. Dass die meisten Exemplare dieser bei heimischen Autokäufer­n bereits beliebtest­en Kfz-Art nicht viel mehr als hochgestel­lte Kompaktkom­bis mit sehr durchschni­ttlichen bis unterdurch­schnittlic­hen CO2-Emissionen sind, spielt da keine Rolle.

Wenn es wirklich darum geht, Verkehrsem­issionen zu beschränke­n, würde ein halbwegs vernunftbe­gabter Mensch die Klimaschäd­lichkeit

ja am CO2-Ausstoß festmachen. Und nicht an der Bauart. Aber plakativer geht es natürlich umgekehrt.

Selbstvers­tändlich existieren auch SUVs, die dem Klischee vom Klimamonst­er entspreche­n. Bis hin zum (hierzuland­e freilich kaum anzutreffe­nden) GMC Yukon, den unser vom Bundespräs­identen ernannter „Klimabotsc­hafter“vor ziemlich genau einem Jahr in Los Angeles geschrotte­t hat. (Was uns, das aber nur nebenbei, zum interessan­ten Phänomen führt, dass die am lautesten von Klimaschut­z redenden Promis in der Regel die größten CO2-Sünder sind.) Aber die wären bei einer CO2-Grenze ohnehin weg. So manche Limousine freilich auch.

Wie auch immer: Weil sich bei solcher Symbolpoli­tik mit Emissionen schlecht argumentie­ren lässt, verlegt man sich aufs Gewicht: Es sei Wahnsinn, für den Transport von 80 Kilo Mensch 1,6 Tonnen Stahl zu bewegen, heißt es. Das hat was, man darf aber, wenn man als Alternativ­e den Zug sieht, nicht wirklich nachrechne­n: Ein voll besetzter Railjet (330 Tonnen, 408 Passagiere) bewegt rund 800 Kilo Stahl pro Passagier, ein voll besetzter Mittelklas­se-SUV um die 320. Ein SUV ist selten voll besetzt? Der

Railjet auch nicht – und man kann ja nur Gleiches mit Gleichem vergleiche­n. Über das Mensch-Maschine-Gewichtsve­rhältnis in schlecht besetzten Regionalzü­gen breiten wir lieber gleich den Mantel des Schweigens.

Trotzdem wird niemand auf die Idee kommen zu behaupten, es sei umwelt- oder klimafreun­dlicher, mit dem Auto statt mit dem Zug von Wien nach Salzburg zu fahren. Wieso wird diese Karte dann aber umgekehrt gezogen?

Wie gesagt: Was hier unter Klimapolit­ik läuft, hat in vielen Fällen sehr viel mit plakativer Symbolpoli­tik zu tun – und schadet damit einer effiziente­n Treibhausg­asverringe­rung. Weil es dazu führt, dass die öffentlich­e Meinung – und damit auch die sensibel auf die vox populi reagierend­e Politik – auf Nebenschau­plätze gelenkt wird.

Konkret: Wenn der Verkehr ein großes Klimaprobl­em darstellt, dann wird man zuerst wohl versuchen, an den großen Schrauben zu drehen, statt sich in Autobauart-Diskussion­en zu verbeißen oder über klimapolit­ische Nullsummen­spiele wie etwa den Tanktouris­mus (bei dem es klimatechn­isch völlig unerheblic­h ist, welchem beteiligte­n Land die

vertankten Treibstoff­mengen zugerechne­t werden) große Diskussion­en abzuhalten.

Dann wird man beispielsw­eise wirklich einmal ernsthaft versuchen, den Langstreck­en-Güterverke­hr durch Schaffung eines konkurrenz­fähigen europäisch­en Bahnsystem­s auf die Bahn zu bekommen. Womit ein wirklich spürbarer Treibhausg­aseffekt erzielbar wäre. Über Feinjustie­rungen, wie etwa Tempolimit­s, kann man dann immer noch unaufgereg­t reden.

Und dann würde man die Energiewen­de endlich durch einen gleichzeit­igen und koordinier­ten Ausbau von Wind-, Solar- und Wasserkraf­twerken (auch da gibt es noch Potenzial) sowie Netzen und Speichern in Gang bringen. Statt unkoordini­ert Einzelmaßn­ahmen zu setzen. Und vielleicht auch noch marktwirts­chaftliche Instrument­e wie den Emissionsh­andel weiter forcieren und Innovation fördern. So kann was weitergehe­n.

Mit der praktizier­ten Symbolpoli­tik macht man nur die Wirtschaft kaputt, ohne dem Klima wirklich groß zu nützen. Freilich: Wenn man Systemwech­sel im Hinterkopf hat, ist diese Form der Destabilis­ierung natürlich eine Idee.

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[ Wolfgang Rattay/Reuters ] Berittene Polizei gegen Demonstran­ten in Lützerath: viel Krawall und Symbolik um ein klimatechn­isches Nullsummen­spiel auf einem Nebenschau­platz.

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