Warum Lehrer in Florida jetzt ihre Bücher verstecken
Der Kulturkampf um Sex und Gender führt seit Jänner zu verhüllten Bücherregalen im Klassenzimmer. Denn neue Gesetze schüren die Angst.
Von der millionenfachen Ängstlichkeit profitieren Dogmatiker, links wie rechts.
Mit Planen oder Papier sind die Regalreihen verdeckt, oder sie stehen plötzlich leer: So sieht es derzeit in Florida aus, berichtet die „Washington Post“. Schuldirektoren in mindestens zwei Verwaltungsbezirken des US-Bundesstaats, nämlich Duval und Manatee, haben demnach ihre Lehrer angewiesen, sicherheitshalber die Bücher in den Klassen-Bibliotheken abzudecken oder zu entfernen. Der Grund? Angst angesichts neuer Gesetze. Die Bildungsbehörden haben Mitte Jänner neue Leitlinien erlassen, als Reaktion auf ein im Juli im Bundesstaat in Kraft getretenes Gesetz.
Künftig müssen für jede Schule Medienspezialisten mit neuer Zusatzausbildung das literarische Angebot billigen: Es muss pornografiefrei, altersgemäß und „auf die Bedürfnisse der Schüler“(„suited to student needs“) zugeschnitten sein – was immer das heißen mag. Da das neu vorgeschriebene Training erst seit diesem Jänner möglich ist, können Schulbibliothekare nun viele Monate keine neuen Bücher bestellen.
Wie so oft bei Kulturkämpfen stehen Sexualität und Geschlecht im Fokus. Vor allem der Kampf gegen beziehungsweise um die Auflösung der Geschlechtergrenzen bringt die Schulen ins Kreuzfeuer. In einem Verwaltungsbezirk von Texas etwa, dem Bundesstaat mit den meisten Bücherverboten, wurden, so die „Washington Post“, 6.000 Bücher weniger bestellt als im Jahr davor. Denn einer neuen Richtlinie zufolge müssen die Eltern 30 Tage lang Zeit haben, um die Bücher zu sichten. Bibliothekare müssen ein Formular ausfüllen, indem sie jeden „problematischen“Inhalt auflisten – dazu gehören auch „leidenschaftliche und/oder ausführliche Küsse“oder die „Diskussion oder Beschreibung von Gender-Fluidität“.
Es ist ein weiterer Schritt in der zunehmenden Buchzensur, die in den USA Bibliotheken trifft – massiv jene in den Schulen, wie ja die Erziehung der Jugend in Kulturkämpfen immer eine zentrale Rolle spielt. Auch in anderen Bundesstaaten wird es immer schwieriger für Lehrer und Schulbibliothekare, Bücher zu bestellen. Immer heikler die Frage, was man ungestraft den Jungen zum Lesen anbieten darf. Einerseits wird die Behördenaufsicht verstärkt, andererseits haben mindestens zehn Bundesstaaten die Möglichkeit elterlicher Kontrolle verstärkt. Dieser Kampf um mehr Elternkontrolle
wird vor allem von religiösen rechten und konservativen Verbänden ausgetragen, die die „Indoktrination“ihrer Kinder, vor allem in Sachen Gender, fürchten. Und so streitet man in Nebraska und North Carolina gerade um eine „Parents’ Bill of Right“, die das Ausmaß elterlicher Kontrollmöglichkeit festlegen soll.
Das Schlimmste an einem Klima der Repression sind aber meist gar nicht die klaren Verbote, sondern wie hier der Graubereich des möglicherweise Verbotenen. Er führt zur effizientesten Form der Zensur, der von millionenfacher Ängstlichkeit und Bequemlichkeit getriebenen Selbstzensur – unter dem Motto: Ich geh auf Nummer sicher, dann hab ich keine Scherereien. Davon profitieren derzeit die Dogmatiker, ganz gleich welcher politischer Couleur.