Immunzellen fit gegen den Krebs machen
Das enorm gewachsene Wissen über Gene und Vorgänge in der Zelle eröffnet der Therapie neue Möglichkeiten. Damit alle Patienten davon profitieren, ist aber noch Forschungsarbeit notwendig.
Dank neuer Therapien, vor allem den Immuntherapien, sind die Chancen, dass Krebspatienten ihre Krankheit besiegen und ein weitgehend normales Leben führen können, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. „Die Therapieabläufe haben sich bei den meisten Krebserkrankungen um 180 Grad gedreht, man kann von einer Revolution sprechen“, sagt Marion Subklewe, Leiterin des Laboratory for Translational Cancer Immunology an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ein Spezialgebiet der Ärztin und Wissenschaftlerin ist die CAR-T-Zell-Behandlung, eine der vielversprechendsten neuen Strategien, das körpereigene Immunsystem gegen Tumorzellen einzusetzen.
Die Medizin träumt schon lang davon, Krebs mithilfe der Immunabwehr zu besiegen. In der Vergangenheit scheiterte das meist an der Raffinesse der Tumorzellen, die durch Veränderung der Proteine auf ihrer Oberfläche dem Abwehrsystem vorgaukeln, dass sie weder „krank“noch „fremd“sind und so nicht bekämpft werden. Die Immuntherapie mit CAR-T-Zellen umgeht diese Tarnung der Tumorzellen mithilfe der
Gentechnik. Dem Körper entnommene spezielle Abwehrzellen, die T-Zellen, werden im Labor gentechnisch mit einem chimären Antigenrezeptor ausgestattet. Der Patient erhält die nunmehr „scharf gestellten“Abwehrzellen zurück, die dann gezielt Tumorzellen erkennen und bekämpfen.
In den vergangenen Jahren wurden verschiedenste Wege gefunden, um die Tumorzellen über die Immunabwehr zu bekämpfen. Im Labor produzierte monoklonale Antikörper etwa docken an kranke Zellen an und markieren sie so für den Angriff des Immunsystems. Andere künstliche Antikörper blockieren CheckpointInhibitoren von Tumorzellen, die dem Immunsystem signalisieren, dass sie nicht gefährlich sind. „Bispezifische Antikörper setzen sich mit einer Seite an der Oberfläche einer Tumorzelle fest, auf der anderen Seite binden sie Abwehrzellen und lösen so eine Immunreaktion aus“, erläutert Richard Greil, Vorstand der Salzburger Uniklinik für Innere Medizin III. Antibody Drug Conjugate (ADC) sind eine Molekülkombination aus Antikörpern und Chemotherapie und bringen wie ein Trojanisches Pferd hochwirksame Zytostatika direkt in die Tumorzelle. Eine andere Technologie, zu der Studien laufen, ist die mRNA-Impfung gegen Krebs (siehe Kasten). Mit neuen Immuntherapien werden bereits bei einer Reihe von Krebserkrankungen Erfolge erzielt, die vor Kurzem nicht denkbar waren. „Beim Mammakarzinom, selbst beim aggressiven triple-negativen Mammakarzinom, bringt etwa die ADC-Methode massive Vorteile“, nennt Greil ein Beispiel. An der von ihm geleiteten Uniklinik in Salzburg werden solche Antikörper auch bei Tumoren am Übergang von Speiseröhre zum Magen oder bei Metastasen im Gehirn eingesetzt. „Sie gelangen bis zum Gehirntumor und wirken dort sehr gut“, berichtet Greil.
In den vergangenen fünf Jahren sei eine Vielzahl neuer Medikamente zugelassen worden.
„Auch bei der CAR-T-Zell-Therapie gibt es wesentliche Fortschritte. Es tut sich sehr viel, und selbst bei der Behandlung sehr seltener Tumore werden mit einer zielgerichteten molekularen Onkologie wesentliche Fortschritte erzielt.“Ein „besseres Aspirin“, das problemlos verabreicht werden kann und bei einer großen Zahl von Patienten wirkt, findet sich unter den neuen Medikamenten allerdings nicht: „Es sind großteils sehr spezialisierte, enorm komplexe Therapien“, betont Greil.
Trotz großer Erfolge stehen wir erst am Anfang. Auf dieser Basis werden für viele weitere Indikationen neue Therapien entwickelt.
Marion Subklewe, LudwigMaximilians-Universität München
Denn Krebs ist nicht gleich Krebs, selbst wenn das gleiche Organ betroffen ist. Beim Krankheitsgeschehen spielen Hunderte verschiedene Genmutationen ebenso eine Rolle wie das Zusammenspiel des Tumors mit seiner Umgebung, vor allem mit Blutgefäßen und Immunsystem. Selbst innerhalb eines Tumors finden sich unterschiedliche Zellen, die anders reagieren: „Unter dem Umgebungsdruck von Immunsystem, Gefäßneubildung und Therapie herrscht im Tumor eine Selektion nach dem darwinistischen
Prinzip“, beschreibt es Greil.
Durch Einzelzell-Massenspektrometrie und andere Methoden lassen sich diese komplexen Vorgänge heute zumindest teilweise entschlüsseln. Allerdings ist es in vielen Fällen nach wie vor eine Herausforderung, optimale Zielstrukturen für die neuen Therapien zu identifizieren. Sie bringen daher noch lang nicht bei jeder Krebsart den großen Durchbruch. Operation, klassische Chemotherapie und Bestrahlung – diese Therapien wurden in den vergangenen Jahren ebenfalls wesentlich verbessert – werden nach Meinung der Experten noch lang Teil vieler Krebstherapien sein. Auf Basis dieser vielfältigen Möglichkeiten wird die Behandlung immer gezielter auf den Patienten abgestimmt – die oft zitierte personalisierte Therapie.
Expertise für alle
Um die komplexen neuen Therapien bestmöglich einzusetzen, sollte die Behandlung möglichst in spezialisierten Kliniken bzw. Krebszentren durchgeführt werden. Um sowohl wohnortnah onkologische Versorgung als auch raschen Zugang zur Spitzenmedizin zu bieten, hat man in Oberösterreich eine neue Lösung geschaffen: ein Tumorzentrum, in das in Kürze alle Krankenhäuser des Landes eingebunden sein werden. „Egal in welchem oberösterreichischen Spital ein Patient aufgenommen wird, ihm steht überall das gleiche Angebot bis zur Spitzenmedizin zur Verfügung“, sagt Ansgar Weltermann, Leiter des Zentrums für Tumorerkrankungen im Ordensklinikum Linz. Das Wissen und die Behandlungsmöglichkeiten des Ordensklinikums und anderer Krebsspezialisten stehen im Verbund Ärzten und damit Patienten aller oberösterreichischen Spitäler zur Verfügung.
„Es gibt für jede Tumorentität Leitlinien, alle Häuser erstellen gemeinsam Empfehlungen für den Patienten“, erläutert Weltermann. Der Patient könne bei Bedarf in das für ihn aus medizinischer und persönlicher Sicht beste Spital transferiert werden.
Expertenwissen ist auch nötig, um die Nebenwirkungen im Griff zu haben. Zwar belasten die Immuntherapien den Patienten deutlich weniger, mitunter schwere Nebenwirkungen sind aber nicht auszuschließen. „Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel dazugelernt und können akute Nebenwirkungen meist sehr gut beherrschen“, sagt Subklewe. Wichtig seien auch Langzeitbeobachtungen: „Wir müssen noch mehr über die Auswirkungen der Immuntherapie, vor allem im Hinblick auf höhere Infektanfälligkeit, wissen, um die Patienten langfristig zu schützen.“
Wobei für Subklewe die Immuntherapie bei Krebs noch riesiges Potenzial bietet: „Trotz großer Erfolge stehen wir erst am Anfang. Wir werden auf dieser Basis für viele weitere Indikationen neue Therapien entwickeln.“Auch Kombinationstherapien sind in ihren Augen vielversprechend. Krebs wird in Zukunft zu einer beherrschbaren Krankheit werden, so die Experten übereinstimmend.