Atemtraining vor der OP, Radeln nach der Behandlung
Selbst nach erfolgreicher Behandlung beginnt für viele erst der Kampf mit den Folgen. Hier kann eine Reha helfen – mitunter sogar schon vor der Therapie.
Eine lebensbedrohliche Krankheit hinterlässt immer tiefe seelische Wunden. „Die Diagnose Brustkrebs war ein gewaltiger Schock, ich war wie gelähmt, bin in ein großes schwarzes Loch gefallen“, erzählt die Bilanzbuchhalterin Maria P. Auch nach erfolgter Krebstherapie fand die Patientin nicht ins Leben zurück. „Ich war seelisch schwer verletzt, hatte körperlich irrsinnig abgebaut und hatte Angst.“Wie ihr geht es vielen der 400.000 Krebskranken in Österreich. Geholfen hat Maria P. letztlich eine onkologische Reha.
Diese ist – der Name sagt es schon – Krebspatienten vorbehalten. In Österreich wird eine solche seit einem guten Jahrzehnt angeboten. 2006 und 2010 wurden entsprechende Pilotprojekte durchgeführt. Heute stehen mehr als 640 Betten für onkologische Rehabilitation zur Verfügung, unter anderem in Bad Tatzmannsdorf, Bad Sauerbrunn, Treibach/Althofen, Bad Erlach, Bad Schallerbach. In St. Veit im Pongau gibt es zudem ein Zentrum für Kinder und Jugendliche.
Am Anfang jeder Reha steht stets eine umfassende Untersuchung, nach der der individuelle und auf Krebspatienten abgestimmte Therapieplan festgelegt wird. „Aufgrund der besseren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten ist Krebs nicht mehr gleich ein Todesurteil, die Überlebensraten sind stark gestiegen. Und es gilt, diesen Patienten psychische und physische Unterstützung zu bieten, Kurz- und Langzeitfolgen der Erkrankung zu lindern, etwa Muskelabbau, Neuropathien, Narbenschmerzen, Erschöpfungszustände. Es geht auch darum, die körperliche Leistungsfähigkeit zu stärken und die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern“, sagt Richard
Onkologische Erkrankungen treffen unsere Patienten in allen Aspekten ihres privaten und beruflichen Lebens.
Richard Crevenna, Medizinische Universität Wien
Crevenna, Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der Medizinischen Universität Wien. „Es geht bei dieser Reha nicht nur darum, organische Defekte zu verbessern, wir geben auch handfeste Tipps für eine Modifikation des Lebensstils mit auf den Weg, zum Beispiel mehr bewegen, richtig ernähren. Wissenschaftliche Arbeiten zeigen einen
positiven Einfluss gesunder Kost auf die Reduzierung eines Tumorrezidivs. Ganz wichtig ist freilich auch die psychische Betreuung“, betont Elisabeth Isak, medizinische Leiterin der Onko-Rehab in Althofen.
Mehr auf den Menschen achten
Weiteres Ziel jeder einschlägigen Rehabilitation: soziale und beruflich Integration. „Onkologische Erkrankungen
treffen unsere Patienten in allen Aspekten ihres privaten und beruflichen Lebens“, weiß Crevenna.
„Früher war das bei einer Krebserkrankung kein Thema, da stand die Therapie im Mittelpunkt, für das Danach gab es keinen großen Bedarf. Da hat dann aber ein Paradigmenwechsel stattgefunden“, konstatiert Marco Hassler, medizinischer Leiter vom
Sonnberghof in Bad Sauerbrunn. Heute, so der Onkologe, werde viel mehr Bedacht darauf genommen, wie es einem Menschen mit Krebsdiagnose geht, wie man ihn seelisch aufbauen kann, wo er Hilfe bekommt. Unter anderem eben ganz gezielt bei einer stationären onkologischen Rehabilitation.
Wie bei vielen anderen Rehabilitationsformen gibt es da unter anderem auch Ergotherapie, Physiotherapie,
(Einzel-)Heilgymnastik, Massagen und dergleichen. Nur die Schwerpunkte liegen anderswo. Einer davon ist die Bewegung. Sie ist eine ganz wesentliche Säule der onkologischen Rehabilitation.
Bewegung als Medikament
„An unserer Klinik haben wir bereits 1999 die ersten onkologischen Patienten auf Räder gesetzt“, berichtet Rehabilitationsmediziner Crevenna. „Damals stand in den Lehrbüchern noch sinngemäß, dass sich Krebspatienten nicht anstrengen dürfen.“Heute, so Crevenna, werde das Training wie ein additiv anzuwendendes Medikament bewertet und sei ein Muss bei der Behandlung onkologischer Patienten. Weil es sich nicht nur positiv auf Psyche, Körper und Immunsystem auswirke, sondern auch einen bedeutenden Einfluss auf das Krebsgeschehen habe.
Zwar versuche man, den Patienten während eines Reha-Aufenthalts das Rüstzeug für die Zeit danach mitzugeben, jedoch fehle es an entsprechenden Einrichtungen. In Deutschland beispielsweise gibt es 1500 organisierte KrebsSportgruppen, in Österreich sind es einige wenige. „Ich hätte gern Sport auf Rezept für Krebspatienten, wir brauchen Bewegungsprogramme für die Zeit nach der Rehabilitation.“
Reha vor Behandlungsbeginn
Ein Gewinn für viele Menschen mit Tumorerkrankungen wäre auch die sogenannte Prähabilitation. Zum Unterschied zur Rehabilitation werden hier Maßnahmen nicht erst nach erfolgter Krebsoperation
oder Chemotherapie gesetzt, sondern schon davor. Zwei diesbezügliche Projekte seien zwar schon von der Ethikkommission bewilligt, so Crevenna, derzeit könnten dies allerdings nur Einzelpersonen in Anspruch nehmen. Obwohl schon erwiesen sei, dass Prähabilitation viel bringt. „Mittlerweile gibt es immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, dass solche Maßnahmen Operationskomplikationen und Spitalstage reduzieren sowie den seelischen und körperlichen Zustand der Patienten verbessern können.“
Nachweislicher Nutzen
Onkologe Hassler bringt dazu konkrete Ergebnisse diverser Studien: „Wenn Männer vor einer krebsbedingten Prostata-Operation mit einem Beckenbodentraining beginnen, haben sie weit weniger Probleme mit Inkontinenz.“Ein weiteres Beispiel: Wenn Krebspatienten vor einer Lungen-OP Atemtraining machen, ist der Aufenthalt auf einer Intensivstation kürzer. Auch gegen Gleichgewichtsstörungen aufgrund von Nervenschäden, die eine Chemotherapie oft mit sich bringt, gibt es wunderbare prähabilitative Möglichkeiten: Einer deutschen Studie zufolge können sieben von zehn Patienten vor einer Chemotherapie auf einem Bein stehen, nach einer Chemo kann dies fast keiner mehr. Werden jedoch vor und während dieser Form der Krebstherapie sensomotorische und Gleichgewichtsübungen absolviert, können sogar alle Patienten nach einer Chemotherapie auf einem Bein stehen, auch die, die es davor nicht konnten. Ein letztes Beispiel zur Prähabilitation: Frauen mit Unterleibskrebs, denen während der Chemotherapien Disney-Filme vorgespielt wurden, litten weniger unter Erschöpfung und hatten insgesamt eine bessere Lebensqualität. Mit kleinen Maßnahmen lässt sich also oft vieles verbessern.
Beckenbodentraining schon vor einer krebsbedingten ProstataOperation verringert Probleme mit Inkontinenz.
Marco Hassler, medizinischer Leiter Sonnberghof, Bad Sauerbrunn