Die Presse

Ein Weltklasse-,,Ring'' an der Semperoper

Dresden. Dirigent Christian Thielemann machte wie schon jüngst in Berlin eine Nibelungen-Tetralogie zum Ereignis. Ricarda Merbeth steigerte sich als Brünnhilde zu dramatisch­er Größe – und ist bald auch in Wien zu hören.

- VON JOSEF SCHMITT

s war ein Triumph des Dirigenten und seiner Sächsische­n Staatskape­lle: Christian Thielemann konnte mit seiner Gestaltung des ersten der beiden aktuellen „Ring“-Zyklen in der Semperoper jegliche szenische Schwäche vergessen machen. Willy Deckers Inszenieru­ng aus dem Jahr 2001 krankt ein wenig daran, dass die Handlung des „Rheingolds“in einem fiktiven Zuschauerr­aum angesiedel­t ist. So wird es den Darsteller­n schwer gemacht, sich zwischen den Sitzreihen zu bewegen. Doch sind die Bühnenbild­er Wolfgang Gussmanns durchaus attraktiv und geben dem Spiel einen optisch ansehnlich­en Rahmen. In der „Walküre“findet sich dann auch eine „Bühne auf der Bühne“, sodass die Sessel nur noch Dekoration sind und sich keine Dechiffrie­rungsprobl­eme mehr ergeben.

Nur der Göttervate­r schwächelt

Zu diesem Zeitpunkt ist das Publikum ohnehin längst ganz Ohr, dank Thielemann­s akustische­n Theaters von Weltrang. Der Dresdner „Ring“bietet diesmal ein beinah ausgewogen­es Sängerense­mble, mit einer einzigen gravierend­en Ausnahme: John Lundgrens Wotan verfügt weder über die nötige vokale Durchschla­gskraft noch über ein dem Göttervate­r adäquates Stimmtimbr­e. Über beides verfügt hingegen Markus Marquardt, der im ersten „Ring“-Durchlauf dieser Dresdner Saison sein Debüt als Alberich gefeiert hat – nur ganz zu Beginn ein wenig von Nervosität geplagt, bei seinen beiden Flüchen aber von enormer Präsenz. Marquardt war anlässlich der Wiederaufn­ahme dieses Decker-„Rings“im Jahr 2016 noch der Wotan – da Lundgren den Alberich ebenfalls im Repertoire hat, wäre ein Rollentaus­ch vielleicht för derlichgew­esen...

Souverän wie gewohnt die Fricka von Christa Mayer. Imposant die beiden Riesen: Georg Zeppenfeld trauerte als Fasolt mit herrlich lyrischen Basslinien um Freia, während der niederöste­rreichisch­e Bass Karl-Heinz Lehner passend trocken die Bösartigke­it von Bruder Fafner charakteri­sierte. Ungewöhnli­ch lyrisch, daher weniger sarkastisc­h als üblich der Loge Daniel Behles, während Jürgen Sacher als Mime mit prägnantem Charaktert­enor lamentiert­e.

Beinah durchwegs aus dem Dresdner Ensemble besetzt die Götterwelt: Donner Lawson Anderson, Froh Tansel Akzeybek, Freia Jennifer Davis, Erda Michal Doron, aber auch die Rheintöcht­er – Lea-Ann Dunbar, pá nka Pu lkov ,AnnaLapkov­skaja.

Anders als geplant: Die Brünnhilde sollte Lise Lindstrom singen, sagte aber mit einem lapidaren und vieldeutig­en Kommentar in den sozialen Medien kurzfristi­g ab. Ricarda Merbeth übernahm und durfte sich über laute Zustimmung freuen.

Thielemann erwies sich als kongeniale­r Partner, der seine Sänger niemals mit Klangwelle­n überflutet, sondern Wagners Musik über weite Strecken geradezu im Parlandoto­n fließen lässt. Das macht es den Interprete­n möglich, ohne allzu viel Druck auf die Stimme zu agieren und dabei wortdeutli­ch zu deklamiere­n. Die Merbeth, eigentlich im jugendlich-dramatisch­en Fach zu Hause, hatte dennoch auch mit der Brünnhilde keine Mühe. Im „Walküren“-Finale steigerte sie sich zu dramatisch­er Größe und degradiert­e Wotan zum Stichwortg­eber. In „Siegfried“, vor allem aber in der „Götterdämm­erung“konnte sie dank Thielemann­s Kunst, ein Drama in Spannung zu halten, ohne je zu laut zu werden, auch in jenen heiklen Passagen reüssieren, bei denen satter Klang in Mittellage und Tiefe gefordert ist.

Waltraud Meiers Abschied

Wenig Sorgen musste sich der Kapellmeis­ter bei seinem Heldenteno­r machen: Andreas Schager, der schon in der „Walküre“als Siegmund an der Seite der zunächst nervösen, dann aber überzeugen­den SieglindeD­ebütantin Allison Oakes mit überdimens­ionalen „Wälse“-Rufen gepunktet hatte, schien als Siegfried ganz in seinem Element.

Weder nach den virtuos bewältigte­n Schmiedeli­edern im „Siegfried“noch im Zuge der „Götterdämm erung“kennt er Ermüdungse­rscheinung­en. Hie und da ist zu spüren, dass es Thielemann Freude bereitet, mächtigen tenoralen Wellen entspreche­nde Antworten aus dem Orchester entgegenzu­halten. Das Publikum schien bereits nach dem ersten „Siegfried“-Aufzug in Ekstase und feierte nach der „Götterdämm­erung“alle Beteiligte­n. Auch die Vertreter des Gibichunge­n-Geschlecht­s, das dank der psychologi­schen Differenzi­erungskuns­t von Adrian Eröd (Gunther) und der als dekadente Alkoholike­rin gezeichnet­en Gutrune Anna Gablers für die nicht minder beeindruck­enden leiseren Töne verantwort­lich zeichnete.

Ein Abschied: Waltraud Meier war ein letztes Mal als Waltraute zu erleben – mit einem packenden Monolog voll feinster Nuancen. Zaungäste aus Wien nehmen die Botschaft mit: Zumindest die Brünnhilde dieser Produktion, Ricarda Merbeth, wird demnächst auch an der Staatsoper zu erleben sein.

 ?? [ Semperoper/Olah ] ?? Brünnhilde Ricarda Merbeth schwört auf den Speer des stimmgewal­tigen Hagen Stephen Milling.
[ Semperoper/Olah ] Brünnhilde Ricarda Merbeth schwört auf den Speer des stimmgewal­tigen Hagen Stephen Milling.

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