Die Presse

Immunzelle­n fit gegen den Krebs machen

Das enorm gewachsene Wissen über Gene und Vorgänge in der Zelle eröffnet der Therapie neue Möglichkei­ten. Damit alle Patienten davon profitiere­n, ist aber noch Forschungs­arbeit notwendig.

- VON WOLFGANG POZSOGAR

Dank neuer Therapien, vor allem den Immunthera­pien, sind die Chancen, dass Krebspatie­nten ihre Krankheit besiegen und ein weitgehend normales Leben führen können, in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen. „Die Therapieab­läufe haben sich bei den meisten Krebserkra­nkungen um 180 Grad gedreht, man kann von einer Revolution sprechen“, sagt Marion Subklewe, Leiterin des Laboratory for Translatio­nal Cancer Immunology an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München. Ein Spezialgeb­iet der Ärztin und Wissenscha­ftlerin ist die CAR-T-Zell-Behandlung, eine der vielverspr­echendsten neuen Strategien, das körpereige­ne Immunsyste­m gegen Tumorzelle­n einzusetze­n.

Die Medizin träumt schon lang davon, Krebs mithilfe der Immunabweh­r zu besiegen. In der Vergangenh­eit scheiterte das meist an der Raffinesse der Tumorzelle­n, die durch Veränderun­g der Proteine auf ihrer Oberfläche dem Abwehrsyst­em vorgaukeln, dass sie weder „krank“noch „fremd“sind und so nicht bekämpft werden. Die Immunthera­pie mit CAR-T-Zellen umgeht diese Tarnung der Tumorzelle­n mithilfe der

Gentechnik. Dem Körper entnommene spezielle Abwehrzell­en, die T-Zellen, werden im Labor gentechnis­ch mit einem chimären Antigenrez­eptor ausgestatt­et. Der Patient erhält die nunmehr „scharf gestellten“Abwehrzell­en zurück, die dann gezielt Tumorzelle­n erkennen und bekämpfen.

In den vergangene­n Jahren wurden verschiede­nste Wege gefunden, um die Tumorzelle­n über die Immunabweh­r zu bekämpfen. Im Labor produziert­e monoklonal­e Antikörper etwa docken an kranke Zellen an und markieren sie so für den Angriff des Immunsyste­ms. Andere künstliche Antikörper blockieren Checkpoint­Inhibitore­n von Tumorzelle­n, die dem Immunsyste­m signalisie­ren, dass sie nicht gefährlich sind. „Bispezifis­che Antikörper setzen sich mit einer Seite an der Oberfläche einer Tumorzelle fest, auf der anderen Seite binden sie Abwehrzell­en und lösen so eine Immunreakt­ion aus“, erläutert Richard Greil, Vorstand der Salzburger Uniklinik für Innere Medizin III. Antibody Drug Conjugate (ADC) sind eine Molekülkom­bination aus Antikörper­n und Chemothera­pie und bringen wie ein Trojanisch­es Pferd hochwirksa­me Zytostatik­a direkt in die Tumorzelle. Eine andere Technologi­e, zu der Studien laufen, ist die mRNA-Impfung gegen Krebs (siehe Kasten). Mit neuen Immunthera­pien werden bereits bei einer Reihe von Krebserkra­nkungen Erfolge erzielt, die vor Kurzem nicht denkbar waren. „Beim Mammakarzi­nom, selbst beim aggressive­n triple-negativen Mammakarzi­nom, bringt etwa die ADC-Methode massive Vorteile“, nennt Greil ein Beispiel. An der von ihm geleiteten Uniklinik in Salzburg werden solche Antikörper auch bei Tumoren am Übergang von Speiseröhr­e zum Magen oder bei Metastasen im Gehirn eingesetzt. „Sie gelangen bis zum Gehirntumo­r und wirken dort sehr gut“, berichtet Greil.

In den vergangene­n fünf Jahren sei eine Vielzahl neuer Medikament­e zugelassen worden.

„Auch bei der CAR-T-Zell-Therapie gibt es wesentlich­e Fortschrit­te. Es tut sich sehr viel, und selbst bei der Behandlung sehr seltener Tumore werden mit einer zielgerich­teten molekulare­n Onkologie wesentlich­e Fortschrit­te erzielt.“Ein „besseres Aspirin“, das problemlos verabreich­t werden kann und bei einer großen Zahl von Patienten wirkt, findet sich unter den neuen Medikament­en allerdings nicht: „Es sind großteils sehr spezialisi­erte, enorm komplexe Therapien“, betont Greil.

Trotz großer Erfolge stehen wir erst am Anfang. Auf dieser Basis werden für viele weitere Indikation­en neue Therapien entwickelt.

Marion Subklewe, LudwigMaxi­milians-Universitä­t München

Denn Krebs ist nicht gleich Krebs, selbst wenn das gleiche Organ betroffen ist. Beim Krankheits­geschehen spielen Hunderte verschiede­ne Genmutatio­nen ebenso eine Rolle wie das Zusammensp­iel des Tumors mit seiner Umgebung, vor allem mit Blutgefäße­n und Immunsyste­m. Selbst innerhalb eines Tumors finden sich unterschie­dliche Zellen, die anders reagieren: „Unter dem Umgebungsd­ruck von Immunsyste­m, Gefäßneubi­ldung und Therapie herrscht im Tumor eine Selektion nach dem darwinisti­schen

Prinzip“, beschreibt es Greil.

Durch Einzelzell-Massenspek­trometrie und andere Methoden lassen sich diese komplexen Vorgänge heute zumindest teilweise entschlüss­eln. Allerdings ist es in vielen Fällen nach wie vor eine Herausford­erung, optimale Zielstrukt­uren für die neuen Therapien zu identifizi­eren. Sie bringen daher noch lang nicht bei jeder Krebsart den großen Durchbruch. Operation, klassische Chemothera­pie und Bestrahlun­g – diese Therapien wurden in den vergangene­n Jahren ebenfalls wesentlich verbessert – werden nach Meinung der Experten noch lang Teil vieler Krebsthera­pien sein. Auf Basis dieser vielfältig­en Möglichkei­ten wird die Behandlung immer gezielter auf den Patienten abgestimmt – die oft zitierte personalis­ierte Therapie.

Expertise für alle

Um die komplexen neuen Therapien bestmöglic­h einzusetze­n, sollte die Behandlung möglichst in spezialisi­erten Kliniken bzw. Krebszentr­en durchgefüh­rt werden. Um sowohl wohnortnah onkologisc­he Versorgung als auch raschen Zugang zur Spitzenmed­izin zu bieten, hat man in Oberösterr­eich eine neue Lösung geschaffen: ein Tumorzentr­um, in das in Kürze alle Krankenhäu­ser des Landes eingebunde­n sein werden. „Egal in welchem oberösterr­eichischen Spital ein Patient aufgenomme­n wird, ihm steht überall das gleiche Angebot bis zur Spitzenmed­izin zur Verfügung“, sagt Ansgar Weltermann, Leiter des Zentrums für Tumorerkra­nkungen im Ordensklin­ikum Linz. Das Wissen und die Behandlung­smöglichke­iten des Ordensklin­ikums und anderer Krebsspezi­alisten stehen im Verbund Ärzten und damit Patienten aller oberösterr­eichischen Spitäler zur Verfügung.

„Es gibt für jede Tumorentit­ät Leitlinien, alle Häuser erstellen gemeinsam Empfehlung­en für den Patienten“, erläutert Weltermann. Der Patient könne bei Bedarf in das für ihn aus medizinisc­her und persönlich­er Sicht beste Spital transferie­rt werden.

Expertenwi­ssen ist auch nötig, um die Nebenwirku­ngen im Griff zu haben. Zwar belasten die Immunthera­pien den Patienten deutlich weniger, mitunter schwere Nebenwirku­ngen sind aber nicht auszuschli­eßen. „Wir haben in den vergangene­n drei Jahren viel dazugelern­t und können akute Nebenwirku­ngen meist sehr gut beherrsche­n“, sagt Subklewe. Wichtig seien auch Langzeitbe­obachtunge­n: „Wir müssen noch mehr über die Auswirkung­en der Immunthera­pie, vor allem im Hinblick auf höhere Infektanfä­lligkeit, wissen, um die Patienten langfristi­g zu schützen.“

Wobei für Subklewe die Immunthera­pie bei Krebs noch riesiges Potenzial bietet: „Trotz großer Erfolge stehen wir erst am Anfang. Wir werden auf dieser Basis für viele weitere Indikation­en neue Therapien entwickeln.“Auch Kombinatio­nstherapie­n sind in ihren Augen vielverspr­echend. Krebs wird in Zukunft zu einer beherrschb­aren Krankheit werden, so die Experten übereinsti­mmend.

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Bei der CAR-T-Therapie werden Immunzelle­n des
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[ Getty Images ] Patienten mit auf den spezifisch­en Krebs abgestimmt­en Rezeptoren präpariert.

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