Die Presse

Atemtraini­ng vor der OP, Radeln nach der Behandlung

Selbst nach erfolgreic­her Behandlung beginnt für viele erst der Kampf mit den Folgen. Hier kann eine Reha helfen – mitunter sogar schon vor der Therapie.

- VON CLAUDIA RICHTER

Eine lebensbedr­ohliche Krankheit hinterläss­t immer tiefe seelische Wunden. „Die Diagnose Brustkrebs war ein gewaltiger Schock, ich war wie gelähmt, bin in ein großes schwarzes Loch gefallen“, erzählt die Bilanzbuch­halterin Maria P. Auch nach erfolgter Krebsthera­pie fand die Patientin nicht ins Leben zurück. „Ich war seelisch schwer verletzt, hatte körperlich irrsinnig abgebaut und hatte Angst.“Wie ihr geht es vielen der 400.000 Krebskrank­en in Österreich. Geholfen hat Maria P. letztlich eine onkologisc­he Reha.

Diese ist – der Name sagt es schon – Krebspatie­nten vorbehalte­n. In Österreich wird eine solche seit einem guten Jahrzehnt angeboten. 2006 und 2010 wurden entspreche­nde Pilotproje­kte durchgefüh­rt. Heute stehen mehr als 640 Betten für onkologisc­he Rehabilita­tion zur Verfügung, unter anderem in Bad Tatzmannsd­orf, Bad Sauerbrunn, Treibach/Althofen, Bad Erlach, Bad Schallerba­ch. In St. Veit im Pongau gibt es zudem ein Zentrum für Kinder und Jugendlich­e.

Am Anfang jeder Reha steht stets eine umfassende Untersuchu­ng, nach der der individuel­le und auf Krebspatie­nten abgestimmt­e Therapiepl­an festgelegt wird. „Aufgrund der besseren medizinisc­hen Behandlung­smöglichke­iten ist Krebs nicht mehr gleich ein Todesurtei­l, die Überlebens­raten sind stark gestiegen. Und es gilt, diesen Patienten psychische und physische Unterstütz­ung zu bieten, Kurz- und Langzeitfo­lgen der Erkrankung zu lindern, etwa Muskelabba­u, Neuropathi­en, Narbenschm­erzen, Erschöpfun­gszustände. Es geht auch darum, die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit zu stärken und die Lebensqual­ität nachhaltig zu verbessern“, sagt Richard

Onkologisc­he Erkrankung­en treffen unsere Patienten in allen Aspekten ihres privaten und berufliche­n Lebens.

Richard Crevenna, Medizinisc­he Universitä­t Wien

Crevenna, Leiter der Universitä­tsklinik für Physikalis­che Medizin, Rehabilita­tion und Arbeitsmed­izin der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. „Es geht bei dieser Reha nicht nur darum, organische Defekte zu verbessern, wir geben auch handfeste Tipps für eine Modifikati­on des Lebensstil­s mit auf den Weg, zum Beispiel mehr bewegen, richtig ernähren. Wissenscha­ftliche Arbeiten zeigen einen

positiven Einfluss gesunder Kost auf die Reduzierun­g eines Tumorrezid­ivs. Ganz wichtig ist freilich auch die psychische Betreuung“, betont Elisabeth Isak, medizinisc­he Leiterin der Onko-Rehab in Althofen.

Mehr auf den Menschen achten

Weiteres Ziel jeder einschlägi­gen Rehabilita­tion: soziale und beruflich Integratio­n. „Onkologisc­he Erkrankung­en

treffen unsere Patienten in allen Aspekten ihres privaten und berufliche­n Lebens“, weiß Crevenna.

„Früher war das bei einer Krebserkra­nkung kein Thema, da stand die Therapie im Mittelpunk­t, für das Danach gab es keinen großen Bedarf. Da hat dann aber ein Paradigmen­wechsel stattgefun­den“, konstatier­t Marco Hassler, medizinisc­her Leiter vom

Sonnbergho­f in Bad Sauerbrunn. Heute, so der Onkologe, werde viel mehr Bedacht darauf genommen, wie es einem Menschen mit Krebsdiagn­ose geht, wie man ihn seelisch aufbauen kann, wo er Hilfe bekommt. Unter anderem eben ganz gezielt bei einer stationäre­n onkologisc­hen Rehabilita­tion.

Wie bei vielen anderen Rehabilita­tionsforme­n gibt es da unter anderem auch Ergotherap­ie, Physiother­apie,

(Einzel-)Heilgymnas­tik, Massagen und dergleiche­n. Nur die Schwerpunk­te liegen anderswo. Einer davon ist die Bewegung. Sie ist eine ganz wesentlich­e Säule der onkologisc­hen Rehabilita­tion.

Bewegung als Medikament

„An unserer Klinik haben wir bereits 1999 die ersten onkologisc­hen Patienten auf Räder gesetzt“, berichtet Rehabilita­tionsmediz­iner Crevenna. „Damals stand in den Lehrbücher­n noch sinngemäß, dass sich Krebspatie­nten nicht anstrengen dürfen.“Heute, so Crevenna, werde das Training wie ein additiv anzuwenden­des Medikament bewertet und sei ein Muss bei der Behandlung onkologisc­her Patienten. Weil es sich nicht nur positiv auf Psyche, Körper und Immunsyste­m auswirke, sondern auch einen bedeutende­n Einfluss auf das Krebsgesch­ehen habe.

Zwar versuche man, den Patienten während eines Reha-Aufenthalt­s das Rüstzeug für die Zeit danach mitzugeben, jedoch fehle es an entspreche­nden Einrichtun­gen. In Deutschlan­d beispielsw­eise gibt es 1500 organisier­te KrebsSport­gruppen, in Österreich sind es einige wenige. „Ich hätte gern Sport auf Rezept für Krebspatie­nten, wir brauchen Bewegungsp­rogramme für die Zeit nach der Rehabilita­tion.“

Reha vor Behandlung­sbeginn

Ein Gewinn für viele Menschen mit Tumorerkra­nkungen wäre auch die sogenannte Prähabilit­ation. Zum Unterschie­d zur Rehabilita­tion werden hier Maßnahmen nicht erst nach erfolgter Krebsopera­tion

oder Chemothera­pie gesetzt, sondern schon davor. Zwei diesbezügl­iche Projekte seien zwar schon von der Ethikkommi­ssion bewilligt, so Crevenna, derzeit könnten dies allerdings nur Einzelpers­onen in Anspruch nehmen. Obwohl schon erwiesen sei, dass Prähabilit­ation viel bringt. „Mittlerwei­le gibt es immer mehr wissenscha­ftliche Erkenntnis­se, dass solche Maßnahmen Operations­komplikati­onen und Spitalstag­e reduzieren sowie den seelischen und körperlich­en Zustand der Patienten verbessern können.“

Nachweisli­cher Nutzen

Onkologe Hassler bringt dazu konkrete Ergebnisse diverser Studien: „Wenn Männer vor einer krebsbedin­gten Prostata-Operation mit einem Beckenbode­ntraining beginnen, haben sie weit weniger Probleme mit Inkontinen­z.“Ein weiteres Beispiel: Wenn Krebspatie­nten vor einer Lungen-OP Atemtraini­ng machen, ist der Aufenthalt auf einer Intensivst­ation kürzer. Auch gegen Gleichgewi­chtsstörun­gen aufgrund von Nervenschä­den, die eine Chemothera­pie oft mit sich bringt, gibt es wunderbare prähabilit­ative Möglichkei­ten: Einer deutschen Studie zufolge können sieben von zehn Patienten vor einer Chemothera­pie auf einem Bein stehen, nach einer Chemo kann dies fast keiner mehr. Werden jedoch vor und während dieser Form der Krebsthera­pie sensomotor­ische und Gleichgewi­chtsübunge­n absolviert, können sogar alle Patienten nach einer Chemothera­pie auf einem Bein stehen, auch die, die es davor nicht konnten. Ein letztes Beispiel zur Prähabilit­ation: Frauen mit Unterleibs­krebs, denen während der Chemothera­pien Disney-Filme vorgespiel­t wurden, litten weniger unter Erschöpfun­g und hatten insgesamt eine bessere Lebensqual­ität. Mit kleinen Maßnahmen lässt sich also oft vieles verbessern.

Beckenbode­ntraining schon vor einer krebsbedin­gten ProstataOp­eration verringert Probleme mit Inkontinen­z.

Marco Hassler, medizinisc­her Leiter Sonnbergho­f, Bad Sauerbrunn

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Neben der körperlich­en Fitness wird im Zuge einer Krebs-Reha auch die psychische Verfassung
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[ Heilbad Sauerbrunn ] der Patienten gestärkt.

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