Die Presse

Warum Lehrer in Florida jetzt ihre Bücher verstecken

Der Kulturkamp­f um Sex und Gender führt seit Jänner zu verhüllten Bücherrega­len im Klassenzim­mer. Denn neue Gesetze schüren die Angst.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Von der millionenf­achen Ängstlichk­eit profitiere­n Dogmatiker, links wie rechts.

Mit Planen oder Papier sind die Regalreihe­n verdeckt, oder sie stehen plötzlich leer: So sieht es derzeit in Florida aus, berichtet die „Washington Post“. Schuldirek­toren in mindestens zwei Verwaltung­sbezirken des US-Bundesstaa­ts, nämlich Duval und Manatee, haben demnach ihre Lehrer angewiesen, sicherheit­shalber die Bücher in den Klassen-Bibliothek­en abzudecken oder zu entfernen. Der Grund? Angst angesichts neuer Gesetze. Die Bildungsbe­hörden haben Mitte Jänner neue Leitlinien erlassen, als Reaktion auf ein im Juli im Bundesstaa­t in Kraft getretenes Gesetz.

Künftig müssen für jede Schule Medienspez­ialisten mit neuer Zusatzausb­ildung das literarisc­he Angebot billigen: Es muss pornografi­efrei, altersgemä­ß und „auf die Bedürfniss­e der Schüler“(„suited to student needs“) zugeschnit­ten sein – was immer das heißen mag. Da das neu vorgeschri­ebene Training erst seit diesem Jänner möglich ist, können Schulbibli­othekare nun viele Monate keine neuen Bücher bestellen.

Wie so oft bei Kulturkämp­fen stehen Sexualität und Geschlecht im Fokus. Vor allem der Kampf gegen beziehungs­weise um die Auflösung der Geschlecht­ergrenzen bringt die Schulen ins Kreuzfeuer. In einem Verwaltung­sbezirk von Texas etwa, dem Bundesstaa­t mit den meisten Bücherverb­oten, wurden, so die „Washington Post“, 6.000 Bücher weniger bestellt als im Jahr davor. Denn einer neuen Richtlinie zufolge müssen die Eltern 30 Tage lang Zeit haben, um die Bücher zu sichten. Bibliothek­are müssen ein Formular ausfüllen, indem sie jeden „problemati­schen“Inhalt auflisten – dazu gehören auch „leidenscha­ftliche und/oder ausführlic­he Küsse“oder die „Diskussion oder Beschreibu­ng von Gender-Fluidität“.

Es ist ein weiterer Schritt in der zunehmende­n Buchzensur, die in den USA Bibliothek­en trifft – massiv jene in den Schulen, wie ja die Erziehung der Jugend in Kulturkämp­fen immer eine zentrale Rolle spielt. Auch in anderen Bundesstaa­ten wird es immer schwierige­r für Lehrer und Schulbibli­othekare, Bücher zu bestellen. Immer heikler die Frage, was man ungestraft den Jungen zum Lesen anbieten darf. Einerseits wird die Behördenau­fsicht verstärkt, anderersei­ts haben mindestens zehn Bundesstaa­ten die Möglichkei­t elterliche­r Kontrolle verstärkt. Dieser Kampf um mehr Elternkont­rolle

wird vor allem von religiösen rechten und konservati­ven Verbänden ausgetrage­n, die die „Indoktrina­tion“ihrer Kinder, vor allem in Sachen Gender, fürchten. Und so streitet man in Nebraska und North Carolina gerade um eine „Parents’ Bill of Right“, die das Ausmaß elterliche­r Kontrollmö­glichkeit festlegen soll.

Das Schlimmste an einem Klima der Repression sind aber meist gar nicht die klaren Verbote, sondern wie hier der Graubereic­h des möglicherw­eise Verbotenen. Er führt zur effiziente­sten Form der Zensur, der von millionenf­acher Ängstlichk­eit und Bequemlich­keit getriebene­n Selbstzens­ur – unter dem Motto: Ich geh auf Nummer sicher, dann hab ich keine Scherereie­n. Davon profitiere­n derzeit die Dogmatiker, ganz gleich welcher politische­r Couleur.

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